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News: Turbulentes Tohuwabohu

Luft- und Flüssigkeitsströmungen bringen mitunter chaotische Muster hervor - so genannte Turbulenzen. Ihre Eigenschaften zu erforschen, geschweige denn irgendein System in ihnen zu erkennen, stellt sich als äußerst kompliziert heraus. Physikern, die sich mit diesem besonderen Strömungsphänomen beschäftigen, ist es nun gelungen, mehr Licht ins Wirrwarr zu bringen, indem sie sich einer Methode bedienten, die normalerweise ihre Kollegen in der Hochenergie-Physik nutzen. Sie fanden heraus, dass manche Teilchen in der Strömung rekordverdächtige Geschwindigkeiten auf kleiner Distanz in sehr kurzer Zeit erreichen.
Es ist nicht einfach, Turbulenzen zu erforschen, da die Änderungen im Fließverhalten chaotisch und blitzschnell auftreten. Bei konventionellen Methoden fügt man dem Medium einige Testteilchen hinzu, deren Bewegung sich verfolgen lässt. Allerdings eignet sich diese Methode eher, um gemächliche Beschleunigungen festzustellen. Bei Turbulenzen ist das ein hoffnungsloses Unterfangen: Es ist nahezu unmöglich, die Bahn der Teilchen in einer derart unruhigen Umgebung zu bestimmen.

Das mussten auch Eberhard Bodenschatz und seine Kollegen von der Cornell University feststellen. "Wir wollten gerade aufgeben, als ich mich mit Jim Alexander vom Cornell Electron-Positron Collider unterhielt", erinnert sich Bodenschatz. Wie konnte der Fachmann aus der Teilchenphysik seinem Kollegen helfen?

Der Beschleuniger an der Cornell University misst mit einer Anordnung lichtempfindlicher Siliziumstreifen bis zu 70 000 Teilchenzerfälle pro Sekunde – eine zeitliche Auflösung, die wie geschaffen ist für die Beobachtungen von Bodenschatz und seinem Team. Alsbald passten denn die Forscher auch das Messsystem des Colliders an ihre Bedürfnisse an: Der neue Aufbau bestand aus drei Anordnungen von Silizium-Detektoren, sodass die Bewegung der Testteilchen dreidimensional zu erfassen war.

Schließlich untersuchten die Physiker mit ihrem modifizierten Versuchsaufbau hoch turbulente Strömungen mit Reynoldszahlen bis zu 63 000. Die Reynoldszahl ist ein Maß für die Stärke von Turbulenzen. Sie hängt von der Dichte und der Geschwindigkeit der Flüssigkeit ab.

Ein Computer errechnete aus den aufgenommenen Daten die Beschleunigungswerte der Strömung. Das Team war überrascht angesichts der großen Spannweite an Werten: Sie schwankten zwischen null und 15 000 ms-2. Ein Sportwagen schafft im Vergleich dazu gerade mal etwa 7 ms-2.

Durch die Messungen war es den Physikern nun auch möglich, einige theoretische Vorhersagen bezüglich turbulenter Systeme des russischen Mathematikers Andrey Kolmogorov zu bestätigen, die dieser bereits vor einem halben Jahrhundert aufstellte. Zudem helfen die Untersuchungen vielleicht zu verstehen, wie sich Wolken bilden, was für Prozesse in der Atmosphäre ablaufen und wie Umweltverschmutzung fortschreitet. Auch dem Verständnis einer Vielzahl von industriellen Prozessen, bei denen Chemikalien vermischt werden oder etwas verbrennt, könnten die neuen Erkenntnisse zugute kommen. "Von akademischer Seite her haben wir zwar immer noch kein vollständiges Bild von den Eigenschaften dieser Turbulenzen", meint Bodenschatz, "aber die präzise Verfolgung von Teilchen eröffnet uns neue Wege."

Bodenschatz ergänzt, dass einige Erdenbewohner vielleicht doch schon die extrem chaotischen Bewegungsabläufe verstehen: Mücken. Diese halten sich just in dem Moment an einem Grashalm fest, in dem die Windgeschwindigkeit einen bestimmten Wert überschreitet. So vermeiden sie es, in die turbulente Atmosphäre weggefegt zu werden.

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