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Bauchfett: Die verborgene Gesundheitsgefahr für unsere Organe

Das sogenannte Viszeralfett, das für einen runden Bauch sorgt, spielt eine besonders große Rolle für unsere Gesundheit. Haben wir zu viel davon, drohen zahlreiche Krankheiten.
Ein Foto zeigt den seitlichen Oberkörper eines Menschen mit freiem Oberkörper vor einem grauen Hintergrund. Der Fokus liegt auf dem Bauchbereich.
Ein runder Bauch, kombiniert mit relativ schlanken Gliedmaßen, repräsentiert eine »androide« Verteilung des Körperfetts. Aus medizinischer Sicht ist sie deutlich ungünstiger als eine »gynoide« Fettverteilung mit üppigen Rundungen an Hüften, Oberschenkeln und Gesäß.

Die Stühle in der Adipositas-Ambulanz für Erwachsene am Uniklinikum Leipzig sind auffällig breit. Und sie halten bis zu 500 Kilogramm aus. »Wir wollen, dass unsere Patienten sich willkommen fühlen«, sagte Matthias Blüher, Leiter der Ambulanz und Direktor des dort ansässigen Helmholtz-Instituts für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung, in einem Interview mit der Deutschen Welle. Für manche Besucher sind die Stühle allerdings immer noch nicht breit genug. Blüher betreut Patienten, die an Adipositas leiden: einer krankhaften Form von Übergewicht, die sich durch einen Body-Mass-Index (BMI) oberhalb von 30 auszeichnet und schätzungsweise 16 Millionen Deutsche betrifft. Weltweit hat sich die Zahl übergewichtiger Personen – das sind solche mit einem BMI ab 25 – von 1990 bis 2022 mehr als verdoppelt. Mittlerweile gibt es mehr als eine Milliarde Betroffene; Fachleute hatten eigentlich erst für das Jahr 2030 mit dem Überschreiten dieser Zahl gerechnet. Übergewicht ist somit zur regelrechten »Epidemie« geworden, wie die Weltgesundheitsorganisation die Entwicklung bezeichnet.

Übergewicht und Adipositas gehen oft mit schweren gesundheitlichen Komplikationen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes einher, an denen jährlich etwa fünf Millionen Menschen sterben. Schon in den 1950er Jahren beobachtete der französische Endokrinologe Jean Vague, dass diese Begleiterkrankungen nicht bei allen Übergewichtigen in gleichem Maß auftreten: Sie kommen bei einer »androiden« Verteilung des Körperfetts (runder Bauch und schlanke Beine, wie bei korpulenten Männern häufig zu sehen) häufiger vor als bei einer »gynoiden« Verteilung (üppige Rundungen an den Hüften, Oberschenkeln und am Gesäß, wie eher für Frauen typisch). Das innere Bauchfett – auch als Viszeralfett bezeichnet, weil es unsere Eingeweide (»Viscera«) umhüllt –, ist deutlich weniger auffällig als das Unterhautfett, das die gynoiden Depots bildet. Erst ab einer gewissen Menge lässt es sich an einem erhöhten Bauchumfang erkennen. 88 Zentimeter Bauchumfang bei Frauen und 102 Zentimeter bei Männern gelten als problematisch. Denn seit den Beobachtungen Vagues haben hunderte Studien bestätigt: Vor allem das Viszeralfett verursacht die gesundheitlichen Komplikationen, die mit Übergewicht einhergehen.

Dabei ist das Fettdepot im Unterleib, das Magen, Darm, Leber, Bauchspeicheldrüse und Nieren umhüllt, für unseren Körper unentbehrlich. Wie ein formbares Polster schützt es die inneren Organe vor Stößen und anderen Kraftwirkungen und versorgt sie kurzfristig mit Energie, die sie zum Funktionieren brauchen. »Das Fettgewebe ist nicht nur ein Sack, wo sich Lipide ansammeln«, erklärt Karine Clément, Professorin am Département de Nutrition des Pariser Krankenhauses La Pitié-Salpêtrière und Direktorin der Forschungseinheit »Nutriomics« an der Sorbonne Université. »Es ist ein eigenständiges endokrines (Signalstoffe in die Blutbahn abgebendes, Anm. d. Red.) Organ, das mit allen anderen Organen kommuniziert.«

