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Dreikörperproblem: Treffen sich drei Schwarze Löcher auf den Inseln der Ordnung

Treten drei Himmelskörper in Wechselwirkung, können Forschende nicht vorhersagen, was als Nächstes passiert. Doch laut einer neuen Analyse steckt erstaunlich viel Ordnung im Chaos dieses Dreikörperproblems – mit astrophysikalischen Konsequenzen für Schwarze Löcher und Gravitationswellen.
Simulation von zwei sich immer enger umkreisenden Schwarzen Löchern.

Wem angesichts der wohlgeordneten Himmelsmechanik unseres Sonnensystems mit seinen bekannten Planetenbahnen und bis ins Jahr 3000 berechneten Sonnenfinsternissen nach ein bisschen Chaos zumute ist, könnte es einmal mit Sternhaufen versuchen. Anzutreffen ist dieses Chaos in deren Zentren, wo die Sterndichte besonders groß ist. Dort ist es fast unvermeidbar, dass ein unbescholtenes Doppelsystem, das eigentlich nichts anderes im Sinn hat, als den gemeinsamen Massenschwerpunkt zu umrunden, von einem vorbeifliegenden Himmelskörper wortwörtlich aus der Bahn geworfen wird.

Was als Nächstes passiert, ist nicht vorhersagbar. Vielleicht taumeln die drei Himmelskörper in einer Art kosmischem Eiertanz umeinander. Vielleicht umrundet der dritte Himmelskörper das Doppelsystem in einer größeren Umlaufbahn. Vielleicht findet ein Partnertausch statt. Nur einer Sache kann man sich sicher sein: »Nichthierarchische Dreifachsysteme, in denen die drei Körper ähnliche Massen haben, sind dazu verdammt, sich nach kurzer Zeit aufzulösen«, sagt Nicholas Stone von der University of Wisconsin-Madison. Das bedeutet, dass einer der drei Himmelskörper aus dem System geschleudert wird.

Während es dank Isaac Newton und den von ihm aufgestellten Gravitationsgesetzen mehr oder weniger trivial ist, die Bahnverläufe des ursprünglichen Doppelsystems mithilfe von Papier und Bleistift zu berechnen, stürzt ein dritter Körper das ganze System ins Chaos, weil winzige Veränderungen in den Anfangsbedingungen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen. Beispielsweise kann ein beliebig kleiner Unterschied in der anfänglichen räumlichen Ausrichtung des Doppelsystems dafür sorgen, dass am Ende entweder einer der beiden Partner oder der Besucher selbst herausgeworfen wird.

Ade, Vorhersagbarkeit

Da die Anfangsbedingungen nie genau bekannt sind, wird das Dreikörpersystem zum Dreikörperproblem. Eine analytische Lösung gibt es nicht. Wollen Astrophysikerinnen und Astrophysiker das Dreikörperproblem zumindest näherungsweise lösen, müssen sie auf numerische Methoden zurückgreifen, bei denen für jede mögliche Anfangsbedingung die Bewegungsgleichungen der drei Körper Schritt für Schritt berechnet werden.

Eine Alternative könnten »statistical escape«-Theorien sein, die mit einem weit geringeren rechnerischen Aufwand als direkte Simulationen verbunden sind. Sie erlauben zwar keine Vorhersagen über Einzelfälle, ermöglichen aber statistische Einblicke, wohin die Reise von drei wechselwirkenden Himmelskörpern gehen könnte. Sie können beispielsweise verraten, mit welcher Wahrscheinlichkeit einer der drei Himmelskörper dem System entkommt. In Form von Wahrscheinlichkeitsverteilungen liefern sie Aufschlüsse, wie das übriggebliebene Doppelsystem aussieht, etwa, was die Entfernung der beiden Himmelskörper oder die Exzentrizität ihrer Umlaufbahnen betrifft.

Die grundlegenden Annahmen in »statistical escape«-Theorien basieren auf der exponentiellen Empfindlichkeit von Dreikörpersystemen gegenüber unterschiedlichen Ausgangssituationen. Doch was ist, wenn gerade dieses Chaos weniger chaotisch ist als gedacht? Ein Team um Alessandro Alberto Trani von der Universität Kopenhagen ist in einer im Fachmagazin »Astronomy & Astrophysics« veröffentlichten Analyse der Frage nachgegangen, wie viel Ordnung im Dreikörperproblem steckt.

