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Umweltforschung: Die rätselhafte Mikroplastik-Gefahr

Winzige Plastikteilchen sind überall, und sie gelten als gefährlich. Doch herauszufinden, welche Wirkung sie tatsächlich auf Mensch und Tier haben, erweist sich als sehr aufwändig. Manche dieser Teilchen sind so klein, dass es schwierig ist, sie überhaupt nachzuweisen.
Aktuelles Mikroplastik aus dem Meer in einem Sieb aus zukünftigem Mikroplastik im Meer. Womit das Problem ganz gut umrissen wird: Es gibt ein Bewusstsein für das Problem, aber nicht dafür, dass es irgendwas mit dem eigenen Verhalten zu tun haben könnte.

Noch vor wenigen Jahren dachte sich Dunzhu Li nichts dabei, wenn er sein Mittagessen in einem Plastikbehälter in die Mikrowelle schob. Aber dann machten der Umweltingenieur und seine Kollegen vom Trinity College Dublin eine beunruhigende Entdeckung: Plastikbehälter für Lebensmittel geben eine große Anzahl winziger Partikel – auch Mikroplastik genannt – in heißes Wasser ab. »Wir waren schockiert«, sagt Li. Auch Wasserkocher und Babyflaschen geben Mikroplastik ab, berichteten Li und andere Forscher im Oktober 2020. Wenn Eltern Babynahrung zubereiten, indem sie sie in heißem Wasser in einer Plastikflasche aufschütteln, könnte ihr Kind mehr als eine Million Mikroplastikpartikel pro Tag verschlucken, rechnete das Team vor.

Was Li und andere Forscher allerdings noch nicht wissen, ist, ob das gefährlich ist. Jeder Mensch nimmt Sand und Staub aus der Umwelt und mit dem Essen auf und atmet unzählige Teilchen ein – schaden Plastikteilchen mehr als andere Partikel? »Das meiste von dem, was man zu sich nimmt, geht direkt durch den Darm und am anderen Ende wieder raus«, sagt Tamara Galloway, Ökotoxikologin an der University of Exeter. Li ist hingegen besorgter: »Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das potenzielle Risiko hoch ist.«

Forscher machen sich schon seit fast 20 Jahren Gedanken über die potenziellen gesundheitlichen Schäden von Mikroplastik für Menschen. Bisher haben sich allerdings die meisten Studien auf die Risiken für Meereslebewesen konzentriert. Richard Thompson, Meeresökologe an der Universität von Plymouth, prägte den Begriff im Jahr 2004. Er beschrieb damit Plastikpartikel, die kleiner als fünf Millimeter sind, nachdem sein Team sie an britischen Stränden gefunden hatte.

Seitdem haben Wissenschaftler nahezu überall Mikroplastik nachgewiesen: in den Tiefen der Ozeane, im Schnee der Arktis und im Eis der Antarktis, in Schalentieren, Speisesalz, Trinkwasser und Bier, in der Luft oder im Regen über Bergen und Städten. Diese winzigen Teile könnten Jahrzehnte oder länger brauchen, um sich vollständig abzubauen. »So gut wie alle Spezies sind dieser Belastung zu einem gewissen Grad ausgesetzt«, sagt Galloway.

Mikroplastik ist allgegenwärtig

Die ersten Untersuchungen von Mikroplastik konzentrierten sich auf drei Erscheinungsformen: erstens Mikroperlen, die in Körperpflegeprodukten zu finden sind, zweitens die als Pellets bezeichneten Rohplastikstücke, die in die Umwelt gelangen können, bevor sie zu den fertigen Gegenständen geformt werden, und drittens auf Fragmente, die langsam aus weggeworfenen Flaschen und anderem Müll erodieren. All dies wird in Flüsse und Ozeane gespült: 2015 schätzten Ozeanografen, dass weltweit zwischen 15 und 51 Billionen Mikroplastikpartikel in den Oberflächengewässern schwimmen. Inzwischen wurden weitere Quellen für Mikroplastik identifiziert: Plastikteilchen, die sich von Autoreifen auf den Straßen ablösen, und synthetische Mikrofasern unter anderem aus Kleidung. Diese Partikel zirkulieren im Meer ebenso wie an Land, so dass Menschen Plastik aus vielen Quellen einatmen oder essen könnten.