Fettzellen beeinflussen den Stoffwechsel

Die Fettzellen unseres Körpers, fachsprachlich Adipozyten genannt, produzieren hunderte Molekülsorten einschließlich Hormonen, die dem Informationsaustausch mit anderen Organen dienen und den Stoffwechsel beeinflussen. Das gilt vor allem für die Adipozyten des Viszeralfetts. Sie teilen dem Organismus bei einer Unterernährung beispielsweise mit, dass die Insulinsensitivität erhöht werden soll (siehe »Insulinwirkung und Diabetes«). Sie signalisieren dem Körper, ob genügend Energiereserven für eine Immunreaktion zur Verfügung stehen, und falls nicht, ob bestimmte Immunantworten unterdrückt werden sollten. Sammelt sich, wie bei Adipositas-Erkrankten, zu viel Viszeralfett an, verschiebt sich das Gleichgewicht in die andere Richtung: Der Organismus regelt die Insulinsensitivität herunter, was die Glukoseaufnahme in die Körperzellen drosselt. Je nachdem, wie stark der Effekt ausgeprägt ist, entwickelt der Körper eine mehr oder weniger fortgeschrittene »Insulinresistenz«, reagiert also nur noch vermindert auf die Ausschüttung dieses Hormons. Zudem setzt das Bauchfett bestimmte Moleküle namens Zytokine frei, die Entzündungsreaktionen fördern. Das führt zu schwelenden, »stummen« Entzündungen, die – anders als akute Abwehrreaktionen gegen Bakterien oder Viren – nicht abklingen und zahlreiche Prozesse im Organismus stören.

Insulinwirkung und Diabetes

Das körpereigene Hormon Insulin ermöglicht es, den Blutzuckerspiegel abzusenken, indem es den Übertritt von Kohlenhydraten aus dem Blut in die Körperzellen fördert. Vor allem das Fettgewebe, die Leber und die Muskeln sind auf dieses Hormon angewiesen, um Zucker aus dem Blut aufzunehmen, ihn als Energielieferanten zu nutzen oder in Fettreserven umzuwandeln. Je mehr Zucker aus dem Blut in die Gewebe und Organe überwechselt, umso mehr sinkt der Blutzuckerspiegel. Reagieren die Körperzellen kaum noch auf Insulin, sodass sie trotz Anwesenheit des Hormons fast keinen Zucker mehr aus dem Blut aufnehmen, spricht man von einer verminderten Insulinempfindlichkeit oder einer Insulinresistenz. Sie kann von vielen Faktoren verursacht werden, etwa einer langjährigen unausgewogenen Ernährung mit reichlich kurzkettigen Kohlenhydraten, Bewegungsmangel, einem Übermaß an Bauchfett, einer ungünstigen genetischen Veranlagung, chronischem Stress oder bestimmten Medikamenten. Liegt eine Insulinresistenz vor, ist der Blutzuckerspiegel meist krankhaft erhöht. Um das auszugleichen, produzieren die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse mehr von dem Hormon und setzen es frei, was allerdings nur für eine begrenzte Zeit funktioniert. Irgendwann halten die Beta-Zellen die gesteigerte Produktion nicht mehr durch und stellen sie ein. Dann entsteht ein Diabetes Typ II, der oft mit blutzuckersenkenden Medikamenten, gegebenenfalls mit künstlicher Insulinzufuhr behandelt wird. Eine verminderte Insulinempfindlichkeit der Körperzellen gilt darum als Vorstufe zum Diabetes; sie lässt sich durch Ernährungsumstellung und regelmäßige Bewegung oft rückgängig machen.

