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Infektionskrankheiten: Wie groß ist die Tuberkulose-Gefahr in Deutschland?

Binnen kurzer Zeit erkrankten drei junge Menschen in Kaiserslautern an Tuberkulose. Einerseits ist sie gut behandelbar. Andererseits steigt durch die Politik von Präsident Trump die Gefahr durch die Seuche auch in Deutschland. Ein Überblick.
Eine Ärztin zeigt einer älteren Patientin ein Röntgenbild der Lunge. Die Ärztin deutet mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle auf dem Bild, während die Patientin aufmerksam zusieht. Die Szene spielt sich in einer medizinischen Umgebung ab.
Ein Röntgenbild der Lunge ist bis heute ein wichtiger Teil der Tuberkulose-Diagnostik. Auf diesem Weg kann man eine latente Tuberkulose von einer »offenen«, also ansteckenden Erkrankung unterscheiden.

Dreimal binnen weniger Wochen ist in der Umgebung von Kaiserslautern eine der gefährlichsten Krankheiten der Welt diagnostiziert worden. Das klingt dramatischer, als es ist, denn die Tuberkulose lässt sich mit Antibiotika leicht behandeln. Und doch sind die Fälle ein Warnzeichen, dass die so verheerende Seuche keineswegs weg ist. Auch in den Industrieländern könnte sie langfristig wieder mehr Probleme bereiten, wenn sich die Umstände verändern. Und das tun sie gerade.

Schnelle Diagnose und effektive Antibiotikatherapien haben die Tuberkulose, eine bakterielle Infektion, die meist die Lunge befällt, in vielen Ländern verschwinden lassen. Unbehandelt tötet sie etwa die Hälfte der Infizierten, weltweit starben 2023 rund 1,25 Millionen Menschen an der Seuche – mehr als an jeder anderen Infektionskrankheit. Und immer mehr Bakterienstämme entwickeln Resistenzen gegen Antibiotika. Mit den drastischen Einschnitten bei US-amerikanischen Gesundheitsprogrammen überall auf der Welt droht sich die Situation deutlich zu verschärfen. Schlimmstenfalls könnten Bakterien entstehen, gegen die kein Medikament mehr wirkt, warnen Fachleute.

Auch in Europa war die Schwindsucht, wie die Tuberkulose wegen der typischen Kombination von Schwäche, Auszehrung und blutigem Husten hieß, bis weit ins 20. Jahrhundert eine der verbreitetsten und gefürchtetsten Seuchen. Sie galt als Krankheit der Künstler. Franz Kafka und John Keats starben jung an Tuberkulose, der Komponist Frédéric Chopin war ebenso erkrankt wie Friedrich Schiller, die Autorin Emily Brontë und der russische Dramatiker Anton Tschechow.

In Deutschland ist Tuberkulose sehr selten

Heute ist die Krankheit dank verbesserter Lebensbedingungen und Antibiotikatherapien in vielen Ländern nahezu verschwunden, auch in Deutschland. Doch die Fälle von Kaiserslautern sind keineswegs exotisch. 2023, dem letzten Jahr, für das vollständige Daten vorliegen, erkrankten in Deutschland knapp 4500 Menschen durch Mycobacterium tuberculosis und verwandte Erreger wie Mycobacterium bovis, über 100 starben daran. Nachdem die Zahl der Fälle in Deutschland jahrelang zurückgegangen war, steigt sie seit 2021 wieder an. Ursachen seien vor allem Flucht und Vertreibung aus Ländern mit deutlich mehr Infizierten, zum Beispiel aus der Ukraine, berichtet das Robert Koch-Institut in seinem jüngsten Tuberkulose-Bericht von Februar 2025.

Die Krankheit zu behandeln ist ungewöhnlich langwierig, denn die Tuberkulosebakterien wachsen sehr langsam und reagieren entsprechend verzögert auf die Medikamente. Betroffene müssen zwei Monate lang eine Kombination aus vier Antibiotika einnehmen, anschließend weitere vier Monate lang zwei der Medikamente. Auch bei Kindern dauert die Therapie sechs Monate, allerdings gibt man üblicherweise zu Anfang drei statt der vier Präparate. Fast immer verschwindet das Bakterium dadurch vollständig.

Die aktiven und ansteckenden Erkrankungen, die »offene« Tuberkulose, sind allerdings bloß der sichtbare Teil eines viel größeren Problems. Nur wenige Menschen, die sich neu anstecken, entwickeln auch Symptome. Die große Mehrzahl der Infizierten trägt den Erreger symptomlos in sich. Diese latente Tuberkulose, bei der die Bakterien von Immunzellen eingekapselt sind, betrifft eine gigantische Zahl von Menschen. Rund ein Viertel der Weltbevölkerung ist latent infiziert. Und bei etwa fünf bis zehn Prozent von ihnen bricht die Krankheit irgendwann aus, oft in den ersten Jahren nach der Infektion, manchmal aber erst Jahrzehnte später.

