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Tropische Geometrie: Eine neue Art der Geometrie, die unter die Haut geht

Mathematiker haben ein neues Forschungsgebiet begründet, bei dem geometrische Objekte so stark verändert werden, dass nur ein »Skelett« der eigentlichen Form zurückbleibt. Dennoch behalten die Strukturen viele ihrer ursprünglichen Eigenschaften bei – und offenbaren unerwartete Geheimnisse.
Eine digitale Illustration zeigt eine abstrakte Blume mit leuchtenden, durchscheinenden Blütenblättern in Blau und einem strahlenden, pinkfarbenen Zentrum. Die Blume wirkt dreidimensional und schwebt vor einem dunklen Hintergrund, was einen leuchtenden Kontrast erzeugt. Die Komposition vermittelt ein Gefühl von Energie und Bewegung.
Manchmal hilft es, Dinge auf ihr Wesentliches zu reduzieren, um deren entscheidenden Merkmale zu enthüllen. Auf diesem Prinzip baut die tropische Geometrie auf.

Wenn man ein kompliziertes mathematisches Problem lösen möchte, erweist sich der direkte Weg manchmal als schwierig. In diesen Fällen lohnt es sich, vom gewohnten Pfad abzuweichen und einen Umweg in Kauf zu nehmen.

In einer solchen Situation befand sich Gerolamo Cardano im 16. Jahrhundert. Damals biss er sich an der Lösung kubischer Gleichungen die Zähne aus. Doch irgendwann kam ihm eine zündende Idee, welche die moderne Mathematik auf ungeahnte Weise prägen sollte: Er führte während seiner Berechnungen Wurzeln aus negativen Zahlen ein – heute sind sie als imaginäre Zahlen bekannt. Er maß ihnen keine besondere Bedeutung bei, sie halfen ihm aber, die kniffligen Aufgaben zu lösen. Inzwischen haben sich komplexe Zahlen, die sich aus reellen und imaginären Zahlen zusammensetzen, als so wichtig herausgestellt, dass viele aktuelle Fortschritte der Naturwissenschaften ohne sie nicht denkbar wären.

Die tropische Geometrie ist ein weiteres Beispiel für einen zielführenden Umweg. Sie entstand in den 1980er Jahren und ist inzwischen zu einem aktiven Forschungsfeld herangewachsen, das auch andere mathematische Bereiche beeinflusst. Einer der größten Nutznießer dieser Entwicklung ist die algebraische Geometrie. Wie Mathematiker feststellten, kann es sich in diesem Gebiet lohnen, einen Schlenker über die tropische Geometrie zu machen. Denn einige Eigenschaften algebraischer Kurven lassen sich im tropischen Teil einfacher berechnen.

Exotische Namensgebung

Woher stammt der Name »tropische« Geometrie? Häufig übernehmen Mathematiker Begriffe aus der Alltagssprache, ohne jeglichen Bezug zu ihrem wörtlichen Sinn. Das ist auch hier der Fall. In seinen Anfängen hieß der Bereich exotische Algebra, danach wurde er bis Ende der 1980er Jahre Max-Plus-Algebra genannt. Inzwischen ist er zur »tropischen Algebra« geworden, auf Anregung mehrerer theoretischer Informatiker von der Universität Paris-VII, die ihrem brasilianischen Kollegen Imre Simon, einem Pionier auf diesem Gebiet, Tribut zollen wollten.

Warum Kurven eigentlich Flächen sind

Um das nachzuvollziehen, muss man zuerst algebraische Kurven verstehen. Sie bestehen aus einer Menge von Punkten (x, y), die eine so genannte polynomiale Gleichung lösen, zum Beispiel F(x, y) = axy3 + bx2y + cx + dy + f = 0. Die Punkte x und y können dabei nicht bloß reelle, sondern auch komplexe Werte annehmen, also imaginäre Zahlen enthalten. In solchen Fällen besteht jede Variable x = a + ib aus zwei reellen Koordinaten a und b und der imaginären Einheit i, die der Wurzel aus minus eins entspricht. Die ursprüngliche Gleichung F(x, y) = 0 hängt also von insgesamt vier reellen Koordinaten ab und spaltet sich in zwei unabhängige Teile auf: in einen Realteil ohne i und einen Imaginärteil mit i. Die entsprechende geometrische Figur ist dann streng genommen keine Kurve mehr, sondern eine Oberfläche im vierdimensionalen Raum.