 »Adipositas ist eine systemische Erkrankung, die Auswirkungen auf den ganzen Körper hat«, sagt Karine Clément. Die Mitarbeiter ihrer Forschungseinheit »Nutriomics« untersuchen seit Jahrzehnten, wie krankhaftes Übergewicht entsteht und wie das den Dialog des Bauchfetts mit dem Darm, der Leber, der Bauchspeicheldrüse oder dem Immunsystem beeinträchtigt. »Die Reserven des Viszeralfetts sind kleiner als jene des subkutanen Fetts und werden auch schneller verbraucht«, erläutert Clément. Das viszerale Depot helfe, kurzfristige Schwankungen auszugleichen, indem es Fett rasch einlagern und wieder abbauen könne, um die Körperorgane mit Energie zu versorgen. Sammle sich dort allerdings über längere Zeit hinweg zu viel Fett an, wie es bei chronischem Übergewicht und Adipositas der Fall sei, würden die Adipozyten in Mitleidenschaft gezogen. Denn verglichen mit den Zellen des Unterhautfetts seien jene im Innern des Bauchs klein und wenig dehnbar. Sind sie dauerhaft mit Lipidmolekülen vollgestopft, altern sie vorzeitig und senden Stresssignale aus. Das hat zur Folge, dass Immunzellen ins Fettgewebe einwandern und dort zusätzliche Entzündungsreaktionen verursachen. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, an Fibrose zu erkranken, wie die Forschungsgruppe um Clément gezeigt hat. Bei dieser Störung vernarbt das Fettgewebe und kann seine normalen Aufgaben nur noch eingeschränkt erfüllen. Die Fettdepots lassen sich dann nicht mehr richtig mobilisieren, und es wird immer schwieriger, Übergewicht abzubauen. »Ab einem gewissen Punkt hält sich Adipositas durch positive Rückkopplungsmechanismen selbst aufrecht und wird zu einer stetig fortschreitenden Erkrankung, auf deren Verlauf der Patient nur noch bedingt Einfluss hat«, erklärt Clément.

Adipositas | Ein Body-Mass-Index (BMI) oberhalb von 30 kennzeichnet die Adipositas, die übermäßige Vermehrung des Fettgewebes, die als eigenständige Krankheit definiert ist. In Deutschland betrifft sie etwa jede vierte erwachsene Person.

Adipositas beeinträchtigt zudem die Speicherfunktion des Bauchfettdepots, sodass Lipide aus der Ernährung nicht mehr ordnungsgemäß eingelagert werden. Zirkulieren die Fettmoleküle in der Blutbahn, fördern sie Entzündungsreaktionen im ganzen Organismus, was unter anderem die Blutgefäße schädigt (»Atherosklerose«) und Herz-Kreislauf-Probleme verursacht. Gelangen sie in die Leber, können sie eine Fettleber oder gar eine Leberzirrhose – eine Organschädigung mit Funktionsverlust – verursachen. Die Insulinresistenz wiederum, die häufig mit langanhaltendem Übergewicht einhergeht, kann in einen Diabetes Typ II münden, das heißt in eine ausgeprägte Störung des Zuckerstoffwechsels. Krankhaftes Übergewicht überlastet zudem das Immunsystem, unter anderem wegen der damit einhergehenden chronischen Entzündungen, sodass die Körperabwehr nur noch eingeschränkt ihre normale Funktion ausüben kann. Das ist während der Coronapandemie besonders deutlich geworden, in der Adipositas ein zentraler Risikofaktor für tödlich verlaufende Infektionen war. Sogar die Alzheimererkrankung sowie diverse Krebsarten stehen im Verdacht, mit den übergewichtsbedingten, dauerhaften Entzündungsprozessen verbunden zu sein.

Die Rolle von Geschlechtshormonen beim runden Bauch

Manche Menschen neigen stärker dazu, Viszeralfett zu bilden als andere – warum, ist noch nicht vollständig verstanden. Geschlecht und Alter spielen eine Rolle; männliche Geschlechtshormone etwa begünstigen eine viszerale Fetteinlagerung, weshalb Frauen oft erst nach der Menopause solche Fettdepots ausprägen. Weiterhin sind genetische Veranlagungen von Bedeutung. Bei der Lipodystrophie beispielsweise, einer Gewebeveränderung mit gestörtem Aufbau von subkutanen Fettdepots, lagert sich unnormal viel Körperfett im Bauch an, was mit einer besonders schweren Form von Diabetes sowie mit vorzeitiger Alterung einhergeht.

Bei wem das Körperfett wiederum bevorzugt subkutan angelegt wird, profitiert gesundheitlich meist davon. Das trifft zum Beispiel auf Personen zu, die zwar übergewichtig, aber trotzdem metabolisch gesund sind: Sie bleiben vom »metabolischen Syndrom« verschont, einer bedrohlichen Kombination aus erhöhten Blutzucker- und Blutfettwerten sowie Bluthochdruck. Sie erkranken nicht besonders häufig an Diabetes, und ihr Risiko, an Herz-Kreislauf-Komplikationen zu sterben, liegt nicht höher als bei Normalgewichtigen.

