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Bienen: Der Schwänzeltanz wird überschätzt

Er ist ein verblüffendes Beispiel tierischer Kommunikation: der Schwänzeltanz. Nur warum halten sich Bienen kaum daran? Im Bienenstock wimmelt es von Rätseln, zeigt ein neues Buch des Würzburger Bienenforschers Jürgen Tautz.
Bienen am Stock

Faszinierend, wie die Kundschafterin ihren Bienen-Kolleginnen im Stock erklärt, wo sie gerade Futter gefunden hat. Wo öffnen sich die Blüten in einem Obstgarten? Wo verspricht eine Blumenwiese reiche Ernte? All das teilt sie den im Stock wartenden Sammlerinnen mit dem Schwänzeltanz mit: Zunächst läuft sie ein Stück geradeaus und wackelt dabei mit dem Hinterleib rasch und rhythmisch hin und her. In einem Halbkreis kehrt sie danach an den Ausgangspunkt zurück und wiederholt ihren Schwänzeltanz. Dieser führt immer in die gleiche Richtung, die den Kolleginnen sagt, wohin sie fliegen sollen. Je länger die Biene dabei schwänzelt, umso weiter ist das Ziel entfernt. Mit diesen Instruktionen versorgt, finden die Sammlerinnen dann die vorher ausgekundschaftete reiche Nektarquelle. Das schloss der Zoologe Karl von Frisch von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in den Jahren 1944 und 1945 aus einer langen Reihe von Versuchen. 1973 erhielt er dafür den Nobelpreis.

Sonderlich exakt aber ist die mit dem Schwänzeltanz mitgeteilte Information nicht, berichtete dann gut ein halbes Jahrhundert später, im Jahr 2000, ein Forscherteam bestehend aus Mandyan Srinivasan und Shaowu Zhang von der Australian National University in Canberra sowie Monika Altwein und Jürgen Tautz von der Würzburger Julius-Maximilians-Universität. Im Fachblatt »Science« erklärten sie, wie sie zu dieser Einschätzung gelangt waren: Die vier ließen Bienen durch sechs Meter lange Tunnel zu einer Schale mit Zuckerwasser fliegen. Waren die Innenwände des Tunnels mit einem unregelmäßigen Muster aus schwarzen und weißen Rechtecken bedruckt, teilten die Insekten ihren Artgenossen die Lage der neu entdeckten Futterquelle wie üblich mit einem Schwänzeltanz mit. Allerdings zeigten sie dabei eine Entfernung von mehr als 100 Metern an und überschätzten so die echten Verhältnisse massiv.

Das hing offensichtlich damit zusammen, dass die Insekten keinen internen Entfernungsmesser nutzen, der sich etwa danach richtet, wie viel Energie sie unterwegs verbrauchen oder wie viele Flügelschläge nötig gewesen sind. Stattdessen scheinen sie sich eher an der Landschaft zu orientieren, in der sie fliegen. Ähnlich wie vielen Menschen ein Spaziergang im Wald kürzer vorkommt als dieselbe Strecke auf einer eintönigen Ebene, gaukelte das unregelmäßige Muster im Tunnel den Bienen offensichtlich eine viel zu große Entfernung vor. Diese gaben sie dann prompt via Schwänzeltanz an ihre Kolleginnen weiter.

Der Schwänzeltanz gibt die Richtung vor | Auch die Entfernung zum Ziel lässt sich daraus ableiten. Doch die Angaben sind so ungenau, dass die Bienen am Ende vermutlich lange nach dem angekündigten Nektarschatz suchen müssen.

War der Tunnel dagegen mit Streifen parallel zur Flugrichtung versehen, hatten die Bienen einen reizarmen Weg, den sie dann auch als sehr kurze Flugstrecke unterschätzten und tanzend ihren Artgenossinnen mitteilten. In der Natur kommen solche Fehleinschätzungen allerdings kaum zum Tragen: Fliegen die Sammlerinnen doch vermutlich einen ähnlichen Weg wie die Kundschafterinnen, sehen daher die gleiche Landschaft und über- oder unterschätzen so ihre Flugstrecke ähnlich.

