Fachwissen: Um Experten zu erkennen, muss man selbst keiner sein

Wer schwierige Fragen richtig beantworten kann, beweist Expertise auf diesem Gebiet – logisch. Es braucht aber keine besondere Expertise, um zu beurteilen, wie schwierig eine Frage ist. Das hat eine Forschungsgruppe um den Kognitionswissenschaftler Olivier Morin vom Forschungsinstitut Jean Nicod in Paris herausgefunden. Wie das Team in der Fachzeitschrift »Psychological Science« schildert, testeten sie ihre rund 850 Versuchspersonen auf den Gebieten der Astronomie und Geschichte sowie ihr Wissen über Superhelden. Dabei ging es um einfache Fragen wie »Wer war der erste Mensch auf dem Mond?«, aber ebenso um weniger gängige Fakten wie »Zwischen welchen Planeten verläuft der Asteroidengürtel?«.
Die Probandinnen und Probanden bekamen zunächst jeweils nur eine einzige solche Wissensfrage vorgelegt, verbunden mit der Information, ein bestimmter anderer Teilnehmer habe sie korrekt beantwortet. Dann erhielten sie weitere 14 Fragen zum gleichen Thema und sollten einschätzen, welche davon der besagte Teilnehmer ebenfalls richtig gelöst hatte. Schließlich wurden sie gebeten, alle 15 Fragen selbst zu beantworten. Wer maximal vier richtige Antworten gab, zählte in der Auswertung zu den Laien.
Im Mittel gelang es den Befragten ziemlich gut, anhand der ersten Frage auf die Anzahl der richtigen Antworten zu schließen – rund die Hälfte verschätzte sich höchstens um 2 von 15 Fragen. Das galt für 49 Prozent der gesamten Stichprobe, aber auch für 46 Prozent der Laien. Es machte also nichts, wenn die Versuchspersonen nicht viel Ahnung hatten: Sie lagen dennoch oft richtig. Das zeigte auch die hohe Korrelation von geschätzten und wahren Antworten, die bei Laien kaum niedriger als in der Gesamtstichprobe ausfiel (0,75 und 0,86).
Morin schlussfolgert: »Man kann bei einem Thema ziemlich inkompetent sein und dennoch in der Lage sein, die Kompetenz anderer gut zu beurteilen.« Er und seine Kollegen sahen damit ihre Hypothese bestätigt, dass das Wissen innerhalb eines Fachgebiets in sich »verschachtelt« sei, ähnlich einer russischen Matroschka. Das bedeutet: Wer über »tieferes« Wissen verfügt – also besonders schwierige Fragen beantworten kann –, kennt wahrscheinlich auch die bekannteren Fakten. Umgekehrt trifft das nicht zu.
Die Versuchspersonen konnten offenbar einschätzen, ob eine Frage eher auf tiefes oder auf allgemein bekanntes Wissen abzielte. »Wir wissen aber nicht, wie sie das gemacht haben«, schreiben die Wissenschaftler. Sie vermuten, dass ihre Versuchspersonen dafür einfache Faustregeln (so genannte Heuristiken) heranzogen, etwa dass sie schon oft von der Mondlandung gehört hatten, aber nur wenig vom Asteroidengürtel.
Doch diese Logik habe ihre Grenzen, räumt die Gruppe ein. Zum einen gebe es Wissensgebiete, die weniger »verschachtelt« seien. Zum anderen müsse man einschätzen können, welche Informationen zum Allgemeinwissen zählen und welche nicht – also über ein gewisses »metakognitives Wissen« verfügen. Bei abseitigen Fachgebieten, die wenig Schnittpunkte mit Allgemeinwissen haben, fällt diese Unterscheidung allerdings schwerer.
Die Studie erinnert an den bekannten Dunning-Kruger-Effekt: die Neigung, die eigene Kompetenz ausgerechnet auf jenen Gebieten zu überschätzen, von denen man selbst nur wenig Ahnung hat. Anders als in Studien zum Dunning-Kruger-Effekt wurden die Teilnehmer hier jedoch nicht gebeten, ihre eigene Leistung zu bewerten, wie Autor Olivier Morin auf Nachfrage erklärt. Ein direkter Vergleich sei daher nicht möglich. Ob sich die Versuchspersonen in der aktuellen Studie selbst schlechter einschätzen könnten als andere – das bleibt damit offen.
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