Metabolisch gesunde Adipositas

Anfang der 2000er Jahre haben Fachleute den Begriff »metabolisch gesunde Adipositas« (»metabolically healthy obesity«, MHO) eingeführt, um eine Form des Übergewichts zu beschreiben, bei der adipöse Personen deutlich weniger Begleiterkrankungen entwickeln als andere Patienten mit ähnlich hohem Körpermasseindex. In den darauffolgenden Jahren entstanden verschiedene Definitionen, um MHO-Patienten zu kennzeichnen. Als wesentliches Merkmal gilt die vollständige oder teilweise Abwesenheit des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Bluthochdruck sowie erhöhten Blutzucker- und Blutfettwerten. Auch die Insulinsensitivität der Körperzellen oder die Körperfettverteilung werden manchmal herangezogen, um eine MHO zu kennzeichnen. Je nach Definition machen MHO-Betroffene zwischen 10 und 50 Prozent aller adipösen Menschen aus. In der Regel sind das eher junge und eher weibliche Personen und überwiegend solche europäischer Abstammung. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ II und sogar Krebserkrankungen, die mit Übergewicht in Verbindung stehen, treten bei ihnen deutlich seltener auf. MHO scheint mit dem Merkmal zusammenzuhängen, vor allem subkutanes (Unterhaut-)Fettgewebe einzulagern und dafür weniger Viszeralfett zwischen den Bauchorganen. Bis heute bleibt der Begriff allerdings umstritten: Manche Fachleute gehen davon aus, dass MHO einen vorübergehenden Zustand darstellt und früher oder später in eine ungesunde Adipositas übergeht mit entsprechend erhöhtem Risiko für Folgeerkrankungen.

Welche Erbanlagen darüber bestimmen, ob wir der einen oder der anderen Fettspeicherungsvariante – viszeral oder subkutan – zuneigen, ist nicht völlig geklärt. Zunehmend rückt aber ein Mitspieler jenseits der Gene in den Fokus: Das Darmmikrobiom, also die Gesamtheit an Mikroorganismen, die unseren Darm besiedeln und uns bei der Verdauung unterstützen, ist wahrscheinlich ebenfalls von großer Bedeutung, wenn es um die Gefahren des verborgenen Bauchfetts geht.

Wenn die Darmflora das Bauchfett wachsen lässt

Bereits Anfang der 2000er Jahre haben Experimente an Mäusen belegt, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Adipositas besteht. Fachleute übertrugen die Darmflora von adipösen Tieren auf Artgenossen, die von Geburt an unter strikt sterilen Bedingungen gehalten worden waren und keine eigene Darmflora besaßen. Innerhalb weniger Wochen nach dem Eingriff wurden die sonst gesunden Tiere adipös. Die Tiere aus der Kontrollgruppe, die Darmbakterien von normalgewichtigen Artgenossen erhalten hatten, blieben bei derselben Ernährung schlank. Diese Experimente wurden mit menschlichen Darmbakterien wiederholt, was zu ähnlichen Ergebnissen führte: Unter einer fettreichen Diät nahmen Mäuse mit den Darmbakterien gesunder Menschen deutlich weniger zu, als wenn sie mit dem Mikrobiom adipöser Patienten beimpft worden waren.

Ein genauerer Blick auf die Darmbakterien zeigte, dass bei adipösen Personen ein Ungleichgewicht zwischen den zwei häufigsten Bakteriengruppen der Darmflora bestand: Der Stamm der Bacteroidota war unterrepräsentiert, während der Stamm der Bacillota übermäßig stark vertreten war. Allerdings wissen Fachleute mittlerweile, dass es nicht einfach »dick machende« und »dünn machende« Bakterien gibt. Vielmehr ist die Gesamtfunktionalität eines Mikrobioms von Bedeutung: Manche Bakteriengemeinschaften erweisen sich als effizienter darin, Energie aus dem Nahrungsbrei im Darm zu gewinnen und an ihren Wirt weiterzugeben – und tragen so dazu bei, die Bauchfettreserven ihres Wirts schneller aufzufüllen.

Darmflora | Unser Darm ist von unzähligen Mikroorganismen besiedelt, darunter Bakterien, Archaeen, Pilze, Viren und Protozoen (Illustration). Ohne sie würde unser Stoffwechsel nicht richtig funktionieren, und auch für unser Immunsystem haben sie große Bedeutung.

