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Nachhaltige Mobilität: U-Bahnen entlasten Städte spürbar vom Autoverkehr

U-Bahnen sind teuer, aber wirksam. In Städten mit U-Bahn fahren deutlich weniger Menschen Auto als dort, wo nur Straßenbahnen rollen, zeigt eine neue Analyse.
Ein gelber Zug fährt mit hoher Geschwindigkeit durch eine U-Bahn-Station. Die Bewegung des Zuges erzeugt einen verschwommenen Effekt. Im Vordergrund sind die Bahnsteigkanten und metallene Stützpfeiler sichtbar. Die Szene vermittelt Dynamik und urbanes Leben.
In Berlin werden 42 Prozent der Pendlerwege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt; die U-Bahn hat daran einen entscheidenden Anteil.

Straßenbahnen helfen eher nicht dabei, den Autoverkehr in europäischen Städten zu reduzieren, U-Bahnen dagegen schon. Das zumindest legt das Ergebnis einer Studie nahe, die der Datenwissenschaftler Rafael Prieto-Curiel vom österreichischen Complexity Science Hub im Fachmagazin »Nature Cities« veröffentlicht hat. In Städten ganz ohne Schienenverkehrssystem liege der Anteil der Autofahrten unter allen zurückgelegten Pendlerstrecken im Durchschnitt pro Einwohnerin und Einwohner bei 54 Prozent. Gibt es eine U-Bahn, liegt der Anteil bei deutlich niedrigeren 37 Prozent, während er in Städten mit einem Straßenbahnnetz weiterhin 50 Prozent betrage. Für seine Analyse wertete Prieto-Curiel die täglichen Pendelwege in rund 400 europäischen Städten aus. Da sich die Städte in ihrer Struktur und Ausdehnung teils stark voneinander unterscheiden, sollte das Ergebnis jedoch nicht überinterpretiert werden.

Die Wahl des am besten geeigneten Verkehrsmittels ist eine zentrale Herausforderung für Städte. U-Bahnen können viele Menschen schnell über weite Strecken befördern, sind aber teuer, aufwendig zu bauen und daher nur in wenigen, meist sehr großen Städten zu finden. Im Jahr 2020 gab es in weltweit 190 Städten ein U-Bahn-Netz. Straßenbahnen gelten oft als günstigere Alternative. Um das Jahr 1930 herum fuhren in rund 900 Städten weltweit Straßenbahnen. Doch mit dem Aufstieg des Autos ging es rapide bergab – Mitte des 20. Jahrhunderts wurden fast zwei Drittel der weltweiten Straßenbahnnetze stillgelegt. Erst in jüngerer Zeit, vor dem Hintergrund steigender Energiepreise, erdrückender Verkehrslast und wachsender Klimasorgen, erleben sie wieder ein Comeback. Im Jahr 2020 gab es in etwas mehr als 400 Städten Straßenbahnen, mit geschätzten 14,7 Milliarden jährlichen Fahrgästen. Fast 60 Prozent der Länge dieses weltweiten Straßenbahnnetzes befinden sich in Europa.

Aber können Straßenbahnen Menschen dazu bringen, das Auto stehenzulassen? Wie groß ist der Effekt?

»Untersucht wurden 47 europäische Städte mit einer U-Bahn, 46 Städte mit einer Straßenbahn, aber ohne U-Bahn, und 285 Städte, die weder eine U-Bahn noch eine Straßenbahn haben«, erklärt Prieto-Curiel. Die Daten dazu stammen aus einem größeren Datensatz, den der Forscher bereits für eine frühere Arbeit zusammengetragen hatte und der über die interaktive Visualisierung »Cities Moving« abrufbar ist. Es zeigt sich: In U-Bahn-Städten nutzen Menschen den öffentlichen Verkehr insgesamt deutlich häufiger (35 Prozent) als in Straßenbahn-Städten (21 Prozent) und Städten ganz ohne Schienenverkehr (16 Prozent). Bei der Berechnung dieser Werte wurde jede Stadt proportional zu ihrer Einwohnerzahl gewichtet, um zu berücksichtigen, dass »größere Städte mehr Einfluss auf den Durchschnitt haben, weil dort mehr Menschen unterwegs sind«.