Aus kleineren Untersuchungen über Mikroplastik in der Luft, im Wasser, im Salz und in Meeresfrüchten geht hervor, dass Kinder und Erwachsene täglich dutzende bis mehr als 100 000 Mikroplastikteilchen aufnehmen könnten, berichtete Albert Koelmans, Umweltwissenschaftler an der Universität Wageningen in den Niederlanden, im März 2021. Er und seine Kollegen gehen davon aus, dass die Menschen im ungünstigsten Fall etwa die Masse einer Kreditkarte an Mikroplastik pro Jahr aufnehmen könnten.

Schadet Mikroplastik uns wirklich?

Die Bewertung der Auswirkungen von winzigen Plastikteilchen auf Menschen oder Tiere ist die andere Hälfte des Puzzles. Dies ist leichter gesagt als getan. Mehr als 100 Laborstudien haben Tiere – meist Wasserorganismen – Mikroplastik ausgesetzt. Die Ergebnisse, laut denen das bei einigen Organismen zu einer verminderten Fortpflanzung oder zu körperlichen Schäden führen könnte, sind jedoch schwer zu interpretieren, da Mikroplastik in vielen Formen, Größen und chemischen Zusammensetzungen vorkommt.

Die winzigsten Teilchen, so genanntes Nanoplastik, sind kleiner als ein Mikrometer und machen den Forschern am meisten Sorgen. Sie befürchten, diese könnten in Zellen eindringen und dort die Zellaktivität stören. Aber die meisten dieser Partikel sind für Wissenschaftler zu klein, um sie überhaupt zu sehen; sie wurden zum Beispiel in Koelmans' Schätzungen zur Ernährung nicht gezählt, und auch in der Untersuchung der kalifornischen Behörde spielen sie keine Rolle.

»Wenn Sie mich nach den Risiken fragen, bin ich heute nicht so ängstlich. Aber ich bin besorgt über die Zukunft, wenn wir jetzt nichts tun«Albert Koelmans, Umweltwissenschaftler

Nur eines ist klar: Das Problem wird wachsen. Jährlich werden fast 400 Millionen Tonnen Kunststoff produziert, eine Masse, die sich bis 2050 mehr als verdoppeln soll. Selbst wenn die gesamte Kunststoffproduktion morgen auf magische Weise gestoppt würde, würden die vorhandenen Kunststoffe in Deponien und in der Umwelt – eine Masse von schätzungsweise fünf Milliarden Tonnen – weiterhin in winzige Fragmente zerfallen, die unmöglich gesammelt oder gereinigt werden können, wodurch die Mikroplastikwerte ständig steigen. Koelmans nennt dies eine »Plastik-Zeitbombe«: »Wenn Sie mich nach den Risiken fragen, bin ich heute nicht so ängstlich«, sagt er. »Aber ich bin besorgt über die Zukunft, wenn wir nichts tun.«

Die Forscher haben mehrere Theorien darüber, wie die Plastikteilchen Schäden verursachen könnten. Wenn sie klein genug sind, um in Zellen oder Gewebe einzudringen, könnten sie allein durch ihre Anwesenheit reizen – wie bei den langen, dünnen Fasern von Asbest, die das Lungengewebe entzünden und zu Krebs führen können. Es gibt eine mögliche Parallele zur Luftverschmutzung: Rußpartikel aus Kraftwerken, Fahrzeugabgasen und Waldbränden – Feinstaub mit einem Durchmesser von 10 Mikrometer und 2,5 Mikrometer – sind dafür bekannt, dass sie sich in den Atemwegen und der Lunge ablagern, und hohe Konzentrationen können die Atemwege schädigen. Allerdings ist deren Konzentration in der Luft deutlich höher.

Die größeren Mikroplastikteile haben, wenn überhaupt, eher durch chemische Toxizität negative Auswirkungen. Die Hersteller fügen den Kunststoffen Verbindungen wie Weichmacher, Stabilisatoren und Pigmente hinzu, und viele dieser Substanzen sind gefährlich – sie können zum Beispiel das endokrine (hormonelle) System stören. Ob Mikroplastik unsere Belastung mit diesen Chemikalien signifikant erhöht, hängt allerdings auch noch davon ab, wie schnell sie sich aus den Plastikteilchen herauslösen und wie schnell die Teilchen durch unseren Körper wandern – Faktoren, die die Forscher gerade erst anfangen zu untersuchen.

Kann Mikroplastik gar helfen?