Ein weiteres Merkmal der Darmflora von adipösen Personen haben systematische Untersuchungen von Stuhlproben enthüllt: Sie ist weniger divers als die Darmflora von schlanken Menschen, weist demnach ein schmaleres Spektrum von Mikrobenspezies auf. Mehrere Studien haben gezeigt, dass diese eingeschränkte Diversität direkt mit der Menge des Viszeralfetts zusammenhängt. Vor allem infolge des westlichen Ernährungsstils büßt unser Mikrobiom an Vielfalt ein. Anders als pflanzliche Ballaststoffe werden energiereiche und hochverarbeitete Nahrungsmittel wie Fastfood und Snacks überwiegend im oberen Teil des Darms verdaut, obwohl die meisten unserer Darmbakterien den unteren Teil bewohnen. Dadurch hungern die Darmbakterien im unteren Teil und gehen vielfach zugrunde. Der US-amerikanische Immunologe Justin Sonnenburg von der Stanford University vergleicht das mit dem Verlust an Biodiversität in den Ökosystemen unserer Umwelt. Auch einige Zusatzstoffe wie Emulgatoren oder künstliche Süßungsmittel stehen unter Verdacht, die Darmflora verarmen zu lassen. Wenn auf diese Weise manche Bakterienspezies aus dem Artenspektrum unseres Mikrobioms verschwinden, kann sich das negativ auf unseren Stoffwechsel auswirken. Zum einen gewinnen gesundheitlich weniger vorteilhafte Mikroben wie die Bacillota an Einfluss, zum anderen fehlen dann Arten, die den Appetit regulieren und die Fett- beziehungsweise Energieaufnahme des Wirtsorganismus steuern.

Ein Bakterium gegen Übergewicht

2004 entdeckte eine niederländische Forschungsgruppe um Willem de Vos von der Universität Wageningen eine neue Bakteriengattung in der Darmschleimhaut von Mäusen. Die Forscher identifizierten insbesondere eine zuvor unbekannte Spezies und nannten sie Akkermansia muciniphila. Ein Team um den belgischen Physiologen Patrice Cani von der Katholischen Universität Löwen verglich die Mikrobiome von übergewichtigen und gesunden Mäusen und stellte fest: Während A. muciniphila normalerweise zum gängigen Artenspektrum der Darmflora gehörte, war es bei adipösen Tieren kaum vertreten oder fehlte komplett. Dieser Zusammenhang schien auch beim Menschen zu bestehen. Cani kontaktierte daraufhin de Vos, und die beiden kultivierten das Bakterium in großer Menge, um es an Mäusen zu testen. Mit einem klaren Ergebnis: Tiere, die A. muciniphila verabreicht bekamen, nahmen selbst bei fettreicher Diät deutlich weniger oder gar nicht zu. 2015 startete die erste klinische Studie, in der das Bakterium beim Menschen eingesetzt wurde; eingeschlossen war eine kleine Gruppe übergewichtiger Probanden. Nachdem diese das Bakterium drei Monate lang eingenommen hatten, hatten sie zwar nur wenig Gewicht verloren, jedoch stieg ihre Insulinsensitivität um rund 30 Prozent, ihr Cholesterinspiegel sank und ihre Entzündungswerte gingen zurück.

A. muciniphila ist ein »Mucus-Degradierer« unserer Darmflora, das heißt, das Bakterium ernährt sich von der alten Schleimschicht, die die Darmwand auskleidet, und produziert neue. Diese Mucus-Erneuerung hält die Darmschleimhaut gesund und stärkt ihre Barrierefunktion. Dadurch werden schädliche Substanzen daran gehindert, aus dem Darminneren in den Organismus zu übertreten. Außerdem gibt A. muciniphila so genannte kurzkettige Fettsäuren (SCFAs, von englisch »short chain fatty acids«) in seine Umgebung ab, darunter Buttersäure, Propionat und Acetat. Diese relativ kleinen Moleküle üben zahlreiche positive Wirkungen auf die menschliche Gesundheit aus und zählen zu den am besten untersuchten Metaboliten der Darmflora. Unter anderem regen sie bestimmte Darmzellen dazu an, appetitzügelnde Hormone zu produzieren, steigern die Lipidverbrennung und tragen dazu bei, dass die Epithelzellen der Darmschleimhaut dichter aneinanderheften, was ebenfalls zu einer robusteren Darmbarriere führt.

