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Chronobiologie: Uhrenwechsel

Nach einer Reise in eine andere Zeitzone braucht unsere innere Uhr bis zu einer Woche, um den neuen Takt zu finden. Wäre es einen Versuch wert, die Essenszeiten bereits während des Fluges an den Zielort anzupassen, um sich schneller an die Zeitverschiebung zu gewöhnen?
Innere Uhr
Seit drei Stunden raschelt es bereits im Mäusekäfig. Die Tiere springen umher und halten gierig Ausschau. Sie scheinen genau zu wissen, dass gleich Essenszeit ist. Im Käfig nebenan dagegen: Totenstille – trotz nahender Mahlzeit, die Nager schlafen tief und fest. Irgendwie ticken die Maus-Nachbarn offenbar ganz unterschiedlich.

Den Rhythmus für das Ticken bestimmen die inneren Uhren. Sie bestimmen bei Maus und Mensch, wann wir schlafen und wann wir wach sind, wie hoch unser Blutdruck steht, welche Temperatur unser Körper hat und wie aktiv unser Hormon- und Immunsystem ist. Dabei schlagen sie nicht nur im Gehirn, sondern auch an einigen anderen Orten wie etwa in der Leber und dem Magen. Ein wichtiger Taktgeber ist das Tageslicht, das je nach Jahreszeit in einer regelmäßigen Periodik von etwa 24 Stunden auf- und absteigt. Wenn Licht fehlt, ticken die zirkadianen Zeitmesser schon bald nicht mehr im Rhythmus der Natur.

Innere Uhren | Die Hauptuhr befindet sich im suprachiasmatischen Nukleus (SCN) im Hypothalamus des Gehirns. Sie koordiniert den Rhythmus der anderen Nebenuhren des Körpers, die beispielsweise in den Zellen der Lunge, des Herzens, der Leber, der Niere und der Milz sind. Auch im Hypothalamus existiert neben der Hauptuhr noch eine zweite Uhr im dorsomedialen Nukleus. Sie wird durch Essenszeiten reguliert und kann die oszillierenden Zellen des SCN sogar ablösen, wenn der Organismus hungert.
Die Hauptuhr des Systems befindet sich im suprachiasmatischen Nukleus (SCN) – zwei Zellhaufen im Hypothalamus, die über der Kreuzung der beiden Sehnerven liegen. Hier geben die beiden Transkriptionsfaktoren Clock und Bmal1 den Startpfiff, das Protein Period zusammenzubauen. Über den Tag hinweg sammelt sich soviel Period an, bis ein Schwellwert überschritten wird. Das wiederum führt dazu, dass die Synthese der Proteine Clock und Bmal1 unterdrückt wird. Der Nachschub an Period bleibt also aus. Abbauproteine sind jedoch durchgehend aktiv und reduzieren die Menge an Period wieder auf das Ausgangsmaß – ein Kreislauf beginnt, den an erster Stelle das Tageslicht in einem bestimmten Zeitrahmen presst.

Doch auch andere Umweltkomponenten nehmen Einfluss auf unsere Bettruhe, wie etwa Temperaturschwankungen und das Nahrungsangebot. Wissenschaftler wissen seit einigen Jahren, dass eine zweite innere Uhr im Hypothalamus tickt. Sie ist im dorsomedialen hypothalamischen Nukleus angesiedelt und wird durch die Essenszeiten justiert. Unter welchen Bedingungen sie in Aktion tritt und wozu sie dient, war bisher nicht geklärt.

Clifford Saper und seine Kollegen von der Harvard Medical School in Boston untersuchten Mäuse, denen das Bmal1-Gen fehlte. Sie verlieren dadurch den üblichen lichtregulierten zirkadianen Rhythmus – egal ob zwölf Stunden Sonnenschein sich mit zwölf Stunden Dunkelheit abwechselten oder ob sie 24 Stunden im Dunkeln tappten.

Innere Uhren im Gehirn | Der Querschnitt durch das Gehirn einer Maus zeigt den Licht abhängigen suprachiasmatischen Nukleus und die Nebenuhr im dorsomedialen Nukleus, die durch die Essenszeiten justiert wird. Die Alarmuhr symbolisiert den Wettkampf zwischen den beiden Uhren. Die nahrungsabhängige Uhr gewinnt und bestimmt den Tagesrhythmus jedoch nur, wenn das Essen knapp wird.
Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob vielleicht eine zeitlich genau regulierte Fütterung den nicht vorhandenen Lebensrhythmus solcher Nager wiederbeleben kann. Dazu ließen sie die Tiere zunächst hungern. Dann, zu später Stunde während ihrer eigentlichen Nachtruhe, erhielten sie schließlich für vier Stunden Zugang zum Futter.

Bei Wildtypmäusen, die ein funktionstüchtiges Bmal1-Gen haben, verbreitete sich in einem solchen Versuch allgemeine Unruhe bereits zwei bis drei Stunden bevor das Essen auf den Tisch kam – die Mäuse machten sich bereit für ihre Mahlzeit, berichtet Saper. Schon nach einer Nacht pendelte sich ein neuer, fütterungsgesteuerter Rhythmus ein, den die Forscher unter anderem an der Körpertemperatur der Tiere festmachten.

Ganz anders hingegen verhielten sich die Mäuse, denen das Bmal1-Gen fehlte. Von Vorfreude war in diesen Käfigen nichts zu sehen. Erst als das Essen schon vor ihrer Nase stand wurden diese aktiv. "In einigen Fällen mussten wir die Mäuse sogar wecken, damit sie die Möglichkeit zu Essen nicht verschliefen," so Saper, "ansonsten wären sie verhungert."

Damit diese Mäuse in Zukunft genau wie die Wildtypmäuse rechtzeitig zu ihrer Fütterung aufwachen würden, injizierten die Forscher ihnen das fehlende Gen Bmal1 in zwei verschiedene Hirnregionen des Hypothalamus. Doch nur eine der beiden Areale konnte die Mäuse vor dem Hungertod schützten: Das Gen musste direkt im dorsomedialen Nukleus ankommen, um zu gewährleisten, dass die Tiere wie ihre Wildtyp-Verwandten rechtzeitig zu Tische kamen. Wurden ausschließlich die Zellen des SCN mit dem Gen versorgt, so war den Mäusen nicht geholfen.

Alles spricht dafür, dass die Nebenuhren des dorsomedialen Nukleus in der Lage waren, die lichtempfindlichen Hauptuhren im SCN abzulösen, sobald es zu einer zeitlichen Nahrungseinschränkung kam, erklärt Saper. Es findet sozusagen eine Zeitumstellung statt – von Licht- auf Essenszeit, aber nicht indem die Uhren des SCN umgestellt werden, sondern indem diese durch andere abgelöst werden.

Diese Fähigkeit schätzten die Wissenschaftler als äußerst wichtig ein – ermöglicht sie den Tieren in Hungerszeiten, ihre Nahrungssuche zeitlich zu optimieren, auch wenn das entgegen ihrer vom SCN kontrollierten Schlafenszeiten sein sollte.

Ob dieser Uhrenwechsel auch bei Hunger leidenden Menschen erfolgt, ist noch ungewiss. Die Wissenschaftler können sich aber durchaus vorstellen, dass Reisende ihren Jetlag verkürzen könnten, würden sie die Uhrzeit ihrer Mahlzeiten an das Reiseziel anpassen.

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