Eine andere Theorie ist, dass Mikroplastik chemische Schadstoffe aus der Umwelt anzieht und diese nach der Aufnahme in den Organismus abgibt. Allerdings nehmen Tiere ohnehin Schadstoffe mit der Nahrung und dem Wasser auf, und es ist sogar möglich, dass die Plastikteilchen Schadstoffe aus den Eingeweiden der Tiere anziehen und mit nach draußen befördern. Forscher seien sich immer noch nicht einig, ob schadstoffhaltiges Mikroplastik ein signifikantes Problem darstellt, sagt Jennifer Lynch, Meeresbiologin am US National Institute of Standards and Technology in Gaithersburg, Maryland.

Was Tiere allerdings eindeutig schädigt, ist, wenn sie Plastikteilchen ohne Nährwert verschlucken und dann nicht genug Nahrung aufnehmen, um zu überleben. Lynch, die auch das Center for Marine Debris Research an der Hawaii Pacific University in Honolulu leitet, hat Meeresschildkröten obduziert, die tot am Strand gefunden wurden, und das Plastik in ihren Eingeweiden und chemische Rückstände in ihrem Gewebe untersucht. Im Jahr 2020 schloss ihr Team eine Reihe von Analysen für neun Karettschildkröten ab, die weniger als drei Wochen alt waren. Eine davon, nur neun Zentimeter lang, hatte 42 Plastikteile in ihrem Magen-Darm-Trakt, die meisten davon Mikroplastik. »Wir glauben nicht, dass eine von ihnen speziell durch Plastik gestorben ist«, sagt Lynch. Aber womöglich fehlten ihnen Nährstoffe, um richtig zu wachsen.

Die meisten Forschungen über die Risiken von Mikroplastik gibt es bei Meeresorganismen. Zooplankton zum Beispiel, das zu den kleinsten Meeresorganismen gehört, wächst in Gegenwart von Mikroplastik langsamer und pflanzt sich weniger erfolgreich fort, sagt Penelope Lindeque, Meeresbiologin am Plymouth Marine Laboratory, Großbritannien: Die Eier der Tiere sind kleiner, und der Nachwuchs darin schlüpft seltener. Ihre Experimente zeigen, die Fortpflanzungsprobleme sind darauf zurückzuführen, dass das Zooplankton nicht genug Nahrung zu sich nimmt.

Untersuchungen im Meer

Da die Ökotoxikologen jedoch mit ihren Experimenten begonnen haben, bevor sie wussten, welche Arten von Mikroplastik in der aquatischen Umwelt vorkommen, stellten sie zunächst für ihre ersten Experimente zu kleine Teilchen her und verteilten sie in viel höheren Konzentrationen, als sie später in Untersuchungen gefunden wurden. Die Wissenschaftler gestalten die Umweltbedingungen nun realistischer und verwenden statt der Kugeln Fasern oder Fragmente von Kunststoffen. Einige haben damit begonnen, ihre Testmaterialien mit Chemikalien zu beschichten, die Biofilme imitieren, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Tiere Mikroplastik fressen.

Fasern scheinen ein besonderes Problem zu sein. Im Vergleich zu Kugeln brauchen Fasern länger, um durch Zooplankton zu gelangen, sagt Lindeque. Im Jahr 2017 berichteten australische Forscher, dass Zooplankton, das Mikroplastikfasern ausgesetzt war, die Hälfte der üblichen Anzahl von Larven produzierte und dass der Nachwuchs kleiner war. Die Fasern wurden nicht verschluckt, aber die Forscher sahen, dass sie das Schwimmen behinderten, und sie stellten Verformungen im Körper der Organismen fest. Eine weitere Studie im Jahr 2019 ergab, dass erwachsene Pazifische Maulwurfskrabben (Emerita analoga), die den Fasern ausgesetzt waren, früher starben.

In den meisten Laborstudien werden Organismen einer bestimmten Art von Mikroplastik ausgesetzt, das eine bestimmte Größe, ein bestimmtes Polymer und eine bestimmte Form aufweist. In der natürlichen Umgebung dagegen sind die Organismen einer Mischung ausgesetzt, sagt Koelmans. Im Jahr 2019 zeichneten er und seine Doktorandin Merel Kooi auf, wie häufig und in welcher Konzentration Mikroplastik in elf Untersuchungen von Ozeanen, Flüssen und Sedimenten auftauchte, um Modelle von Mischungen in aquatischen Umgebungen zu erstellen.