Das mag abstrakt klingen, doch Mathematiker haben verschiedene Methoden entwickelt, um diese Objekte zu untersuchen. Allerdings stoßen sie dabei häufig an ihre Grenzen. Denn die algebraische Geometrie hat sich in vielen Punkten als äußerst schwierig entpuppt.

In den 1990er Jahren hatten die Forscher Israel Gelfand an der Rutgers University in New Jersey, Mikhail Kapranov, damals an der Northwestern University in Illinois, und Andrei Zelewinsky an der Northeastern University in Boston eine merkwürdig erscheinende Idee für einen Umweg, der die Erforschung algebraischer Kurven erleichtern sollte. Anstatt direkt die komplexen Lösungen x und y einer Gleichung F(x, y) = 0 zu studieren, betrachteten sie die Logarithmen ihrer Beträge. Das heißt, sie visualisierten alle Punkte (u, v) = (log |x|, log |y|). Weil die Beträge komplexer Zahlen reell sind, halbierten die Forscher so die Dimensionen des eigentlichen Problems: Aus den seltsamen Flächen im vierdimensionalen Raum werden gewöhnliche Kurven in der Ebene. Das Erstaunliche ist, dass dabei einige Eigenschaften der ursprünglichen Gleichung erhalten bleiben.

Komplizierte Gerade

Um das zu erkennen, hilft ein Beispiel. In komplexen Koordinaten beschreibt die Geradengleichung x + y − 1 = 0 eine komplizierte Fläche. Betrachtet man dagegen die Logarithmen der Beträge von x und y, füllen diese Punkte einen Teil der zweidimensionalen Ebene aus, die durch drei Kurvengleichungen begrenzt ist: Für negative u gehören alle Punkte (u, v) innerhalb von v = log (eu + 1) und v = log (1 − eu) zur Lösung, während für positive u alle zwischen v = log (eu + 1) und v = log (eu − 1) die Gleichung erfüllen.

Amöbe | Der rot markierte Bereich in der Ebene ist die »Amöbe« der komplexen Geradengleichung x + y = 1. Ihr Skelett (blau) entspricht der tropischen Kurve. Sie ist durch alle Punkte (u, v) gegeben, für die mindestens zwei der Argumente u, v und 0 maximal sind.

Die Kurvengleichungen begrenzen ausufernde Bereiche, deren Form an Tentakel erinnert. Das ist keine Besonderheit der betrachteten Gerade, sondern ein Merkmal aller algebraischen Kurven. Wegen ihrer Ähnlichkeit zu den Wechseltierchen bezeichnen Mathematiker die geometrischen Objekte als Amöben.

Doch woher kommen diese Tentakel? Tatsächlich haben sie einen einfachen Ursprung. Sie entsprechen den Gebieten, in denen die Koordinaten x und y entweder sehr groß oder sehr klein sind. In der diagonalen Tentakel sind beispielsweise sowohl x als auch y groß, so dass sich die Gleichung x + y = 1 wie y ≈ −x verhält. Insbesondere stimmen die Beträge beider Zahlen überein, wodurch sich die diagonale Gleichung v = u ergibt. Der linke Tentakel entspricht dagegen vernachlässigbar kleinen Werten von x. In diesem Fall vereinfacht sich die ursprüngliche Gleichung zu y ≈ 1, woraus v = log |y| ≈ 0 folgt. Ebenso ergibt sich der untere Tentakel für kleine y aus u = log |x| ≈ 0.

Zusammenziehen der Amöbe | Indem man die Basis des Logarithmus (hier für x + y = 1) vergrößert, zieht sich die Amöbe immer weiter zusammen. Für den Grenzfall, bei dem die Basis gegen unendlich geht, bleibt nur noch ihr Skelett übrig.

Indem man diese Extremfälle betrachtet, kann man das »Skelett« der Amöbe nachzeichnen. Für x + y = 1 besteht es aus drei Halbgeraden, die sich im Ursprung treffen. Die russischen Mathematiker Victor Maslov von der Lomonossow-Universität in Moskau und Oleg Viro, damals an der Universität Uppsala in Schweden, fanden heraus, wie es sich herausarbeiten lässt: Man ersetzt die Basis des Logarithmus, der die Koordinaten u und v definiert, durch immer größere Zahlen. Das hungert die Amöbe nach und nach aus und legt ihr Skelett frei.