Und: Je größer die Stadt, desto größer ist der Effekt. In Großstädten mit mehr als 750 000 Einwohnern ohne U-Bahn-Netz liegt der Anteil des Autoverkehrs bei 63 Prozent, egal ob es eine Straßenbahn gibt oder nicht. Existiert dagegen ein U-Bahn-Netz, bleibt der Anteil des Autoverkehrs unabhängig von der Einwohnerzahl mit 36 Prozent annähernd konstant. Mit anderen Worten: Eine U-Bahn ist losgelöst von der Größe der Stadt eine attraktive Alternative zum Auto, eine Straßenbahn erzeugt diesen Effekt nicht; dort geht die Nutzung des öffentlichen Verkehrs mit wachsender Bevölkerung sogar zurück.

»Natürlich gibt es auf Stadtebene Abweichungen von diesen Durchschnittswerten. So verfügen etwa Utrecht in den Niederlanden, Szeged in Ungarn und Bern in der Schweiz zwar über keine U-Bahn, weisen aber dank einer hohen aktiven Mobilität dennoch nur einen Pkw-Anteil von rund 20 Prozent auf«, sagt Prieto-Curiel. Das heißt, in diesen Städten sind viele Menschen zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. »Umgekehrt zeigen Städte wie Rom in Italien oder Toulouse in Frankreich – trotz vorhandener U-Bahn – mit mehr als 60 Prozent einen vergleichsweise hohen Pkw-Anteil.«

»Wenn der öffentliche Nahverkehr gut funktioniert, nutzen ihn mehr Menschen, was wiederum weitere Verbesserungen rechtfertigt; in Städten, die vom Autoverkehr abhängig sind, ist das Gegenteil der Fall«Andres Fielbaum, Verkehrsingenieur

Eine starke statistische Korrelation ist allerdings noch kein Hinweis auf einen ursächlichen Zusammenhang. So merkt etwa der Verkehrsingenieur Andres Fielbaum von der University of Sydney an, der am Begutachtungsprozess der Studie beteiligt war, dass Städte, die bereits über ein starkes öffentliches Verkehrsnetz verfügen, eher in U-Bahn-Systeme investieren. »Wenn der öffentliche Nahverkehr gut funktioniert, nutzen ihn mehr Menschen, was wiederum weitere Verbesserungen rechtfertigt; in Städten, die vom Autoverkehr abhängig sind, ist das Gegenteil der Fall.« In diesem Sinne zeige die Studie zwar, dass U-Bahnen ein Schlüsselelement innerhalb des positiven Kreislaufs sind. Es könne jedoch nicht automatisch geschlossen werden, dass sie das Allheilmittel sind, das einen negativen Kreislauf in einen positiven verwandle.

Kritisch anzumerken ist darüber hinaus, dass die Datenbasis mit knapp 400 Städten recht klein und sehr heterogen ist. So gibt der Studienautor selbst auf Nachfrage zu bedenken, dass die Muster nicht immer eindeutig seien und die Daten somit extrapoliert werden mussten. »In Lüttich (Belgien) etwa bewegen sich nur acht Prozent der Einwohner aktiv mit dem Rad oder zu Fuß fort, in Basel (Schweiz) dagegen mehr als 55 Prozent, obwohl die Einwohnerzahl beider Städte ähnlich ist«, sagt er. Auch könne die Studie keine Aussage darüber treffen, ob die bloße Präsenz der U-Bahn die Menschen tatsächlich dazu bringt, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Dazu sei die zusätzliche Betrachtung von Einflüssen wie der städtischen Struktur und persönlichen Faktoren wie etwa Alter, Einkommen, Einstellungen oder die bewusste Wohnortwahl relevant.

Dass Straßenbahnen aber offenbar nicht denselben Effekt auf die Reduktion von Autofahrten haben wie U-Bahnen, erklärt der Wissenschaftler damit, dass sie meist langsamer und weniger kapazitätsstark seien. Außerdem seien generell viele Nahverkehrssysteme zersplittert und unzureichend ausgebaut. Besonders Haushalte mit geringem Einkommen in Randlagen sind häufig von schlechtem Service betroffen – mit niedriger Taktung, geringen Geschwindigkeiten, hohen Kosten und unzuverlässigen Verbindungen. Somit sind Investitionen in ein durchdachtes und vor allem leistungsfähiges öffentliches Verkehrssystem nicht nur ein zentraler Hebel, um Städte nachhaltiger zu machen, sondern tragen auch dazu bei, sie lebenswerter und sozial gerechter zu gestalten.

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  • Quellen
Prieto-Curiel, R., Nature Cities 10.1038/s44284–025–00342–7, 2025

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