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Sternentwicklung: Turbulente Geburt von Neutronensternen

Die Entwicklung eines Neutronensterns (Computergrafik)

Mit den bislang aufwändigsten Computersimulationen gelang es Forschern am Max-Planck-Institut für Astrophysik, die komplizierten Vorgänge bei der Entstehung von Neutronensternen im Zentrum kollabierender Sterne mit zuvor nicht erreichter Genauigkeit zu berechnen. Diese weltweit ersten dreidimensionalen Modelle mit einer detaillierten Behandlung aller wichtigen physikalischen Effekte bestätigen, dass extrem heftige, stark asymmetrische Schwipp-Schwapp- und Drehbewegungen der stellaren Materie auftreten. Damit stützen die Ergebnisse der Simulationen grundsätzliche Vorstellungen über die dynamischen Prozesse, wenn ein Stern als Supernova explodiert.

Die Entwicklung eines Neutronensterns | Eine dreidimensionale Computersimulation zeigt den sich entwickelnden Neutronenstern 0,28 Sekunden nach Beginn des Geburtsvorgangs. In charakteristischen pilzartigen Blasen "kocht" neutrinogeheiztes Gas, während eine Instabilität gleichzeitig wilde Pulsationen und Drehbewegungen der gesamten geheizten Materieschicht (rot) und der einhüllenden Supernovastoßwelle (blau) verursacht.
Sterne mit mehr als der acht- bis zehnfachen Masse unserer Sonne beenden ihr Leben in einer gewaltigen Explosion, bei der das stellare Gas mit ungeheurer Wucht in den umgebenden Raum geschleudert wird. Solche Supernova-Explosionen gehören zu den energiereichsten und hellsten Phänomenen im Universum und können für Wochen die Strahlkraft einer ganzen Galaxie erreichen. Sie sind der kosmische Ursprungsort chemischer Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Silizium und Eisen, aus denen unsere Erde und unser Körper bestehen, und welche in schweren Sternen über Jahrmillionen erbrütet oder bei der Sternexplosion frisch erzeugt werden.

Supernovae sind aber auch die Geburtsstätten von Neutronensternen, jener höchst exotischen, kompakten Sternleichen, in denen rund die eineinhalbfache Masse der Sonne auf die Größe einer Kugel mit dem Durchmesser Münchens zusammengequetscht wird. Dies geschieht in Bruchteilen einer Sekunde, wenn der stellare Kern unter dem Einfluss der eigenen Schwerkraft in sich zusammenbricht und seine katastrophale Implosion erst dann abstoppt, wenn die Dichte von Atomkernmaterie – gigantische 300 Millionen Tonnen im Volumen eines Zuckerwürfels – überschritten wird.

Aber was verursacht den Supernova-Ausbruch des Sterns? Wie kommt es zur Umkehr seiner Implosion zu einer Explosion? Die genauen Vorgänge, die sich hierbei abspielen, sind immer noch Gegenstand intensiver Forschung. Neutrinos, mysteriöse Elementarteilchen, die bei den extremen Temperaturen und Dichten im kollabierenden stellaren Kern und entstehenden Neutronenstern in riesiger Zahl erzeugt und abgestrahlt werden, sind der gängigsten Vorstellung zufolge daran entscheidend beteiligt. Wie die Wärmestrahlung eines heißen Heizkörpers heizt die Neutrinostrahlung das den heißen Neutronenstern umgebende stellare Gas und könnte so die Explosion des Sterns "zünden". Nach dieser Vorstellung würden die Neutrinos so lange Energie ins stellare Gas pumpen und Druck aufbauen, bis eine Stoßwelle den Stern in einer Supernova zerreißt. Doch funktioniert dieses theoretische Modell? Ist dies die Erklärung für den immer noch rätselhaften Mechanismus hinter der Sternexplosion?

Leider (oder zum Glück!) lassen sich die Prozesse im Zentrum explodierender Sterne weder im Labor nachmachen, noch kann man sie im tiefen Innern des Sterns, verborgen von vielen Sonnenmassen dichten stellaren Gases, direkt beobachten. Die Forschung ist daher auf extrem aufwändige Computermodelle angewiesen, in denen die komplizierten mathematischen Gleichungen gelöst werden, mit denen die Bewegung des Sterngases und die Physik bei den extremen Temperaturen und Dichten im kollabierenden stellaren Kern beschrieben werden. Dazu werden die leistungsstärksten existierenden Supercomputer eingesetzt, und dennoch konnten bis vor kurzem solche Berechnungen nur mit groben Vereinfachungen durchgeführt werden. Wollte man zum Beispiel die entscheidenden Effekte der Neutrinos genau berechnen, konnte dies bestenfalls in zwei Raumdimensionen geschehen, was bedeutet, dass für den Stern in den Computermodellen eine künstliche Rotationssymmetrie um eine Achse angenommen wurde.