Genügt der Schwänzeltanz?

Allerdings hegte der Bienenforscher Jürgen Tautz schon vor dem Tunnelexperiment seine Zweifel, dass sich die Bienen wirklich nur auf den Schwänzeltanz verlassen. In seinem Anfang 2021 erschienenen Buch »Die Sprache der Bienen« legt er nun ausführlich dar, warum die Nektarsammlerinnen mehr als nur eine Strategie anwenden, um an eine Futterquelle zu kommen.

Es ist eine Überlegung, mit der Tautz nicht allein dasteht: »In seiner Nobelpreisrede im Jahr 1973 erwähnt Karl von Frisch Düfte, mit deren Hilfe Honigbienen zu einer Futterquelle finden«, erklärt Christoph Grüter, der sich an der University of Bristol im Südwesten von England ebenfalls mit der Kommunikation von Bienen und deren Schwänzeltanz beschäftigt.

Dabei findet der Schweizer Forscher, dass Bienen die Informationen aus der Tanzsprache häufig gar nicht verwenden, offenbar weil sie sie nicht brauchen: »Im Alltag haben rund 90 Prozent der Sammlerinnen im Stock genug Erfahrung und erinnern sich zum Beispiel daran, dass sie am Vortag 500 Meter entfernt an einem blühenden Obstbaum reichlich Nektar sammeln konnten«, sagt Grüter. Seine Untersuchungen zeigen, wie wichtig diese Erinnerung für die Bienen ist. Sehr häufig folgen sie dann nicht den Informationen aus dem Schwänzeltanz einer Kundschafterin zu einer neuen Futterquelle, sondern fliegen lieber zum altbewährten Obstbaum.

»Das heißt allerdings überhaupt nicht, dass der Schwänzeltanz unwichtig wäre«, sagt Grüter. Ist der an den Vortagen besuchte Obstbaum zum Beispiel inzwischen abgeblüht, folgen auch die altgedienten Sammlerinnen gern den Informationen, die ihnen Kundschafterinnen via Tanzsprache von anderen Futterquellen bringen. So erfahren sie beispielsweise, wo eine Brombeerhecke gerade zu blühen beginnt und wo sich die Suche inzwischen lohnt. Genau deshalb hält auch Jürgen Tautz den Tanz für ein wichtiges Glied in der Kommunikation der Bienen.

Grobe Information

»Der Schwänzeltanz zeigt dann die ungefähre Richtung, in der eine Futterquelle zu finden ist«, erklärt Grüter. In etlichen Fällen genügt bereits diese Information: »Blühen am Waldrand überall die Schlehen oder stoßen die Bienen auf ein saftig gelb blühendes Rapsfeld, können sie ein solch riesiges Angebot an Nektar kaum übersehen«, meint Uli Ernst von der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim. Aus diesen Blüten saugen die Insekten energiereichen Nektar, der ungefähr 30 bis 70 Prozent Zucker enthält. Bereits auf dem Rückflug zum Stock verdunsten sie einen erheblichen Teil des darin enthaltenen Wassers und dicken den Nektar so zu Honig ein, den die Arbeiterinnen des Bienenvolks als Treibstoff verwenden.

Schwieriger ist die Situation dagegen, wenn der Schwänzeltanz auf eine kleinere Futterquelle hinweist. Das kann ein kleiner Himbeerbusch oder auch ein Schälchen mit Zuckerwasser sein, wie es bereits Karl von Frisch bei seinen Experimenten den Bienen angeboten hat. Zu einer solch ergiebigen Futterquelle fliegen die Insekten dann mit dem erstaunlichen Tempo von 29 Kilometern in der Stunde, berichteten Karl von Frisch und Martin Lindauer bereits 1955 in der Zeitschrift »Naturwissenschaften«. Nur können die Bienen ein derart kleines Ziel oft gar nicht auf Anhieb finden, erklärt Uli Ernst. Er nennt dazu ein Beispiel: »Sucht ein Mensch einen vergrabenen Schatz in zwei oder drei Kilometer Entfernung, hat er kaum eine Chance, wenn die angegebene Richtung nur geringe drei Grad von der tatsächlichen abweicht.« Zwei oder drei Kilometer entspricht durchaus dem gewohnheitsmäßigen Flugradius von Honigbienen, der Schwänzeltanz aber gibt die Suchrichtung wohl eher mit einer noch größeren Abweichung an.