Viele Menschen tragen den Erreger unerkannt in sich

Dadurch entwickelt Tuberkulose eine ganz andere Dynamik als zum Beispiel die Grippe. Zwar verbreitet sie sich ebenfalls durch Aerosole und Tröpfchen. Doch während bei klassischen Atemwegserregern die Infizierten schnell akut erkranken und dann bald entweder tot oder gesund sind, liegt bei Tuberkulose die ursprüngliche Ansteckung häufig schon sehr lange zurück. In Deutschland zum Beispiel gibt es kaum noch Ansteckungen; die Krankheit entsteht fast immer aus einer länger bestehenden latenten Infektion.

Die Seuche ist deswegen unter uns, meist unerkannt. Da lediglich ein kleiner Teil der Infektionen die Krankheit auslöst, muss es hunderttausende latent infizierte Menschen in Deutschland geben, so ganz genau weiß das niemand; und immer wieder werden einige von ihnen krank. Die Symptome ähneln oberflächlich einem grippalen Infekt; werden sie nicht als Tuberkulose identifiziert und entsprechend behandelt, können Betroffene die Infektion in ihrem Umfeld weitergeben. Außerdem vermuten Fachleute, dass es neben den latenten Infektionen und akut erkrankten Menschen eine weitere Form der Tuberkulose gibt. Manche Menschen haben zwar keine Symptome, sind aber dennoch ansteckend. Laut einigen Studien könnten Infizierte immer wieder zwischen diesen Formen der Krankheit wechseln.

Das macht Tuberkulose so schwer zu bekämpfen. Einzelne Erkrankungen können, wie nun im Raum Kaiserslautern, immer wieder auftreten. Die Gesundheitsämter testen in solchen Fällen die Kontaktpersonen der Infizierten auf die Infektion. Im Umfeld der aktuellen Fälle ist bisher laut offiziellen Angaben kein weiterer Fall identifiziert worden. Kinder erkranken häufiger und auch schwerer als Erwachsene; aus diesem Grund erhalten sie nach Kontakt mit Erkrankten eine vorbeugende Therapie.

Tuberkulose ist im Vergleich zu viralen Atemwegsinfektionen nicht allzu ansteckend, doch durch den langwierigen chronischen Krankheitsverlauf stecken Erkrankte über lange Zeiträume andere Menschen an – im Mittel über ein Dutzend im Jahr. Infizierte zu finden, zu behandeln und weitere Erkrankungen zu unterbinden ist darum entscheidend, um die Krankheit unter Kontrolle zu behalten.

Trumps Kürzungen bedrohen die Fortschritte gegen Tuberkulose

Besonders bedroht ist der Globale Süden, denn die Tuberkulose ist eine Krankheit der Armut und der beengten Lebensverhältnisse. In Europa ging die Sterblichkeit durch die Krankheit dank verbesserter Hygiene und großzügigeren Wohnraums schon vor Einführung effektiver Therapien deutlich zurück – aber auch der umgekehrte Trend ist möglich. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks stiegen durch zunehmende Armut auch die Todesraten durch Tuberkulose.

Insgesamt jedoch starben seit den 1980er Jahren weltweit immer weniger Menschen an Tuberkulose. Das liegt daran, dass die Gesundheitsversorgung und die Lebensbedingungen allgemein besser geworden sind. Doch die Covid-Pandemie zeigte, wie fragil diese Fortschritte sind. Weil Tests und Behandlungen für viele Menschen durch Pandemiemaßnahmen schwerer zugänglich waren, verbreitete sich die Tuberkulose wieder stärker. Weil die Tuberkulose unbehandelt so tödlich ist, zeigen sich Schwierigkeiten beim Zugang zu Diagnostik und Behandlung, die zu höheren Infektionsraten führen, auch recht schnell in den Sterbezahlen. Das Ergebnis: In den Jahren 2020 und 2021 starben global je 100 000 Menschen zusätzlich an der Krankheit. Etwa eine halbe Million Menschen infizierten sich 2021 zusätzlich.

Die trumpschen Kürzungen könnten sogar noch wesentlich drastischere Auswirkungen haben. Denn in der Pandemie gelang es vielen Gesundheitssystemen auch dank Computermodellen, die Auswirkungen der Einschränkungen vorherzusehen und gezielt abzumildern. Fallen dagegen die bis zu 250 Millionen Dollar weg, die die USA bisher jedes Jahr in Programme gegen Tuberkulose investiert haben, steht ein großer Teil der weltweiten Kontrolle der Krankheit vor dem Aus. Bereits jetzt würden Mitarbeiter entlassen, Medikamente nicht mehr geliefert und Diagnostik und Überwachung zusammenbrechen, warnt die Weltgesundheitsorganisation in einem Statement.

