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Tierphysiologie: Trikottausch im Trockenwald

Nicht nur auf Fußballplätzen tauschen Primaten ihre Trikots, auch in den Wäldern Madagaskars wird diese ehrwürdige Tradition gepflegt: Rotstirnmaki-Weibchen werden mit der Färbung erwachsener Männchen geboren; erst nach einigen Monaten nehmen sie die typisch weibliche Fellzeichnung an. Was steckt hinter dem verspäteten Vereinswechsel?
Rotstirnmakibaby
Wer einmal die Chance hat eine Gruppe Silberner Haubenlanguren (Trachypithecus cristatus) im Zoo oder ihrer südostasiatischen Heimat zu beobachten, der wird sich vielleicht über die kleinen orangefarbenen Tiere wundern, die zwischen den großen grauen umher springen. Eine zweite Art? – Weit gefehlt: Bei den Farbtupfern handelt es sich um den Langurennachwuchs, die erst nach mehreren Monaten die unauffällige Graufärbung der Eltern annimmt.

Neugieriger Makinachwuchs | Der Nachwuchs der madagassischen Rotstirnmakis (Eulemur fulvus rufus) kommt zwischen September und Oktober zur Welt. Alle Jungtiere werden mit derselben Fellzeichnung geboren – darunter eine auffällige rote Krone. Nach einigen Monaten färbt sich die Krone der Weibchen allerdings grau.
Bei zahlreichen Primaten ändert sich die Fellfärbung der Jungtiere mit zunehmendem Alter. Allerdings variiert der Farbton meist eher geringfügig. Bisweilen ändert auch nur ein Geschlecht das Kolorit: Bei Schwarzen Brüllaffen (Alouatta caraya) sind beispielsweise alle Neugeborenen gelbbraun wie die erwachsenen Weibchen. Der männliche Nachwuchs wechselt dann später ins schwarze Haarkleid der Väter.

Säuglinge mit Signalfarbe

"Seht her, ich bin klein und hilfsbedürftig?" oder "Tu mir nichts, Du bist vielleicht mein Vater!" – das könnten die optischen Botschaften des Nachwuchses an die Artgenossen sein. Zum einen motiviert die auffällige Farbe demnach eventuell andere Gruppenmitglieder neben den Eltern zur Fürsorge. Zum anderen könnte die einheitliche Kolorierung verhindern, dass Männchen ihre Vaterschaft an äußeren Merkmalen der Jungtiere ablesen – und damit das Infantizidrisiko senken. Empirische Studien zum Thema sind allerdings Mangelware.

Rotstirniges Makimännchen | Erwachsene Rotstirnmakis unterscheiden sich in ihrer Fellfärbung: Männchen haben eine auffällige Gesichtszeichnung mit schwarzer Schnauze, weißer Augenbrauenpartie und roter Krone. Weibchen sind unauffälliger gefärbt; das Fell ihrer Krone ist grau.
Eine Ausnahme stellt der farbliche Werdegang neugeborener Rotstirnmakis (Eulemur fulvus rufus) dar – eine gruppenlebende Lemurenart der madagassischen Küstenwälder, den eine Forschergruppe vom Deutschen Primatenzentrum um Peter Kappeler jetzt detailliert untersuchte. Alle Jungtiere dieser Art werden mit derselben, für adulte Männchen charakteristischen Gesichtszeichnung geboren: rotfarbene Stirn, schwarze Schnauze und weiße Augenbrauenpartie. Während sich die Färbung der männlichen Nachkommen in der Folgezeit nur geringfügig ändert, färbt sich die Krone der Töchter nach sieben bis 17 Wochen grau – sie gleichen sich ihren Müttern an.

Sexuelle Mimikry

Warum täuschen die Lemurenmädchen vor, vom anderen Geschlecht zu sein? Bei Rotstirnmakis pflanzen sich pro Verband nur zwei ausgewachsene Weibchen fort – obwohl bis zu vier in einer Gruppe leben. Könnte die sexuelle Mimikry die weiblichen Jungtiere also davor bewahren, von den adulten Makidamen als Konkurrentinnen betrachtet zu werden?

Rotstirnmakiweibchen mit Nachwuchs | Die erste Zeit verbringen neugeborene Rotstirnmakis auf dem Rücken und am Bauch ihrer Mutter. Zwischen der siebten und 17. Lebenswoche werden sie zunehmend selbstständiger und explorativer; in dieselbe Zeitspanne fällt auch der Farbwechsel bei den weiblichen Jungtieren. Dient die Maskerade als Männchen im zarten Kindesalter dem Schutz vor aggressiven Artgenossen?
Um zu überprüfen, wie sich die Färbung der Babys auf die Gruppenmitglieder auswirkt, beobachteten die Primatologen vier Makigruppen im westmadagassischen Kirindy-Trockenwald über die mehrmonatige Phase des Farbwechsels. Dabei protokollierten sie das Verhalten zwischen acht Neugeborenen und ihren älteren Artgenossen: von liebevoller Fellpflege bis zu gegenseitigem Jagen und Beißen. Um Entwicklungsfortschritte festzuhalten, wurde notiert, wann die Jungtiere zum ersten Mal den Rücken der Mutter verließen oder feste Nahrung zu sich nahmen – wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einem selbstständigen Affenleben.

Aggressive Weibchen

Tatsächlich beobachteten die Biologen insgesamt nur zwei aggressive Übergriffe von Weibchen auf die Jungtiere anderer Mütter. Ansonsten war das Verhalten gegenüber männlichen wie weiblichen Nachkommen gleichermaßen friedlich. Nach 17 Wochen war der Haarwechsel schließlich abgeschlossen, und das Geschlecht der heranwachsenden Makis offenbarte sich eindeutig. Im selben Zeitraum wurden die Jungtiere zunehmend unabhängig von ihrer Mutter, tollten allein durchs Geäst und testeten neue Nahrungsquellen aus.

"Unter erwachsenen Rotstirnmakiweibchen kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen", erklärt Claudia Fichtel, Koautorin der Studie. "Die Weibchen konkurrieren um Fortpflanzungsmöglichkeiten, dabei werden auch Tiere verletzt oder aus der Gruppe vertrieben." Die männliche Fellzeichnung könne demnach die jungen Weibchen vor aggressiven Geschlechtsgenossinnen schützen, bis sie die sensible Säuglingsphase überwunden haben und einigermaßen selbstständig sind, so das Fazit der Verhaltensforscher.

Jungtier zwischen zwei adulten Weibchen | Unter erwachsenen Makiweibchen kommt es immer wieder zu aggressiven Auseinandersetzungen: Der Grund ist Konkurrenz um Fortpflanzungsmöglichkeiten. Die neugeborenen Rotstirnmakiweibchen werden jedoch von ihren Geschlechtsgenossinnen nicht behelligt.
Doch ob die Gruppenmitglieder das Geschlecht der Jungtiere nur anhand der Farbe bestimmen können, ist ungewiss und bedarf weiterer Untersuchungen. Vielleicht spielt auch der Geruch eine starke Rolle: Immerhin kommunizieren Rotstirnmakis vielfach über Duftdrüsen, und die Neugeborenen wurden regelmäßig von den Gruppenmitgliedern geputzt und geleckt – ein intensives Beschnuppern der Zöglinge liegt somit auf der Hand. Und dass Trikots nicht nur unterschiedlich aussehen, sondern auch intensiv riechen können, dürfte jedem Mannschaftssportler bekannt sein.

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