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Hirnanatomie: Typisch »deutsch« verschaltet

Die Sprachen Deutsch und Arabisch haben beide ihre Tücken, aber in unterschiedlicher Weise. Das zeigt sich auch in der Hirnanatomie von Muttersprachlern.
Per Computer erzeugtes Bild von Nervenfaserverbindungen im menschlichen Gehirn
Die Diffusions-Tensor-Bildgebung, eine Form der Magnetresonanztomografie, macht die Verdrahtung von Hirnarealen sichtbar. Das resultierende Bild entsteht aus Berechnungen am Computer. (Symbolbild)

Sprachen können auf unterschiedliche Weise schwierig sein: Arabisch etwa ist schwer zu lesen, weil einige Laute nicht geschrieben werden. Und der deutsche Satzbau ist so kompliziert, dass man leicht den Überblick verliert. Beides spiegelt sich in der Hirnanatomie der Sprecherinnen und Sprecher, berichtet eine Forschungsgruppe vom Max-Planck-Institut (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig in der Fachzeitschrift »NeuroImage«. Demzufolge tauschen sich je nach Muttersprache bestimmte Sprachzentren besonders stark aus und legen entsprechend breite Kommunikationswege an.

Das Team um den Hirnforscher Alfred Anwander und seine Doktorandin Xuehu Wei hatte Hirnscans von knapp 50 gesunden Erwachsenen mit deutscher oder arabischer Muttersprache angefertigt. Dazu verwendeten die Forschenden eine Technik der Magnetresonanztomografie namens Diffusions-Tensor-Bildgebung: Sie misst, wie sich Wassermoleküle im Hirngewebe fortbewegen. So wird die weiße Substanz sichtbar – jene Bündel von Nervenfasern, mit denen sich die Neurone (die graue Substanz) der Großhirnrinde über weite Strecken miteinander verschalten.

Bei den Versuchspersonen mit deutscher Muttersprache fanden sie stärkere Verbindungen im Sprachnetzwerk der linken Hemisphäre, wo die Sprache ihren Hauptsitz hat. Dass das Deutsche dort besonders breite Kabel braucht, könnte mit seinem komplexen Satzbau zu tun haben, erklärt die Gruppe: Die Stellung vieler Wörter im Satz sei vergleichsweise frei wählbar, und selbst zusammengehörige Wörter könnten weit entfernt stehen. Das linke Broca-Areal – das Grammatikzentrum – sei sehr »sensibel« für komplexe deutsche Satzstrukturen, und die linke untere Frontallappenfurche stelle Gedächtniskapazitäten bereit, die es braucht, um weit entfernte abhängige Satzelemente gedanklich zu verbinden.

Das Arabische birgt andere Herausforderungen. Zum Beispiel fehlen in der arabischen Schrift oft die Zeichen für kurze Vokale; beim Lesen müssen deshalb Aussprache und Bedeutung eines Wortes über Vorwissen oder aus dem Kontext erschlossen werden, und dabei hilft die rechte Hirnhälfte. Das hinterlässt Spuren, etwa im Corpus callosum, der Hauptbrücke zwischen den Hemisphären. »Arabische Muttersprachler zeigten eine stärkere Vernetzung zwischen linker und rechter Gehirnhälfte als deutsche Muttersprachler«, berichtet Alfred Anwander in einer Pressemitteilung des MPI. Verstärkte Verbindungen stellten er und sein Team auch zwischen semantischen Sprachregionen im Schläfen- und Scheitellappen fest. Das könne »mit der relativ komplexen semantischen und phonologischen Verarbeitung im Arabischen zusammenhängen«.

Sprachnetzwerke | Bei den Versuchspersonen mit deutscher Muttersprache sind die Verbindungen innerhalb der linken Hirnhälfte stärker, bei denen mit arabischer Muttersprache die zwischen den Hemisphären.

Es gab schon zuvor erste Studien, die neuroanatomische Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Muttersprachen fanden. Dabei handelte es sich aber um andere Sprachen wie das Chinesische und Englische, und die Stichproben waren kleiner. Bekannt ist auch, dass sich graue und weiße Substanz beim Lernen einer Fremdsprache verändern. Die Forschungsgruppe will jetzt untersuchen, was sich im Gehirn arabischsprachiger Erwachsener tut, wenn sie sechs Monate lang Deutsch lernen.

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