Dieses Phänomen verdankt man den Eigenschaften der Logarithmusfunktion. Sie wandelt beispielsweise die Multiplikation in eine Addition um: Wenn z = xy, dann ist logb z = logbx + logby. Mit w = logbz folgt also w = u + v. Während sich die Multiplikation vereinfacht, wird die Addition allerdings komplizierter: Für z = x + y ist w = logb(x + y) = logb(blog x + blog y), also w = logb(bu + bv).

Der letzte Ausdruck erscheint zwar recht umständlich, er nimmt aber eine einfachere Gestalt an, wenn die Basis b des Logarithmus sehr groß ist. In diesem Fall dominiert die größere der beiden Zahlen u und v, das heißt, nur sie bleibt im Grenzfall einer unendlich großen Basis übrig: w = max (u, v). Addition (+) und Multiplikation (·) werden also durch die Operationen »max« und + ersetzt. Heute ist diese »Max-Plus-Algebra« als tropische Algebra bekannt.

Skelett | Die tropische Kurve der Funktion F(x, y) = 1 + 2xy + x3 + y3 entspricht den Punkten (u, v), für die mindestens zwei der vier Argumente 0, log 2 + u + v, 3u und 3v maximal sind.

Jedes Polynom lässt sich derart in eine tropische Form übersetzen. Die Geradengleichung x + y − 1 = 0 wird beispielsweise zu max (u, v, 0). Diese tropische Kurve entspricht den drei Halbgeraden, die das Skelett der Amöbe nachzeichnen. Die tropische Gleichung von a · xn ist demzufolge log |a| + n · u, und das Polynom 5x2 − 4y3 − 2 vereinfacht sich analog zu max (log 5 + 2u, log 4 + 3v, log 2).

Zwei Eigenschaften haben alle algebraischen Kurven gemeinsam: Ihr Skelett besteht immer aus gebietsweise linearen Funktionen; und ihre Amöbe setzt sich stets aus endlich vielen konvexen Bereichen zusammen. Letzteres bedeutet, dass sich entweder zwei Punkte außerhalb der Amöbe durch eine Gerade verbinden lassen oder dass es keine stetige Kurve gibt, die beide Punkte verknüpft, ohne die Amöbe zu kreuzen. Sprich: Die Gebiete haben stets die Form einer Amöbe mit langen Tentakeln. Im Gegensatz zu den betrachteten Beispielen ist die grafische Darstellung des Skeletts und der Amöbe einer polynomialen Gleichung aber nicht immer einfach. Daher haben sich tropische Kurven inzwischen als eigenständiges Forschungsthema etabliert.

Schnittpunkte zählen | Die Anzahl der Schnittpunkte zweier tropischer Kurven ist, wie für algebraische Kurven auch, gleich dem Produkt ihrer Grade. Im obigen Bild kreuzt der tropische Kegelschnitt (rot) x2 + 4xy − 300x − 40y − 50 die kubische Kurve (grün) ⅛ x3 + x2y + 2xy2 + y3 + 2x2 + 15xy + 400y2 + 5x + 100y + 1 in 2 · 3 = 6 Punkten. Dabei zählt der blaue Punkt doppelt, weil diese Koordinaten zweimal in der Lösung auftauchen.

Was macht diese seltsamen Objekte für Mathematiker überhaupt interessant? Einer ihrer Reize ist, dass sie trotz ihrer Einfachheit die ursprüngliche komplexe Kurve ziemlich genau widerspiegeln. Komplizierte algebraische Fragestellungen verwandeln sich auf tropischer Ebene in rein kombinatorische Probleme, die ein Computer lösen kann.

Denn erstaunlicherweise haben tropische und algebraische Kurven viele Gemeinsamkeiten. Ein Beispiel dafür zeigt sich im »Satz von Bézout«, wonach die Anzahl der Schnittpunkte zweier Kurven gleich dem Produkt ihres jeweiligen Grades ist, das heißt des höchsten Exponenten der Variablen x und y im Polynom F(x, y). Überraschenderweise lässt sich der Satz von Bézout auch auf tropische Kurven übertragen – in diesem Fall ist er sogar allgemeiner. Die tropische Version des Theorems stellt keinerlei Bedingungen an die zwei Geraden, während die algebraische Variante erfordert, dass sie sich nicht über eine gewisse Strecke überlappen. Der tropische Satz von Bézout bietet zudem einen weiteren Vorteil: Neben der Anzahl an Schnittpunkten liefert er auch Hinweise darauf, wo sie zu finden sind.

