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Naturkatastrophen: Tsunamis verhalten sich unerwartet

Schon geringe Veränderungen der Wassertiefe lenken die zerstörerischsten Wellen in andere Gefilde.
Ein Tsunami trifft die Küste - Satellitenbild

Wenn es am Pazifik bebt, müssen sich auch Menschen in anderen Erdteilen in Sicherheit bringen. Dann nämlich, wenn eine Welle über das Meer rast und tausende Kilometer vom Erdbebenherd entfernt einen Tsunami auslöst. Um Katastrophen wie 2004 zu vermeiden, als 230 000 Menschen in Asien ihr Leben verloren, geben Warndienste detaillierte Karten heraus, wo mit solchen plötzlichen Küstenwellen zu rechnen ist. Rote oder gelbe Streifen zeigen an, in welche Richtungen besonders hohe Wellen laufen.

Doch bei der Berechnung dieses Musters, das für den Alarm auf Inseln oder in Küstenstädten ausschlaggebend sein kann, gibt es womöglich einen bislang vernachlässigten Effekt. Unvermeidbare Fehler bei der Messung der Wassertiefe könnten die Wellenhöhen an bestimmten Orten drastisch verändern, rechnen Forscher aus Göttingen in "Nature Physics" vor. "Oft kennt man die Wassertiefe nicht genauer als auf 250 Meter", sagt Ragnar Fleischmann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, "aber schon kleinere Ungenauigkeiten können die Richtungen, in die die höchsten Wellen mit dem größten Zerstörungspotenzial laufen, völlig verändern."

Auch ein Ozeanbecken mit vier Kilometer Tiefe ist nämlich für die Wellen eines Tsunamis flaches Wasser, so dass die Struktur des Untergrunds die Ausbreitung beeinflusst. Weil die Verteilung von Rinnen, Gräben, Hügeln oder Rücken am Boden nicht komplett zufällig sei, erklärt Fleischmann, würden die Wellen fokussiert. "Das ist wie eine Reihe von schlechten Linsen, die zusammen manche Strahlen bündeln und andere zerstreuen."

Ein simpler Vergleich belegt die These: In einer Simulation haben die Forscher einmal die gängigen Tiefenangaben für ein inselloses Gebiet im Indischen Ozean verwendet, dann zufällig verfremdete Zahlenwerte. Die Tiefe verschob sich typischerweise um bis zu vier Prozent oder 160 Meter – zu wenig für reale Messgeräte. Im ersten Fall liefen die drei größten Wellen in Winkeln von etwa 2, 65 und 89 Grad davon, im zweiten in Winkeln von ungefähr 40, 60 und 72 Grad. Genauere Aussagen wären nur möglich, so die Forscher, wenn man das Tiefenprofil genauer als auf zwei Prozent bestimme.

Welche Rolle die Arbeit für die Tsunamivorhersage in der Realität spielt, ist jedoch unklar. "Wir kennen die Tiefe des Ozeans nicht so genau wie gefordert, trotzdem sind die Prognosen gut. Das spricht gegen die Theorie der Kollegen", sagt Andrey Babeyko vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam. Dort wurde nach der Katastrophe 2004 ein Warnsystem für den Indischen Ozean entworfen. Solche Anlagen bestehen aus einem Netz von Bojen, die die Wellenhöhe messen. Ihre Daten fließen oft in die Prognose ein, um sie iterativ immer weiter zu verbessern.

Doch auch ohne diesen Trick liefert eine Berechnung brauchbare Ergebnisse, sagt Babeyko, der das nach eigener Aussage anhand des Tohoku-Seebebens am 11. März 2011 überprüft hat. Damals hatte ein Tsunami nicht nur fast 20 000 Todesopfer in Japan gefordert, sondern auch drei Blöcke des Kernkraftwerks Fukushima-I in die Kernschmelze getrieben. Später krachten auf Hawaii und in Kalifornien Wellen gegen die Küste und richteten Sachschäden an.

Das Team aus Göttingen erkennt durchaus an, dass die Tsunamivorhersage heute in vielen Fällen gut funktioniert. "Auf Grund unserer Rechnungen erwarten wir jedoch, dass es auch Fälle geben wird, in denen deutliche Abweichungen auftreten können", sagt Ragnar Fleischmann. "Um dafür gewappnet zu sein, müsste man den beschriebenen Effekt in zukünftigen Prognosen berücksichtigen."

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