Die Antwort der Forschenden dürfte nicht nur all jene mit einer Affinität für scheinbar unlösbare mathematische Probleme interessieren, sondern auch diejenigen Menschen, die sich seit der ersten Beobachtung von Gravitationswellen im Jahr 2015 diese eine, brennende Frage stellen: Wo kommen eigentlich die ganzen verschmelzenden Schwarzen Löcher her?

Das Dreikörperproblem als Einkörperlösung

Die erste Entdeckung von Gravitationswellen am 14. September 2015 haben wir zwei Schwarzen Löchern zu verdanken, die miteinander verschmolzen sind. Seitdem sind mehr als 200 weitere gemessene Gravitationswellen dazugekommen. Rasch stellte sich heraus, dass die allermeisten beobachteten Gravitationswellenereignisse auf das Konto von verschmelzenden Schwarzen Löchern gehen. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war und bleibt diese Tatsache ein Rätsel.

Nicholas Stone schildert das Problem: »Angenommen, man hat zwei relativ große Schwarze Löcher von je 30 Sonnenmassen. Man möchte, dass diese in weniger Zeit miteinander verschmelzen, als das Universum alt ist. Dafür müssen sie einen anfänglichen Abstand von rund 0,2 Astronomischen Einheiten (30 Millionen Kilometern) oder weniger haben. Aber der Haken ist, dass dieser Abstand kleiner ist als die Größe des Sterns, aus dem ein stellares Schwarzes Loch hervorgeht.«

Bei einem so geringen Abstand wären die beiden massereichen Sterne bereits lange miteinander verschmolzen, bevor sie je die Chance gehabt hätten, sich getrennt zu Schwarzen Löchern zu entwickeln. Halten sie hingegen den nötigen Sicherheitsabstand voneinander ein, ist dieser zu groß, als dass sie bereits jetzt, knappe 14 Milliarden Jahre nach dem Urknall, miteinander verschmolzen sein könnten. Deshalb haben Forschende mehrere Lösungsvorschläge entwickelt, wie man zwei Schwarze Löcher einander näherbringen könnte. Einer dieser Vorschläge führt zurück in den Sternhaufen, in dem das unbescholtene Doppelsystem Besuch von einem dritten Himmelskörper bekommt.

In weiten Teilen einer Galaxie ist der Weltraum schlicht zu leer, als dass es jemals zu einer derartigen Begegnung kommen könnte. Aber in Sternhaufen sind die Sterndichten um eine Größenordnung höher, weshalb es nicht ungewöhnlich ist, dass ein Doppelsystem über das Alter des Universums gesehen wenigstens einmal in Wechselwirkung mit einem dritten Himmelskörper tritt und das Dreikörperproblem live im Weltraum aufgeführt wird. »Ich denke, dass solche Dreikörperbegegnungen und daraus resultierende Doppelsysteme aus Schwarzen Löchern einen großen Anteil an den Quellen der gemessenen Gravitationswellensignale ausmachen«, sagt Alessandro Alberto Trani.

Über das Meer des Chaos …

Es ist dem Chaos des Dreikörperproblems geschuldet, dass Astrophysikerinnen und Astrophysiker keine exakten Vorhersagen machen können, wie solche Begegnungen ablaufen. Aber anhand von numerischen Simulationen und »statistical escape«-Theorien können Forschende ausloten, ob sie sich eignen, um zwei Schwarze Löcher einander schnell genug näherzubringen. Entscheidend ist die Exzentrizität der Umlaufbahnen des Doppelsystems. Je höher sie ist, desto näher kommen sich die beiden Schwarzen Löcher, desto mehr Energie in Form von Gravitationswellen können sie abstrahlen, und desto schneller verschmelzen sie miteinander. Im besten Fall liefern beide Ansätze nicht nur genügend hohe Verschmelzungsraten, um die beobachteten Gravitationswellensignale zu erklären, sondern stimmen auch noch miteinander überein.