Gefahr durch resistente Keime

Dadurch steigt die Bedrohung durch Tuberkulose langfristig an. Das größte Problem dabei sind Resistenzen gegen die gängigen Medikamente. Immer mehr Tuberkulosestämme sind unempfindlich gegenüber den klassischen Wirkstoffen Rifampicin und Isoniazid; der Anteil dieser multiresistenten Keime hatte sich laut RKI schon 2022 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt, auf 6,1 Prozent. Fachleute schätzen, dass weltweit mehr als zehn Prozent aller Erkrankungen gegen die Standardtherapie resistent sind. Und auch gegen die als BPaL/M bezeichnete Ersatztherapie haben sich bereits Resistenzen entwickelt – nur wenige Jahre nach ihrer Einführung.

Verglichen mit anderen bakteriellen Infektionen ist die Tuberkulose ohnehin relativ aufwändig zu behandeln. Resistenzen gegen ein oder mehrere Antibiotika können die Therapie scheitern lassen – und weitere Resistenzentwicklung gegen andere Komponenten des Cocktails fördern. Deshalb müssen die Bakterien eigentlich zu Beginn der Behandlung auf ihr Resistenzprofil getestet werden.

Aber auch das ist mühselig. Weil die Tuberkulosebakterien so langsam wachsen, dauern klassische Resistenztests an Bakterienkulturen mehrere Wochen. Molekularbiologische Tests gehen schneller, benötigen jedoch spezialisierte Labore oder relativ teure Schnelltests, die außerdem gekühlt werden müssen. Bricht die Finanzierung für diese Resistenztests weg, werden mehr resistente Tuberkulosestämme mit ungeeigneten Medikamenten behandelt und entsprechend entstehen auch mehr Resistenzen gegen die Antibiotika.

Ein weiterer Faktor ist, dass Behandlungszentren geschlossen werden. Diese geben nicht nur die Medikamente aus, die sich viele Menschen privat nicht leisten könnten, sondern stellen auch sicher, dass Infizierte die langwierige und oft von Nebenwirkungen begleitete Therapie vollständig abschließen – denn vorzeitig beendete Antibiotikatherapien fördern ebenfalls Resistenzen.

Tuberkulose bleibt eine Bedrohung

Darum ist das Ende der für die weltweite Tuberkulosekontrolle so wichtigen US-Hilfen auch für Deutschland ein potenzielles Problem. Tuberkulose ist in Deutschland mit rund fünf »offenen« Erkrankungen pro 100 000 Einwohnern zwar sehr selten, die jüngsten Erkrankungen in Rheinland-Pfalz zeigen jedoch, dass die Seuche keineswegs weg ist. Resistente Keime würden die Behandlung erschweren und womöglich das Ausbreitungsrisiko vergrößern.

Und dass größere Ausbrüche der Krankheit auch in eigentlich sicheren Ländern auftreten können, zeigt ein Beispiel aus den USA. Das Land meldet, auf die Einwohnerzahl gerechnet, nur etwas mehr als halb so viele Erkrankungen wie Deutschland – dennoch kam es 2024 im Bundesstaat Kansas zu einem Ausbruch mit 68 Erkrankten und insgesamt mehr als 150 Infizierten. Dank zügiger Diagnose und Behandlung bekamen die Behörden den Ausbruch jedoch schnell in den Griff.

Was die veränderte politische und medizinische Situation weltweit für die Tuberkulose in Deutschland konkret bedeutet, lässt sich derzeit nur schwer einschätzen. Viel hängt auch davon ab, aus welchen Ländern Menschen nach Deutschland kommen. So ist zum Beispiel in der Ukraine der Anteil an medikamentenresistenten Tuberkulosestämmen besonders hoch, wodurch sich auch in Deutschland die Zahl solcher Fälle 2022 gegenüber dem Jahr zuvor beinahe verdoppelte.

Dank der nach wie vor sehr wirksamen Therapien auch gegen solche Tuberkulosestämme sind die gelegentlich auftretenden Erkrankungen jedoch keine direkte Gefahr. Sie sind vor allem eine Erinnerung daran, dass die heimtückische Seuche zwar unterdrückt, aber keineswegs besiegt ist. Die größte Gefahr kommt deswegen nicht so sehr aus dem Rest der Welt, sondern von innen. Die seit geraumer Zeit sehr geringen Tuberkulosezahlen in Deutschland basieren darauf, dass ein leistungsfähiges Gesundheitssystem die Krankheit aktiv in Schach hält. Das Beispiel USA zeigt, wie schnell neue politische Prioritäten den Schutz vor Infektionskrankheiten aushöhlen können.

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