Computersimulationen helfen, die Gefahr einzuschätzen

2020 haben die beiden zusammen mit Kollegen dieses Modell in Computersimulationen verwendet, die vorhersagen, wie oft Fische auf Mikroplastik stoßen, das klein genug ist, um es zu fressen – und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie genug davon fressen, um das Wachstum zu beeinträchtigen. Die Forscher fanden heraus, dass bei den derzeitigen Verschmutzungsgraden von Mikroplastik dieses Risiko für Fische nur an 1,5 Prozent der Orte besteht, die sie auf Mikroplastik untersucht hatten. Aber es gebe vermutlich Hotspots, an denen die Risiken höher sind, sagt Koelmans. Zum Beispiel die Tiefsee: Einmal dort angekommen und oft im Sediment vergraben, bleibt das Mikroplastik für immer dort.

Die Ozeane seien bereits vielen Problemen ausgesetzt, sagt Lindeque, deshalb sei die Gefahr größer, dass Mikroplastik die Zooplanktonpopulationen weiter dezimiert, als dass es die Nahrungskette hinaufwandert und den Menschen erreicht. »Wenn wir etwas wie das Zooplankton, die Basis unseres marinen Nahrungsnetzes, ausschalten, würden wir uns mehr Sorgen um die Auswirkungen auf die Fischbestände machen und die Fähigkeit, die Weltbevölkerung zu ernähren.«

Keine veröffentlichte Studie hat bisher die Auswirkungen von Plastikteilchen auf den Menschen direkt untersucht. Die einzigen verfügbaren Studien stützen sich auf Laborexperimente, bei denen Zellen oder menschliches Gewebe Mikroplastik ausgesetzt wurden, oder verwende Tiere wie Mäuse oder Ratten. In einer Studie zum Beispiel zeigten Mäuse, die mit großen Mengen Mikroplastik gefüttert wurden, Entzündungen in ihrem Dünndarm. Mäuse, die in zwei Studien Mikroplastik ausgesetzt wurden, hatten im Vergleich zu Kontrollgruppen eine geringere Spermienzahl und weniger und kleinere Jungtiere.

Bisher keine Studien über Mikroplastik und Menschen

Einige der In-vitro-Studien an menschlichen Zellen oder Geweben deuten ebenfalls auf Toxizität hin. Aber genau wie bei den Meeresstudien ist nicht klar, ob die verwendeten Konzentrationen relevant sind für die, denen Menschen ausgesetzt sind. Die meisten Studien verwenden außerdem Polystyrolkugeln, die nicht die Vielfalt des Mikroplastiks repräsentieren, das der Mensch zu sich nimmt. Koelmans weist auch darauf hin, dass diese Studien zu den ersten ihrer Art gehören und sich als Ausreißer erweisen könnten, sobald es eine etablierte Beweislage gibt. Es gibt zwar mehr Studien an Zellen und Geweben als Tierstudien, aber die Forscher sagen, dass sie immer noch nicht wissen, wie sie die Auswirkungen von festen Plastikteilchen auf Gewebe auf mögliche Gesundheitsprobleme bei ganzen Tieren extrapolieren können.

Wie riskant ist Mikroplastik für den Menschen? Eine wichtige Frage dabei ist, ob Mikroplastik im menschlichen Körper verbleiben und sich möglicherweise in einigen Geweben anreichern könnte. Studien an Mäusen haben ergeben, dass Mikroplastik mit einem Durchmesser von etwa fünf Mikrometern im Darm verbleiben oder die Leber erreichen könnte. Unter Verwendung sehr begrenzter Daten darüber, wie schnell Mäuse Mikroplastik ausscheiden, und unter der Annahme, dass nur ein Bruchteil der Partikel mit einer Größe von einem bis zehn Mikrometern über den Darm in den Körper aufgenommen wird, schätzen Koelmans und Kollegen, dass ein Mensch im Lauf seines Lebens mehrere tausend Mikroplastikpartikel in seinem Körper ansammeln könnte.