Bis heute ist umstritten, ob eine Störung des Mikrobioms die Ursache oder die Folge übermäßiger Bauchfettreserven ist

Fehlt A. muciniphila, wie bei vielen übergewichtigen Probanden der Fall, ist die Darmbarriere oft durchlässig. Dann können Toxine, Krankheitserreger oder bakterielle Bestandteile ins Blut gelangen und dort eine »Endotoxämie« hervorrufen – eine entzündliche Reaktion, die eventuell bereits bestehende, durch das Übergewicht verursachte entzündliche Prozesse verstärkt. Das haben Cani und sein Team 2007 in Versuchen mit Mäusen demonstriert. Für die negativen Folgen ist ausgerechnet das Viszeralfett besonders anfällig. Eine Endotoxämie beeinträchtigt das Bauchfett folglich noch weiter, sodass es seine Fettdepots noch schlechter mobilisieren kann und weiteres Wachstum erfährt, was einen zusätzlichen Teufelskreis in Gang setzt.

Bis heute ist umstritten, ob eine Störung des Mikrobioms die Ursache oder die Folge übermäßiger Bauchfettreserven ist. Wie auch immer: Gelänge es, die funktionelle Darmbarriere bei stark übergewichtigen Personen wiederherzustellen, ließe sich die Endotoxämie eindämmen, was ihre negativen Folgen wie Gewichtszunahme oder Insulinresistenz mildern könnte.

Verändertes Mikrobiom gegen Diabetes?

A. muciniphila ist nicht die einzige Bakterienspezies, die wegen ihrer vorteilhaften Wirkung gegen die Folgen von Übergewicht und übermäßigem Bauchfett erprobt wird. Auch Christensenella minuta,Faecalibacter prausnizii oder Dysosmobacter welbionis gehören dazu. D. welbionis, »das stinkende Bakterium«, das Canis Team 2020 entdeckt hat und das in der Darmflora von zirka 70 Prozent der Menschen vorkommt, produziert bioaktive Lipide, die antientzündlich wirken. Es wird als mögliches Mittel gegen Diabetes getestet. »Man wird Adipositas oder ein Übermaß an Viszeralfett meist nicht mit einem Bakterium beseitigen«, betont Cani, der gemeinsam mit Willem de Vos eine Firma gegründet hat, um eine pasteurisierte Form von Akkermansia muciniphila zu vermarkten. Jedoch werde die Wiederherstellung einer gesunden Darmflora, etwa mittels einer personalisierten Kombination nützlicher Bakterienspezies, den Patienten helfen, eine bessere Gewichtskontrolle zu erreichen sowie Stoffwechselstörungen zu lindern. »Davon bin ich überzeugt.«

Eigentlich sind die wichtigsten Ursachen für ein Übermaß an Bauchfett schon lange bekannt. Zwar spielen die Genetik und die Zusammensetzung des Mikrobioms eine Rolle. Doch hauptsächlich wächst das Fettdepot zwischen den Eingeweiden mit dem Gesamtgewicht, wenn die Energiezufuhr immer wieder den Energieverbrauch des Organismus übertrifft. Das passiert, wenn man zu viele Kalorien über die Nahrung zu sich nimmt und/oder sich zu wenig bewegt – typische Kennzeichen des heutigen westlichen Lebensstils. Weniger Kalorien aufzunehmen und mehr Sport zu treiben, ist deshalb ein wirksames Mittel gegen Übergewicht und zu viel Bauchfett. »Viszeralfett baut sich im Körper schnell auf, aber auch schnell wieder ab«, erläutert Matthias Blüher. Man vermute es kaum, aber oft reichten schon einige Kilos weniger auf der Waage, um die negativen Folgen viszeraler Fettdepots einzudämmen.

»Oft reichen schon einige Kilos weniger auf der Waage, um die negativen Folgen viszeraler Fettdepots einzudämmen«Matthias Blüher, Mediziner

Die »Prädiabetes Lifestyle Intervention Study« (PLIS), die das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung 2012 ins Leben rief, hat den Einfluss verschiedener Lebensstiländerungen auf die Gesundheit von mehr als 1000 Probanden mit Prädiabetes (einer Vorstufe von Diabetes) untersucht. Ungefähr ein Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer verloren dadurch mindestens fünf Prozent ihres Gewichts. Gelang dieser relativ geringfügige Gewichtsabbau, normalisierten sich die Blutzuckerwerte in fast jedem zweiten Fall, während zugleich das Viszeralfett und der Bauchumfang zurückgingen. Das Risiko, in den beiden darauffolgenden Jahren an Diabetes Typ II zu erkranken, sank dann im Schnitt um 73 Prozent.

