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News: Turbolader für Nervenzellen

Bislang war es Forschern noch weitgehend ein Rätsel, welche molekulare Mechanismen für die schnelle Weiterleitung von Signalen von einer zur nächsten Nervenzelle entscheidend sind. Die Ergebnisse Göttinger Wissenschaftler könnten nun Licht ins Dunkel bringen: Sie haben eine Proteinfamilie identifiziert, welche die Informationsübertragung zwischen Nervenzellen reguliert. Die Proteine Complexin I und II beschleunigen wie ein Turbolader die Ausschüttung von Neurotransmittern, also Signalstoffen im Gehirn. Fehlen diese Eiweißbausteine im Gehirn, verlangsamt sich die Transmitterfreisetzung erheblich.
Nervenzellen treten an spezialisierten Stellen oder morphologischen Strukturen, den so genannten Synapsen, miteinander in Kontakt: Ein in der signalgebenden Nervenzelle erzeugter elektrischer Impuls führt dazu, dass chemische Botenstoffe ausgeschüttet werden, die dann wiederum eine signalempfangende Nervenzelle anregen. Bei einer Vielzahl von psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen stellten Wissenschaftler Störungen dieser Neurotransmitter-Ausschüttung fest. Deshalb versuchten sie in der Hirnforschung schon seit längerem herauszufinden, wie ein ankommender Nervenimpuls innerhalb von nur fünf Tausendstel einer Sekunde die Ausschüttung von Botenstoffen auslösen kann.

Von zentraler Bedeutung sind dabei Kalziumionen. Sie strömen nach Ankunft des Impulses in den sendenden Teil der Synapse ein und bewirken dort – gewissermaßen als "Zünder" – die Ausschüttung des Botenstoffs. Die Botenstoffmoleküle sind zuvor in kleine, membranumhüllte Bläschen, so genannte synaptische Vesikel "verpackt" worden. Sie speichern den Botenstoff und transportieren ihn zur Zellmembran. Die Ausschüttung erfolgt dann, indem die Vesikel mit der Zellmembran verschmelzen und dabei die Botenstoffmoleküle nach außen freisetzen. Wissenschaftlern war bisher allerdings vollkommen unklar, welche molekularen Mechanismen dieser schnellen Neurotransmitter-Ausschüttung zugrunde liegen.

In den Arbeitsgruppen von Nils Brose vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin und Christian Rosenmund vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie wird bereits seit etlichen Jahren an den molekularen Prozessen geforscht, welche die Kommunikation zwischen Nervenzellen im Gehirn steuern. Zusammen mit ihren Mitarbeitern Michael Mansour und Kerstin Reim ist es ihnen nun gelungen, eine Proteinfamilie zu identifizieren, welche die schnelle Neurotransmitter-Ausschüttung bewirkt.

Dazu mussten die Wissenschaftler zunächst genetisch veränderte Mäuse heranzüchten. Bei diesen knock-out-Mäusen hatten die Forscher die Gene für die Herstellung der beiden Eiweißbausteine Complexin I und Complexin II quasi ausgeschaltet. Diese zwei Proteine waren Brose und Rosenmund bereits in früheren Studien als 'verdächtig' aufgefallen – die Forscher mutmaßten, dass es sich hierbei um Regulatoren handeln könnte, welche die kalzium-abhängige 'Zündung' der Neurotransmitter-Ausschüttung steuern. Tatsächlich ergab die anschließende Analyse, dass sich die Transmitter-Ausschüttung bei den knock-out-Mäusen dramatisch verändert hatte.

Werden nicht genügend Complexin-Moleküle produziert, "zündet" die Ausschüttung äußerst ineffizient. Offensichtlich erhöhen die Complexine – einem Turbolader gleich – die Geschwindigkeit der Signalübertragung zwischen den Nervenzellen. Mehr noch: Fehlen beide Proteine, führt das unmittelbar zum Tod der Mäuse. Fehlt nur eines der beiden Proteine, treten – je nach Art derMutation – Lernprobleme oder starke Bewegungsstörungen auf. Dieser Befund der Göttinger Wissenschaftler ist umso bedeutsamer, da parallel laufende Studien zweier britischer Arbeitsgruppen gezeigt haben, dass bei verringerten Mengen von Complexin im Gehirn neurodegenerative Erkrankungen, wie der Veitstanz – Huntington'sche Erkrankung –, oder bestimmte Schizophrenieformen auftreten.

"Es ist schon lange klar, dass die von uns untersuchten elementaren Mechanismen der Signalübertragung zwischen Nervenzellen bei vielen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen gestört sind", sagen Brose und Rosenmund. "Mit den vorliegenden Ergebnissen haben wir jetzt jedoch zum ersten Mal einen zuverlässigen Hinweis darauf, dass die von uns untersuchten Proteine direkt an einem Krankheitsprozess beteiligt sein könnten." Einschränkend stellen die Wissenschaftler fest, dass Complexine sicher nicht die eigentlichen Auslöser dieser Erkrankungen sind. "Aber nach unseren jetzigen Erkenntnissen ist es gut möglich, dass Veränderungen an diesen Proteinen einige der beobachteten Symptome herbeiführen und zum Fortschreiten der Erkrankungen beitragen." Um diese Möglichkeit zu überprüfen, wollen die Göttinger Hirnforscher künftig mit ihren englischen Kollegen zusammenarbeiten. Im Modellorganismus der Maus möchten sie die Rolle der Complexine bei der Huntington'schen Krankheit genauer untersuchen.

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