Mit einem durch Unterstützung von Experten am Rechenzentrum Garching (RZG) verbesserten, besonders effizienten und schnellen Computerprogramm, den leistungsstärksten verfügbaren Supercomputern und einer Rechenzeit von rund 150 Millionen Prozessorstunden, dem größten jemals von der "Partnership for Advanced Computing in Europe (PRACE)" Initiative der Europäischen Union vergebenen Kontingent, konnte ein Team von Forschern am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) in Garching die Abläufe in kollabierenden Sternen nun erstmals in den drei natürlichen Raumdimensionen im Detail simulieren.

"Dabei benutzten wir fast 16000 Prozessorkerne im Parallelbetrieb, und dennoch benötigte eine einzige Modellrechnung rund 4,5 Monate", sagt der Doktorand Florian Hanke, der die Simulationen durchführte. Nur zwei Rechenzentren in Europa konnten hierfür hinreichend leistungsfähige Supercomputer für so lange Zeiträume zur Verfügung stellen, nämlich die Rechner CURIE am Très Grand Centre de calcul (TGCC) du CEA bei Paris und SuperMUC am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in München/Garching.

Was sich dabei nach Auswertung und Visualisierung der produzierten vielen Terabytes (ein Terabyte entspricht einer Billion Bytes) von Zahlenkolonnen den Forschern offenbarte, versetzte das Team in Staunen und Aufregung. Das stellare Gas zeigt nicht nur das durch die Neutrinoheizung erwartete wilde Brodeln und Blubbern mit den dafür typischen aufsteigenden Blasen, ähnlich wie bei sprudelnd kochendem Wasser. (Dieser Vorgang wird als "Konvektion" bezeichnet.) Die Wissenschaftler sahen im Sterninneren zusätzlich auch heftige, große Schwipp-Schwapp-Bewegungen, die zeitweise sogar in schnelle, kraftvolle Rotationsbewegungen übergehen. Ein solches Verhalten war zwar vorher bereits bekannt und hatte die Bezeichung "Akkretionsstoßinstabilität" (oder "SASI" vom englischen "Standing Accretion Shock Instability") erhalten. Diese Bezeichnung soll ausdrücken, dass die Supernovastoßwelle nicht kugelförmig bleibt, sondern starke, pulsierende Asymmetrien ausbildet, die aus kleinen Störungen oszillierend anwachsen. Dies war aber bislang nur in vereinfachten und unvollständigen Modellrechnungen beobachtet worden.

"Mein Kollege Thierry Foglizzo am Forschungsinstitut Service d' Astrophysique des CEA-Saclay bei Paris hat ein genaues Verständnis der Wachstumsbedingungen dieser Instabilität entwickelt", erklärt Hans-Thomas Janka, der Leiter der Forschergruppe. "Er hat ein Experiment konstruiert, in dem bei einem Sprung der Wasserhöhe in einem kreisförmigen Wasserfluss pulsierende Asymmetrien auftreten, ganz analog zur Stoßwelle im kollabierenden Materiestrom um das Supernovazentrum." Anhand dieses "SWASI" ("Shallow Water Analogue of Shock Instability") genannten Phänomens lassen sich dynamische Vorgänge im tiefen Innern eines sterbenden Sterns in vereinfachter Form anhand eines preiswerten Tischexperiments nachvollziehen, freilich ohne die wichtigen Effekte des Neutrinoheizens. Daher zweifelten viele Wissenschaftler trotzdem am Auftreten dieser Instabilität im Innern von kollabierenden Sternen.

Die Garchinger Forschergruppe konnte nun erstmals zweifelsfrei zeigen, dass die Instabilität auch in den bislang realistischsten Computermodellen eine bedeutende Rolle spielt. "Sie dirigiert nicht nur die Materiebewegungen im Supernovakern, sie prägt dadurch auch den Neutrino- und Gravitationswellensignalen, die bei einer galaktischen Supernova beobachtet werden, charakteristische Signaturen auf. Außerdem macht sie die Sternexplosion extrem asphärisch, so dass der entstehende Neutronenstern eine hohe Rückstoßgeschwindigkeit und eine Eigendrehung erhält", umreißt Teammitglied Bernhard Müller die wichtigsten Konsequenzen solcher dynamischen Vorgänge im Supernovakern.

Die Forscher beabsichtigen nun, mit weiteren Modellen die messbaren Effekte der SASI genauer zu analysieren und ihre Vorhersagen entsprechender Signale zu verbessern. Auch wollen sie mit weiteren und längeren dreidimensionalen Computersimulationen verstehen, wie diese Instabilität mit dem Neutrinoheizen zusammenarbeitet und seine Wirkung verstärkt. Es soll dabei endlich geklärt werden, ob ein solches Zusammenspiel der lang gesuchte Mechanismus ist, der die Supernova auslöst und dabei den Neutronenstern als kompakten Überrest zurücklässt.

MPA / Red.

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