Weniger Bauchfett dank ungesättigter Fettsäuren

Bei der »NutriAct«-Ernährungsstudie wiederum, durchgeführt vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam und der Charité in Berlin, achteten ältere Probanden drei Jahre lang verstärkt darauf, einen deutlich höheren Anteil ihres Fettbedarfs durch ungesättigte Fettsäuren abzudecken als bisher. Ihr gemitteltes Gesamtgewicht änderte sich im Vergleich zu dem der Kontrollgruppe nicht, allerdings nahm die Menge ihres Viszeralfetts deutlich ab, was mit einer Reduzierung der Cholesterinwerte sowie einem verminderten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einherging.

Das Kernforschungszentrum Negev in der gleichnamigen israelischen Wüste wirkt auf den ersten Blick nicht gerade wie ein typischer Ort, um eine Ernährungsstudie durchzuführen. Doch bilden die tausenden Personen, die dort arbeiten, das ganze Jahr über sitzende Tätigkeiten ausüben und ihre Mahlzeiten stets in denselben Betriebskantinen einnehmen, eine ideale Versuchsgruppe, um langfristige Effekte einer strikt kontrollierten Diät auf die Gesundheit zu untersuchen. Im Mai 2017 startete eine internationale Forschungsgruppe dort die Studie »DIRECT PLUS«, die den Einfluss verschiedener Diäten auf das Körpergewicht und speziell das Viszeralfett untersuchte. Übergewichtige Mitarbeiter des Kernforschungszentrums erhielten eine typische mediterrane Kost mit viel Obst und Gemüse, reichlich ungesättigten Fettsäuren – etwa in Form von Olivenöl – und wenig Fleisch. Ein Drittel der Studienteilnehmer bekam eine intensivierte Mittelmeerdiät mit komplettem Verzicht auf rotes Fleisch und doppelt so hohem Gehalt an Polyphenolen (sekundären Pflanzenstoffen). Diese Probanden nahmen täglich neben 28 Gramm verordneten Walnüssen noch drei bis vier Tassen Grüntee zu sich und ersetzten ihre Fleischportionen durch Shakes aus Wolffia-Gewächsen – proteinreichen Wasserlinsen, die in der asiatischen Küche häufig verwendet werden. Sämtliche Teilnehmer wurden dazu aufgefordert, dreimal pro Woche moderaten Sport in Form von Aerobic zu betreiben.

Nützliche Polyphenole | Zu den Nahrungsmitteln, die reichlich Polyphenole (sekundäre Pflanzenstoffe) enthalten, zählen Walnüsse und grüner Tee. Sie wirken einer übermäßigen Einlagerung von Bauchfett entgegen, haben Studien gezeigt.

Nach anderthalb Jahren untersuchte die Forschungsgruppe alle rund 300 Probanden auf Körpergewicht, Hüftumfang und Bauchfett – unter anderem mithilfe von MRT-Scans. Dabei zeigte sich: Obwohl die Gesamtkalorienaufnahme in allen Untergruppen gleich stark reduziert worden war, hatten die Teilnehmer, die eine intensivierte Mittelmeerdiät erhalten hatten, mehr als 14 Prozent Viszeralfett eingebüßt. Das war gut doppelt so viel wie bei einer konventionellen Mittelmeerdiät und dreimal so viel wie bei einem klassischen Abnehmprogramm mit kalorienarmer Ernährung. Schon frühere Untersuchungen hatten darauf hingedeutet, dass insbesondere mehrfach ungesättigte Fettsäuren – etwa aus Pflanzen oder Fisch – die Einlagerung von Bauchfett reduzieren, während kurzkettige Kohlenhydrate und rotes Fleisch sie fördern können. Die Ergebnisse der »DIRECT PLUS«-Studie belegen nun, dass Polyphenole, die etwa in Grüntee, Walnüssen und Wasserlinsenprodukten reichlich vorkommen, ebenfalls gegen Viszeralfett wirken.

Polyphenole sind schon seit Längerem für ihre antioxidativen und entzündungshemmenden Eigenschaften bekannt. Sie zählen außerdem zu den »Präbiotika« – Ballaststoffen, die zu einer gesunden Darmflora beitragen, indem sie beispielsweise die Vermehrung von Akkermansia muciniphila fördern. Im Rahmen von DIRECT PLUS ließ sich ein direkter Zusammenhang nachweisen zwischen dem Blutspiegel an Urolithin A, einem Abbauprodukt des Polyphenols Ellagsäure, und dem Rückgang an Viszeralfett. Urolithin A wird von Darmbakterien produziert und kurbelt den Fettabbau im Organismus an, indem es Fettreserven für die Wärmeproduktion mobilisiert. Polyphenolreiche Lebensmittel scheinen sowohl durch ihre Wirkung auf den Stoffwechsel als auch auf die Darmflora den Abbau von Bauchfett zu unterstützen.

