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Depression: Trübe Aussichten

Die Netzhaut depressiver Menschen reagiert schwach auf Kontraste.
"Die ganze Welt ist grau in grau" – unser Sprachgebrauch lässt kaum Zweifel daran, welche Farbe wir mit dem Zustand der Schwermut verbinden. Laut Studie am Universitätsklinikum Freiburg sind solche Äußerungen jedoch nicht rein metaphorisch, sondern haben eine reale Grundlage in der Sinnesphysiologie: Bei Menschen mit klinischer Depression reagieren Netzhautneuronen nur eingeschränkt auf Kontrastreize.

Emanuel Bubl und Kollegen von der Abteilung für experimentelle Neuropsychiatrie platzierten Elektroden an den Augäpfeln depressiver Patienten. Auf diese Weise registrierten die Forscher direkt die Erregung der Netzhaut, während die Personen wechselnde Schachbrettmuster betrachteten. Da Hell-dunkel-Unterschiede bereits von Nervenzellen in der Retina verarbeitet werden, geben die so gewonnenen Signale Aufschluss über das Kontrastsehen einer Person, unabhängig von ihrer subjektiven Wahrnehmung.

Bei den Depressiven fiel die gemessene Reaktion im Schnitt nur halb so stark aus wie bei gesunden Kontrollpersonen. Dabei machte es keinen Unterschied, ob der jeweilige Patient aktuell Psychopharmaka einnahm oder ob es sich um einen akuten oder einen chronischen Fall handelte. Zudem war die ermittelte Kontrastschwäche höchst verlässlich: Mehr als 90 Prozent der Probanden, deren Netzhautreaktion unterhalb eines charakteristischen Grenzwerts lag, waren depressiv. Oberhalb dieses Wertes betrug der Anteil der Depressiven nur rund 20 Prozent.

Als exaktes Diagnoseverfahren eigne sich die Methode damit zwar noch nicht, so Bubl. Sie stelle jedoch einen neuen Ansatz dar, um die neurologischen Veränderungen im Rahmen einer Depression objektiv zu bestimmen. Frühere Studien hatten bereits nahe gelegt, dass die Wahrnehmung äußerer Reize bei Depressiven bereits auf einer frühen Stufe der Verarbeitung gestört ist. (rs)

Bubl, E. et al.: Seeing Gray When Feeling Blue? Depression Can Be Measured in the Eye of the Diseased. In: Biological Psychiatry 10.1016/j.biopsych.2010.02.009, 2010.

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