Einige Forscher untersuchen jetzt, ob Mikroplastik im menschlichen Gewebe zu finden ist. Im Dezember 2020 dokumentierte ein Team dies zum ersten Mal in einer Studie, in der sechs Plazenten untersucht wurden. Die Forscher fanden schließlich zwölf Mikroplastikpartikel in vier dieser Plazenten. Allerdings sei es eventuell möglich, dass diese Teilchen erst bei der Untersuchung in die Plazentas gerieten, sagt Rolf Halden, Umwelt- und Gesundheitsingenieur an der Arizona State University. Dennoch lobt er die Forscher für ihre Bemühungen, eine Kontamination zu vermeiden: Unter anderem hatten sie die Entbindungsstationen frei von Plastikgegenständen gehalten und gezeigt, dass ein Kontrollsatz von Blankomaterialien, der durch die gleiche Probenanalyse genommen wurde, nicht kontaminiert war. Aber trotzdem: »Es bleibt eine Herausforderung, schlüssig nachzuweisen, dass ein bestimmtes Partikel tatsächlich aus einem Gewebe stammt«, sagt er.

Was jeder tun kann, um sich zu schützen

Diejenigen, die sich Sorgen um ihre Mikroplastikbelastung machen, können diese reduzieren, sagt Li. Bei seiner Arbeit an Küchenutensilien fand er heraus, dass die Menge des ausgeschiedenen Plastiks stark von der Temperatur abhängt. Deshalb hat er aufgehört, Essen in Plastikbehältern in der Mikrowelle zu erhitzen. Um die Probleme mit Babyflaschen zu reduzieren, schlägt sein Team vor, dass Eltern sterilisierte Flaschen mit kühlem Wasser ausspülen, das zuvor in plastikfreien Wasserkochern abgekocht worden ist, um das während der Sterilisation freigesetzte Mikroplastik wegzuspülen. Und sie können Babynahrung in Glasbehältern zubereiten und nach dem Abkühlen in die Flaschen füllen. Das Team rekrutiert nun Eltern, die freiwillig Urin- und Stuhlproben ihrer Babys für die Mikroplastikanalyse zur Verfügung stellen.

Partikel, die klein genug sind, um in Gewebe oder sogar in Zellen einzudringen und dort zu verbleiben, seien allerdings die am meisten Besorgnis erregende Art und verdienen mehr Aufmerksamkeit bei Umweltproben, sagt Halden. Eine Studie, bei der schwangere Mäuse absichtlich extrem kleine Partikel einatmeten, fand die Partikel später in fast jedem Organ der Föten. »Aus der Risikoperspektive ist das der Punkt, der am Meisten Sorge bereitet, und dazu brauchen wir mehr Daten.«

Um in Zellen einzudringen, müssen die Partikel im Allgemeinen kleiner als ein paar hundert Nanometer sein. Bis 2018 gab es keine formale Definition von Nanoplastik, dann schlugen französische Forscher die obere Größengrenze von einem Mikrometer vor;- winzig genug, um in der Wassersäule verteilt zu bleiben, wo Organismen sie leichter verzehren können, anstatt zu sinken oder zu schwimmen, wie es bei größerem Mikroplastik der Fall ist, sagt Alexandra ter Halle, analytische Chemikerin an der Paul Sabatier-Université in Toulouse.

»Man sucht die Nadel im Heuhaufen, aber die Nadel sieht aus wie das Heu«Roman Lehner, Nanomaterialien-Forscher

Aber Forscher wissen fast nichts über Nanoplastik; es ist unsichtbar und kann nicht einfach aufgesammelt werden. Schon die Messung ist eine Herausforderung. Mit Lichtmikroskopen und Spektrometern, die Teilchen durch ihre unterschiedlichen Wechselwirkungen mit Licht unterscheiden, können die Forscher die Länge, Breite und chemische Zusammensetzung von Kunststoffteilchen bis zu wenigen Mikrometern messen. Unterhalb dieser Größenordnung lassen sich Plastikpartikel nur noch schwer von Nichtplastikpartikeln wie Meeressedimenten oder biologischen Zellen unterscheiden. »Man sucht die Nadel im Heuhaufen, aber die Nadel sieht aus wie das Heu«, sagt Roman Lehner, Nanomaterialien-Wissenschaftler bei der Sail and Explore Association, einer Schweizer Non-Profit-Forschungsgruppe.

Im Jahr 2017 wiesen ter Halle und ihre Kollegen zum ersten Mal nach, dass Nanoplastik in einer Umweltprobe vorhanden ist: Meerwasser aus dem Atlantik. Sie extrahierten kolloidale Feststoffe aus dem Wasser, filterten alle Partikel heraus, die größer als ein Mikrometer waren, verbrannten, was übrig blieb, und nutzten ein Massenspektrometer, um zu bestätigen, dass in den Resten Plastikpolymere existiert hatten.