Epigenetik trägt zum Jo-Jo-Effekt bei

Abnehmprogramme scheitern immer wieder am berüchtigten Jo-Jo-Effekt, der raschen Wiederzunahme des Körpergewichts etwa nach dem Absetzen einer kalorienreduzierten Diät. Auch bei neuen Therapieverfahren wie der Abnehmspritze Ozempic, die starke Gewichtsverluste ermöglichen, schlägt das Pendel oft rasch wieder zurück, sobald man die Therapie absetzt. »Der menschliche Körper kann das maximal erreichte Gewicht sehr gut verteidigen«, sagt Matthias Blüher von der Adipositas-Ambulanz am Uniklinikum Leipzig. 2016 hat er zusammen mit anderen Adipositas-Experten den Begriff »Adipositas-Gedächtnis« geprägt, um das Phänomen zu beschreiben, dass der Körper sich an den Zustand des Übergewichts zu erinnern scheint und diesen schnell wieder herbeiführt, sobald die Lebensbedingungen es zulassen.

Eine Forschungsgruppe um Laura Hinte von der ETH Zürich hat molekulare Mechanismen aufgedeckt, die dem Adipositas-Gedächtnis zugrunde liegen. Die Fachleute haben die Adipozyten aus dem Unterhaut- sowie dem Bauchfett von übergewichtigen Personen untersucht, die sich einer chirurgischen Magenverkleinerung unterzogen hatten, um die Nahrungsaufnahme zu begrenzen. Bei allen sank der BMI nach dem Eingriff um mindestens 25 Prozent, und ihre Stoffwechselwerte verbesserten sich deutlich. Zwei Jahre nach dem Eingriff stellten die Forscher jedoch fest, dass die Adipozyten dieser Personen immer noch veränderte Genexpressionsmuster aufwiesen, verglichen mit den Fettzellen nicht übergewichtiger Menschen. Es waren weiterhin vor allem solche Gene aktiv, die an entzündlichen Prozessen, Fibrose und Stressreaktionen mitwirken – insbesondere in den Depots des Viszeralfetts.

Weitere Untersuchungen an Mäusen belegten, dass diese Veränderungen oft auf epigenetischen Effekten beruhen, also auf Modifikationen der Verpackungsdichte der DNA-Moleküle, die dazu führen, dass manche Gene stärker, andere schwächer abgelesen werden. Bei adipösen Mäusen führen solche epigenetischen Effekte dazu, dass die Fettzellen im Bauchbereich quasi vorbereitet bleiben für den Fall, dass irgendwann einmal wieder fettreiche Kost verfügbar ist. Sie bleiben vergrößert und bauen bei ausreichender Kalorienzufuhr schnell Fettdepots auf, sodass die Tiere deutlich rascher wieder an Gewicht zulegen als Artgenossen, die noch nie adipös waren. Epigenetische Modifikationen sind durch Umwelteinflüsse und den Lebensstil beeinflussbar; das weckt die Hoffnung, solche negativen Langzeiteffekte rückgängig machen zu können. Tatsächlich haben Untersuchungen gezeigt, dass eine intensivierte Mittelmeerdiät die epigenetische Prägung von Blutzellen teilweise beeinflussen kann und das auch Gene betrifft, die am Stoffwechsel mitwirken. Es ist allerdings noch unklar, ob es damit gelingen kann, das Adipositas-Gedächtnis zu löschen. Umso wichtiger erscheint es, mittels gesunder Ernährung zu verhindern, dass es sich überhaupt erst entwickelt.

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  • Quellen

Cani, P. et al., Nature Reviews Gastrology & Hepatology 10.1038/s41575–023–00867-z, 2024

Hinte, L. et al., Nature 10.1038/s41586–024–08165–7, 2024

Hoffmann A. et al., Metabolism 10.1016/j.metabol.2023.155594, 2023

Liébana-Garcia R. et al., Nature Microbiology 10.1038/s41564–025–01989–7, 2025

Zelicha, H. et al., BMC Medicine 10.1186/s12916–022–02525–8, 2022

U-Din, M. et al., Metabolic Health and the Gut Microbiome in Adults 10.1210/clinem/dgad604, 2024

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