Zählen von Lösungen

Dass solche Theoreme aus der algebraischen Geometrie einfach auf tropische Objekte übertragbar sind, verwundert Mathematiker. Doch das gibt ihnen ein neues Werkzeug in die Hand. So konnten sie in den letzten Jahren die Gemeinsamkeiten von tropischen und algebraischen Kurven nutzen, um komplizierte Beweise zu vereinfachen.

Das wohl prominenteste Beispiel dafür findet sich in der enumerativen Geometrie, einem der ältesten mathematischen Bereiche. Schon in der Antike interessierten sich Gelehrte für die Anzahl von Lösungen geometrischer Probleme. Apollonios von Perge fragte sich etwa, wie viele Kreise man zeichnen kann, die drei vorgegebene Kreise gleichzeitig berühren. Im 16. Jahrhundert fand man heraus, dass die Aufgabe immer acht Lösungen hat – unabhängig davon, wie die drei vorgegebenen Kreise angeordnet sind. Auch Euklid beschäftigte sich mit dem Zählen von Lösungen. Er postulierte im dritten Jahrhundert vor Christus, dass es nur eine Gerade gibt, die durch zwei beliebig platzierte Punkte verläuft. Seither versuchen Mathematiker das Problem zu verallgemeinern: Wie viele Kurven bestimmten Grades verlaufen durch drei oder mehr willkürlich verteilte Punkte in der Ebene oder in einem komplizierteren Raum?

Punkte und Kurven | Zwei Punkte in einer Ebene definieren genau eine Gerade. Durch fünf willkürlich verteilte Punkte verläuft genau ein Kegelschnitt (hier eine Ellipse). Für Kurven höheren Grades gibt es ähnliche Beziehungen. 2005 legten Mathematiker dazu einen Beweis vor, den sie mit Hilfe der tropischen Geometrie führten.

Im 17. Jahrhundert hatte sich der französische Mathematiker Blaise Pascal jener Aufgabe für Figuren gestellt, die sich aus dem Schnitt eines Kegels mit einer Ebene ergeben (»Kegelschnitte«). Zu diesen Kurven zweiten Grades zählen Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln. Er fand heraus, dass fünf beliebig verteilte Punkte – von denen höchstens zwei auf einer Geraden liegen – eindeutig einen Kegelschnitt definieren. Geometer fragten sich daraufhin, ob solche enumerativen Probleme für alle algebraischen Kurven allgemein gelöst werden können. Wie sich herausstellte, gibt es zumindest eine bestimmte Klasse, so genannte rationale Kurven, für die das möglich ist. Und die tropische Geometrie sollte den Beweis dieser Aussage drastisch vereinfachen.

Erst 1994 fand der französisch-russische Geometer Maxim Kontsevich, der heute am Institut des Hautes Études Scientifiques (IHES) in der Nähe von Paris arbeitet, eine Methode, um rationale Kurven zu zählen. Er leitete eine Formel her, welche die Anzahl Nd aller rationalen Kurven d-ten Grades berechnet, die 3d − 1 Punkte in der Ebene durchqueren.

Aus Kontsevichs Formel folgt unter anderem, dass es zwölf Kurven dritten Grades gibt, die durch acht vorgegebene Punkte verlaufen (N3 = 12); dass 620 Kurven vierten Grades elf Punkte durchqueren (N4 = 620) und 87 304 Kurven fünften Grades 14 Punkte schneiden (N5 = 87 304). Diese Ergebnisse waren schon vorher bekannt. Mit Kontsevichs Formel kann man jedoch Kurven beliebig hohen Grades auf einfache Weise zählen. Sie lieferte unter anderem die bislang unbekannten Werte: N6 = 26 312 976, N7 = 14 616 808 192 und N8 = 13 525 751 027 392. Obwohl die Zahlen rasant ansteigen, bleiben sie stets endlich. Das mag auf den ersten Blick erstaunlich wirken, aber die 3d − 1 Punkte legen eine komplexe rationale Kurve fest.