Weitere Hinweise

»Die Bienen kommen daher oft in einem Gebiet an, in dem laut Schwänzeltanz eine Futterquelle sein muss, die sie vor Ort auf Anhieb jedoch nicht finden«, sagt Tautz. Schon vor dem Abflug stellen sich die »Rekrutinnen« genannten Bienen darauf ein, tanken drei- bis viermal mehr Honig als die Kundschafterin und bunkern so ausreichend Treibstoff, offenbar in Erwartung eines längeren Suchflugs. Schneller fündig werden sie nur, wenn sie im Suchgebiet weitere Informationen erhalten – wie die von Karl von Frisch bereits erwähnten Düfte.

Drüse im Brauseflug | Um die Rekrutinnen zum Ziel zu lotsen, vollführen Kundschafterinnen offenbar auch spezielle Flugmanöver und setzen aus einer Drüse Lockstoffe frei.

In der von Karl von Frisch geschriebenen und von seinem Sohn Otto von Frisch vom Naturhistorischen Museum in Braunschweig gehaltenen Rede berichtete der frischgebackene Nobelpreisträger von seiner bereits 1923 veröffentlichten Arbeit »Über die ›Sprache‹ der Bienen«. Darin erläuterte er, dass Sammlerbienen eine Duftdrüse im Hinterleib aktivieren, wenn sie an einer guten Futterquelle ankommen: »Also signalisieren sie den in der Nachbarschaft suchenden rekrutierten Bienen: Kommt hierher!«

Duftende Signale

Die vom Nobelpreisträger bereits erwähnte Drüse im Hinterleib kennen Zoologen als Nasanov-Drüse, aus der Bienen einen ganzen Cocktail aus Terpenen wie Nerolsäure, Geraniol, Geraniumsäure und Citral freisetzen. »Diese Nasanov-Drüse nutzen Honigbienen in Laborexperimenten häufig, in der Natur aber sehen wir das selten«, sagt Grüter und verweist damit auf ein grundlegendes Problem der Bienenforschung: Am Stock und in seiner unmittelbaren Umgebung sowie an einer reichhaltigen Futterquelle wie einem blühenden Obstbaum oder einem Schälchen mit Zuckerwasser lassen sich die Insekten gut beobachten. Über den oft kilometerlangen Weg aber, den sie zwischen Stock und Ziel zurücklegen, gibt es nur sehr wenige Informationen. Und auch in Gebieten mit kleineren Nektarquellen, die zum Beispiel auf einer Blumenwiese relativ verstreut stehen, sind systematische Beobachtungen bisher nur schwer machbar.

»Vielleicht könnte man mit hochauflösenden Kameras den Weg der Bienen ein Stück weit verfolgen«, sagt der Hohenheimer Forscher Uli Ernst. Noch besser wäre es wohl, die Insekten mit winzigen Geräten auszurüsten, die wichtige Flugdaten aufzeichnen. Nur müssten solche Logger extrem miniaturisiert werden. Prinzipiell wäre das möglich, haben Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell und der Universität Konstanz und sein Team in ersten Versuchen bereits gezeigt. Im wissenschaftlichen Einsatz sind solche Super-Minis bislang jedoch noch nicht.