In »statistical escape«-Theorien verwendet man Methoden aus der statistischen Mechanik, bei denen nicht der Zustand eines einzelnen Teilchens entscheidend ist, sondern vielmehr alle prinzipiell möglichen Zustände über das Schicksal des Gesamtsystems bestimmen. Man muss nicht die Geschwindigkeit und den Weg jedes einzelnen Luftmoleküls kennen, um die Temperatur in einem Zimmer herauszufinden. Wendet man diese Annahme auf das Dreikörperproblem an, erhält man eine statistische Lösung, ohne sich mit den prinzipiell unendlich vielen verschiedenen Ausgangssituationen dreier Himmelskörper abmühen zu müssen.

Tatsächlich sehen die Ergebnisse dieser statistischen Theorien vielversprechend aus, wie Nicholas Stone und ein Kollege beispielsweise in einem 2019 erschienenen Fachartikel beschrieben haben: Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Exzentrizität ist zu höheren Werten hin verschoben, und die Ergebnisse stimmen gut mit numerischen Simulationen überein. Aber Achtung: »Die ›statistical escape‹-Theorie gilt nur für das Meer des Chaos«, betont Stone.

Drei Körper in der Simulation | In der Simulation wurden drei Objekte mit dieser Konfiguration und den angegebenen Massen m1, m2 und m3 in Einheiten der Sonnenmasse hineingesteckt. Das ursprüngliche Doppelsystem folgt einer kreisförmigen Umlaufbahn. Die große Halbachse a und der Abstand d der Schwerpunkte sind in Einheiten von Astronomischen Einheiten angegeben. Die Neigung ι ist ein Winkel in Bezug auf die Verbindungslinie mit dem dritten Himmelskörper und kann von -90 Grad bis +90 Grad variieren. Die wahre Länge λ ist eine Koordinate, die angibt, wo sich die zwei Körper auf der Umlaufbahn befinden. Die Größe kann von 0 bis 360 Grad variieren.

… zu den Inseln der Ordnung

Diese Aussage ist keine poetische Wegbeschreibung, sondern verdeutlicht den eingeschränkten Geltungsbereich statistischer Methoden in Bezug auf das Dreikörperproblem. Denn da war ja noch was, nämlich die Frage, wie viel Ordnung es im Chaos des Dreikörperproblems gibt. Um das herauszufinden, hat das Team um Trani die wesentlich längere Route der numerischen Simulation gewählt: In seinem simulierten Dreikörperproblem stößt ein Himmelskörper mit 12,5 Sonnenmassen auf ein Doppelsystem mit je 15 und 17,5 Sonnenmassen (siehe »Drei Körper in der Simulation«).

Um das Dreikörperproblem rein rechnerisch bewältigen zu können, haben die Forschenden lediglich zwei der 18 möglichen Freiheitsgrade verändert, welche die räumliche Ausrichtung des Doppelsystems in Bezug auf den dritten Himmelskörper betreffen. Alle verschiedenen Möglichkeiten, wie dieser himmlische Dreiertanz ausgehen kann, lassen sich in einem Diagramm darstellen, in dem die beiden Achsen die Anfangsbedingungen des Systems repräsentieren (siehe »Chaos mit Inseln der Ordnung«). Möchte man wissen, welcher der drei Himmelskörper letztendlich aus dem System geschmissen wird, kann man drei unterschiedliche Farben verwenden und das Ergebnis für jede einzelne Berechnung eintragen: Der Besucher muss gehen? Ein roter Punkt. Der massereichere Partner fliegt raus? Ein grüner Punkt. Lieber doch das Schwarze Loch mit 15 Sonnenmassen? Blauer Punkt. In Millionen von Simulationen spielten Trani und seine Kollegen winzige Veränderungen in den zwei verschiedenen Anfangsbedingungen durch und erhielten so Punkt für Punkt eine Art Landkarte für ihren Fall des Dreikörperproblems.