Elf Jahre nach Kontsevichs bahnbrechender Veröffentlichung fanden Andreas Gathmann und Hannah Markwig von der Universität Kaiserslautern eine tropische Version von Kontsevichs Formel. Sie zählt alle tropischen Kurven d-ten Grades, die 3d − 1 Punkte kreuzen. Zusammen mit einer Arbeit von Grigory Mikhalkin von der Universität Genf, in der er eine Verbindung zwischen algebraischen Kurven d-ten Grades und ihren tropischen Analoga fand, liefert das Ergebnis einen einfacheren Beweis für Kontsevichs Formel.

Die Rückkehr ins Reelle ist nicht immer einfach

Allerdings vermag man damit lediglich komplexe Kurven zu zählen. Beschränkt man sich auf rein reelle Objekte, gestaltet sich das Problem weitaus schwieriger. Ihre Anzahl hängt nämlich von der genauen Verteilung der Punkte im Raum ab. Erst 2002 fand der Mathematiker Jean-Yves Welschinger, der heute an der Université de Lyon arbeitet, einen Trick zur Berechnung der nach ihm benannten Welschinger-Invarianten Wd. Diese bestimmt jedoch nicht alle reellen Kurven d-ten Grades, die durch 3d − 1 Punkte verlaufen, sondern bloß ihre Mindestanzahl. Welschingers Ansatz besteht darin, alle Kurven mit einem Vorzeichen zu versehen, bevor er sie zählt. Dadurch tragen manche positiv und andere negativ zu der Anzahl bei. Er konnte zeigen, dass diese Summe Wd nicht mehr von der genauen Verteilung der Punkte im Raum abhängt.

Es fehlte aber eine einfache Methode wie Kontsevichs Formel, um Welschinger-Invarianten zu berechnen. Hier kommt die tropische Geometrie ins Spiel und liefert eines der ersten Beispiele, in dem das junge Forschungsgebiet zu neuen mathematischen Erkenntnissen geführt hat. 2009 fanden Ilia Itenberg von der Universität Paris-Sorbonne, Viatcheslav Kharlamov von der Universität Straßburg und Eugenii Shustin von der Universität Tel Aviv mit Hilfe der tropischen Geometrie eine Formel, die Welschinger-Invarianten ausspuckt. Aus ihr folgt beispielsweise, dass W1 = 1, W2 = 1, W3 = 8 und W4 = 240 ist. Wenn es also N3 = 12 komplexe Kurven dritten Grades gibt, die durch acht Punkte in der Ebene verlaufen, sind mindestens W3 = 8 davon reell. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Vorzeichen bedeutet das: Es gibt je nach Verteilung der acht Punkte im Raum entweder acht (alle haben das gleiche Vorzeichen), zehn (eine hat ein anderes Vorzeichen als die neun übrigen) oder zwölf (zwei Kurven haben ein negatives und zehn ein positives Vorzeichen) reelle Kurven gibt, die sie passieren.

Die tropische Geometrie half im August 2018 auch David Jensen von der University of Kentucky und Sam Payne von der Yale University dabei, eine bisher unbekannte Eigenschaft algebraischer Kurven zu enthüllen. Da diese Kurven eigentlich zweidimensionale Objekte sind, können sie Löcher haben, über die sie häufig klassifiziert werden. Jensen und Payne fanden heraus, dass solche mit 22 und 23 Löchern von »allgemeinem Typ« sind, was unter anderem bedeutet, dass es unmöglich ist, jede dieser Kurven durch rationale Funktionen zu beschreiben.

Insgesamt hat die tropische Geometrie zu wichtigen Fortschritten in unterschiedlichen mathematischen Bereichen geführt. Sogar in der Physik könnte sie ein jahrzehntealtes Rätsel lösen. Es wundert noch immer viele Wissenschaftler, dass sich der brandneue Forschungszweig als so effizient erweist. Sein Vorteil besteht darin, dass er viele komplizierte Probleme zu rein kombinatorischen Fragen vereinfacht, die ein Computer beantworten kann.

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  • Quellen

Gathmann, A., Markwig, H.: The Caporaso-Harris formula and plane relative Gromov-Witten invariants in tropical geometry. Mathematische Annalen 338, 2007

Itenberg, I. et al.: A Caporaso-Harris type formula for Welschinger invariants of real toric Del Pezzo surfaces. Commentarii Mathematici Helvetici 84, 2009

Kontsevich, M.: Enumeration of rational curves via torus actions. ArXiv hep-th/9405035, 1994

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