Im Brauseflug

Aber auch gute alte Lowtech-Methoden liefern noch neue Hinweise darauf, welche weiteren Informationsquellen die Honigbienen zum Ziel führen könnten. So haben Forscherinnen und Forscher beobachtet, wie etwa die erfahrenen Kundschafterinnen gelegentlich gemeinsam mit den von ihnen rekrutierten Sammlerinnen am Ziel ankommen. »Könnte es sein, dass die rekrutierten Bienen mit den Informationen aus dem Schwänzeltanz ein Suchgebiet finden und von dort unter Umständen von den Kundschafterinnen weiter zum Ziel geführt werden?«, fragt Tautz.

Gestützt wird seine Überlegung durch ein auffälliges Verhalten, das bereits Karl von Frisch beobachtet hatte: Kehren die Kundschafterinnen nach ihrem Schwänzeltanz zu der von ihnen entdeckten Futterstelle zurück, machen sie in der Nähe des Ziels sehr verblüffende Flugmanöver: Hört ein Mensch sonst vom Bienenflug üblicherweise kaum etwas, fliegt die ehemalige Tänzerin nun in der Nähe der Futterstelle einige Minuten lang anscheinend ziellos, aber laut brausend herum. Dabei kennt sie doch ihr Ziel. Warum ein neuer Suchflug? Eine Erklärung könnte das laute Brausen selbst liefern. Wahrscheinlich entsteht es, weil der Flug reichlich Turbulenzen und Luftwirbel erzeugt. Diese wiederum erhöhen den »Spritverbrauch« der Insekten erheblich, es sollte also einen triftigen Grund für solche teuren Manöver geben: »Vielleicht hinterlässt die Biene in den vom Brauseflug ausgelösten Luftwirbeln Duftspuren, die den Rekrutinnen den Weg zum Ziel zeigen«, sagt Tautz.

Aus der alten Heimat

Doch die Sache hat einen Haken: Unter freiem Himmel verflüchtigen sich solche Duftspuren schon bei geringen Luftbewegungen rasch. Weshalb sollten die Bienen sich auf solche schnell verduftenden Hinweise verlassen? »Weil die Heimat der Bienen vielleicht gar nicht das offene Gelände ist, sondern der Wald«, sagt Jürgen Tautz. Auch für diese Überlegung fanden der Würzburger Bienenforscher und andere Kollegen in den letzten Jahren etliche Hinweise. Galt die Honigbiene Apis mellifera bisher zwar als Wildtier, das aber in Europa normalerweise immer in der Obhut von Imkern lebt, tauchten in letzter Zeit recht häufig Bienenvölker auf, die ihre Stöcke fernab und meist unerkannt oft hoch oben in Baumhöhlen mitten im Wald errichteten. »Offensichtlich gehören Wälder also zu den Lebensräumen, in denen Bienen von Natur aus zu Hause sein können«, sagt Christoph Grüter.

Im dichten Wald sollten sich Duftspuren länger halten, überlegt Tautz. Vielleicht ist die Duftsprache der Bienen demnach ein Relikt aus ihrer alten Heimat? Das könnte zwar durchaus so sein, Jürgen Tautz legt aber großen Wert darauf, dass er in seinem neuen Buch nur Hypothesen vorstellt. Laut seinem Modell ähnelt die Fernorientierung der Bienen mit ihren drei Stufen den aktuell gängigen Überlegungen zum Vogelzug: Zunächst führt der Tanz die von den Kundschafterinnen rekrutierten Bienen in ein Zielgebiet, in dem sie dann, zweitens, eine Futterquelle aktiv suchen. In der dritten Stufe führen schließlich erfahrene Bienen und der Duft von Blüten zum Ziel. »Das sind interessante Vorschläge«, meint dann auch Uli Ernst von der Universität Hohenheim. »Diese Hypothesen aber sollten jetzt in der Praxis überprüft werden«, sagt Tautz an die Adresse seiner Bienenforscher-Kolleginnen und -Kollegen. Vielleicht hilft ja die Schwarmintelligenz, diese letzten Rätsel der Bienen zu lösen.

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