Chaos mit Inseln der Ordnung | Inwiefern ist das Doppelsystem ursprünglich in Bezug auf den dritten Himmelskörper gekippt? Und wo auf ihrer gemeinsamen Umlaufbahn befinden sich die zwei Himmelskörper, wenn sich der dritte Himmelskörper nähert? Strenggenommen gibt es dafür unendlich viele Möglichkeiten, diese beiden Ausgangsbedingungen miteinander zu kombinieren. In ihrer Studie haben die Forschenden etwa eine Million mögliche Szenarien durchgerechnet und die Ergebnisse in dieser »Landkarte« zusammengetragen. Im Diagramm ist der Neigungswinkel ι (in Grad) im Dreikörpersystem auf der senkrechten Achse dargestellt. Er gibt an, inwieweit das Doppelsystem in der Ausgangssituation in Bezug auf den dritten Himmelskörper gekippt ist. Die wahre Länge λ (in Grad) auf der waagerechten Achse zeigt an, wo auf der kreisförmigen Umlaufbahn sich die zwei Körper aus der Ausgangssituation befinden. Die Farben Rot, Blau und Grün stehen für diejenige Masse, die dem System entkommt. Im Pixelbrei lässt sich keine Aussage treffen, aber in den großflächigen Bereichen einer bestimmten Farbe gibt es Ordnung, weil dort ähnliche Startbedingungen zum gleichen Simulationsergebnis führen.

Würde dort das pure Chaos herrschen, müsste diese Landkarte einen völlig chaotischen Pixelteppich ergeben. Das ist das Meer des Chaos, das weniger an ein tosendes Meer erinnert, sondern vielmehr an das statische Flimmern eines altmodischen Fernsehers. Doch stattdessen tun sich auf der Landkarte solide blaue und grüne Regionen auf: Inseln der Ordnung mitten im Meer des Chaos.

»Numerische Simulationen zeigen, dass es Lücken im Chaos des Dreikörperproblems gibt«, sagt Alessandro Alberto Trani. »In diesen Bereichen führen leicht unterschiedliche Anfangsbedingungen zum gleichen Ergebnis. Das ist das genaue Gegenteil von Chaos.« In ihrer Analyse nehmen die Inseln der Ordnung 37 Prozent der Landkarte des Dreikörperproblems ein. Diese Zahl gilt nur für dieses einzelne System. Allerdings fanden die Wissenschaftler in weiteren Simulationen mit anderen Ausgangsbedingungen heraus, dass bis zu 84 Prozent der Lösungen nicht im Meer des Chaos, sondern auf den Inseln der Ordnung liegen.

Da die »Statistical Escape«-Theorien auf der Annahme des Chaos basieren, können sie die Inseln der Ordnung nicht vorhersagen. Das führt zu unterschiedlichen Vorhersagen bezüglich des Schicksals jener drei Himmelskörper, von denen doch bitte zwei Schwarze Löcher miteinander verschmelzen mögen. »Für Gravitationswellensignale deutet das darauf hin, dass viele der nichtchaotischen Wechselwirkungen aus einem Doppelsystem mit sehr exzentrischen Umlaufbahnen resultieren«, sagt Trani. Da die statistischen Theorien die geordneten Lösungen der numerischen Simulationen nicht abbilden können, würden sie daher die Zeit überschätzen, welche zwei Schwarze Löcher brauchen, um miteinander zu verschmelzen – und daher die allgemeine Rate solcher Ereignisse eher unterschätzen.

Während sich das Dreikörperproblem weiterhin widerspenstig zeigt, was exakte quantitative Angaben betrifft, so zeigt diese Analyse doch, dass in ihm mehr Ordnung steckt als gedacht. »Aber ob das auch wirklich so im Universum passiert, ist eine andere Frage«, sagt Alessandro Alberto Trani. Um sie zu beantworten, müssten Gravitationswellendetektoren in der Lage sein, zu messen, wie exzentrisch die Umlaufbahnen der beiden Partner kurz vor ihrer Verschmelzung waren. Die potenziellen Gravitationswellendetektoren der nächsten Generation sollten dazu in der Lage sein – und dann könnten wir herausfinden, wie viele der Gravitationswellensignale zweier Schwarzer Löcher wirklich auf das Konto des gar nicht so chaotischen Dreikörperproblems gehen.

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  • Quellen
Stone, N. C, Leigh, N. W. C.:, Nature 10.1038/s41586–019–1833–8, 2019
Trani, A. A. et al.:, Astronomy & Astrophysics 10.1051/0004–6361/202449862, 2024

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