Das sagt jedoch nichts aus über die genauen Größen oder Formen der Nanoplastikteile. Da die Forscher Nanokunststoffe nicht aus der Umwelt sammeln können, zerkleinern sie bei Laboruntersuchungen ihr eigenes Plastik in der Hoffnung, ähnliche Partikel zu erhalten. Die Verwendung von selbst hergestelltem Nanoplastik hat einen Vorteil: Die Forscher können Markierungen einbringen, die helfen, die Partikel im Inneren von Testorganismen zu verfolgen. Lehner und Kollegen präparierten fluoreszierende Kunststoffpartikel in Nanogröße und legten sie unter Gewebe, das aus menschlichen Darmauskleidungszellen aufgebaut war. Die Zellen nahmen die Partikel zwar auf, es gab aber keine Anzeichen von Zytotoxizität.

Forschungslücke kaum zu schließen

Plastikteilchen in intakten Gewebeschnitten aufzufinden – etwa durch eine Biopsie – und etwaige pathologische Effekte zu beobachten, wäre das letzte Puzzlestück in Bezug auf Risiken von Mikroplastik, sagt Lehner. Das wäre »höchst wünschenswert«, sagt Halden. Doch um ins Gewebe zu gelangen, müssten die Partikel sehr klein sein, so dass es nach Ansicht beider Forscher wiederum sehr schwierig wäre, sie eindeutig nachzuweisen.

Das Sammeln all dieser Daten wird sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Ter Halle hat mit Ökologen zusammengearbeitet, um Mikroplastik in der freien Natur zu quantifizieren. Die Analyse allein von Partikeln, die größer als 700 Mikrometer sind, in etwa 800 Proben von Insekten und Fischen hat Tausende von Stunden gedauert, sagte sie. Die Forscher untersuchen nun die Partikel im Bereich von 25 bis 700 Mikrometer. »Das ist schwierig und mühsam, und es wird lange dauern, bis wir die Ergebnisse erhalten«, sagt sie. Um den kleineren Größenbereich zu betrachten, fügt sie hinzu, »steigt der Aufwand exponentiell.«

»Es macht keinen Sinn, Dinge zu produzieren, die 500 Jahre halten und dann nur 20 Minuten benutzt werden. Das ist eine völlig nicht nachhaltige Art zu leben«Tamara Galloway, Ökotoxikologin

Im Moment ist die Konzentration von Mikroplastik und Nanoplastik in der Umwelt noch zu gering, um die menschliche Gesundheit zu beeinträchtigen, meinen Forscher. Aber sie wird steigen. Im September 2020 prognostizierten Forscher, dass sich die Menge an Plastik, die jedes Jahr zum bestehenden Abfall hinzukommt – ob sorgfältig in versiegelten Deponien entsorgt oder über Land und Meer verstreut – von 188 Millionen Tonnen im Jahr 2016 auf 380 Millionen Tonnen im Jahr 2040 mehr als verdoppeln könnte. Bis dahin könnten etwa 10 Millionen Tonnen davon in Form von Mikroplastik vorliegen, schätzten die Wissenschaftler – eine Berechnung, die jene Partikel nicht einschließt, die kontinuierlich aus dem bestehenden Abfall erodiert werden.

Wir könnten unseren Plastikmüll reduzieren, sagt Winnie Lau vom Pew Charitable Trusts in Washington, D. C., die Erstautorin der Studie ist. Die Forscher fanden heraus, dass die Menge des hinzukommenden Plastikmülls bis zum Jahr 2040 auf 140 Millionen Tonnen pro Jahr sinken könnte, wenn alle bewährten Lösungen zur Eindämmung der Plastikverschmutzung im Jahr 2020 eingeführt und so schnell wie möglich ausgeweitet würden – einschließlich der Umstellung auf Systeme zur Wiederverwendung, der Einführung alternativer Materialien und des Recyclings von Plastik.

Der bei Weitem größte Vorteil würde sich aus der Vermeidung von Kunststoffen ergeben, die nur einmal verwendet und dann weggeworfen werden. »Es macht keinen Sinn, Dinge zu produzieren, die 500 Jahre halten und dann nur 20 Minuten benutzt werden«, sagt Galloway. »Das ist eine alles andere als nachhaltige Art zu leben.«

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