UN-Plastikabkommen: Plastik schadet allen

Bis zum 14. August 2025 kommen auf der Versammlung des Intergovernmental Negotiating Committee (INC) in Genf Delegierte etlicher Länder zusammen, um über ein gemeinsames Plastikabkommen zu entscheiden. Beraten werden sie von Industrievertretern, Umweltorganisationen und Wissenschaftlern. Nachdem sich die Beteiligten beim letzten Mal im südkoreanischen Busan nicht abschließend einigen konnten, verschoben sie die Verhandlungen auf eine weitere Runde. Die Kluft zwischen den Interessengruppen ist tief: Während sich die Kunststoffindustrie auf das Missmanagement bei der Entsorgung beschränkt – mit dem Ziel von weniger Müll in der Umwelt und mehr Recycling –, plädieren Wissenschaft und Umweltverbände insgesamt für Einschränkungen. Sie fordern eine Deckelung der Produktion von Kunststoffen und schärfere Regulierungen der chemischen Bestandteile. Denn Plastik richtet bereits ab der Herstellung Schäden in Billionenhöhe an.
Das hat eine breite, internationale Autorenschaft in einem Report des Medizinjournals »The Lancet« im August 2025 berichtet. Dazu analysierten die Fachleute über 2600 wissenschaftliche Publikationen aus den Jahren zwischen 2020 und 2024, die sich mit den Auswirkungen von Plastik auf Menschen und Umwelt befassten. Das Fazit: Kunststoffe verstärken maßgeblich schon ab der Produktion zahlreiche gesundheitliche und ökologische Probleme. Allein durch die gesundheitlichen Schäden entstehen Kosten von mindestens 1,5 Billionen US-Dollar jährlich.
Plastik ist komplex. Seine Grundstruktur besteht aus sehr langen, vielfältig ineinander verwobenen Molekülketten, sogenannten Polymeren. Diese stammen fast ausschließlich aus fossilen Quellen. Um den Kunststoffen bestimmte physikalische Eigenschaften zu verleihen, werden den Polymeren zusätzliche Chemikalien hinzugefügt. Beispielsweise steuern Weichmacher, wie flexibel der Kunststoff ist. Neben gewünschten Stoffen existieren noch die »non intentionally added substances« (NIAS), also die nicht absichtlich beigefügten. Sie entstehen unvermeidlich bei der Herstellung. Das macht die Liste der chemischen Bestandteile lang: Mehr als 16 000 verschiedene Chemikalien können in Plastik verarbeitet sein.
Ein Forschungsteam um die Ökonomin Maureen Cropper von der University of Maryland hat sich die Auswirkungen dieser Vielfalt im Dezember 2024 näher angeschaut. Es analysierte einen epidemiologischen Datensatz von drei bekanntermaßen schädlichen Kunststoffchemikalien: PBDE, BPA und DEHP.
Die Daten überspannten 38 Länder mit einem Drittel der Weltbevölkerung. Daraus zogen die Fachleute Rückschlüsse auf die Krankheits- oder Todesfälle, die mit den Chemikalien zusammenhängen. Für das Jahr 2015 berechneten sie die daraus anfallenden gesundheitlichen Kosten auf mindestens 1,5 Billionen US-Dollar.
Auf den Betrag kamen sie über eine sozioökonomische Größe: den Wert des statistischen Lebens (WSL). Dieser liefert Aussagen dazu, wie viel Geld im Durchschnitt nötig ist, um ein Leben zu retten. Ein Beispiel: Wenn von 10 000 Menschen jeder im Jahr 100 US-Dollar ausgibt, um die eigene Sterbewahrscheinlichkeit um ein Zehntausendstel zu reduzieren, dann wäre rechnerisch gesehen ein Menschenleben gerettet. Dann betrüge der Wert eines statistischen Lebens eine Million US-Dollar (100 Dollar mal 10 000).
Die Kosten, die Cropper und ihr Team ermittelten, beziehen sich lediglich auf drei Chemikalien, die in Plastik verarbeitet sein können – von mindestens 16 000. Davon wiederum gelten mehr als 4200 als gesundheitsschädlich. Die Substanzen können sich beispielsweise über Abrieb oder durch Verflüchtigung aus den Kunststoffen lösen und mit Menschen in Kontakt kommen. Unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmaß dies geschieht, ist nur zum Teil erforscht. Allein die große Anzahl an Chemikalien erhöht den Aufwand und die Komplexität für ausführliche wissenschaftliche Studien enorm. Darüber hinaus fallen die chemischen Formeln und die Prozessschritte unter die Betriebsgeheimnisse der Unternehmen und sind somit nicht öffentlich zugänglich. Wegen der mangelnden Transparenz sind unabhängige toxikologische Analysen nur eingeschränkt durchführbar – und erst nachdem die Kunststoffe bereits produziert wurden.
Versteckte Produktionskosten
Auch bei der Herstellung selbst entstehen gesundheitliche Risiken. Den Grundbaustein für Plastik bilden fossile Quellen wie Erdöl; rund 98 Prozent aller Kunststoffe werden aus solchen Energieträgern hergestellt. Dabei entstehen toxische Substanzen und gefährliche Staubpartikel. Die Emissionen belasten die Umwelt – einerseits durch Treibhausgase, andererseits durch Wasser- und Bodenverschmutzungen.
In einem Bericht der »Minderoo-Monaco-Kommission« von 2023 verbinden die Autoren und Autorinnen etwa 158 000 vorzeitige Todesfälle mit der Plastikproduktion. Die Minderoo-Monaco-Kommission ist ein Zusammenschluss der gemeinnützigen australischen Minderoo Foundation und mehrerer Universitäten zur Erforschung der globalen Auswirkungen von Plastik, darunter das Boston College, die Universität Heidelberg und das Centre scientifique von Monaco.
Die Fachleute ermittelten die Zahl anhand einer erhöhten Rate an Krankheiten in der Nähe von Brennstoffraffinerien und Plastikproduktionsstätten. Sie betrachteten Krankheiten, die zu Todesfällen führten und mit erzeugten Schadstoffen in Verbindung stehen. Anhand des Werts eines statistischen Lebens schätzt der Bericht die daraus entstehenden Kosten für 2015 auf über 200 Milliarden US-Dollar.
Der Wert bezieht sich ausschließlich auf die gesundheitlichen Kosten. Daneben entstehen weitere – in Form von Umweltauswirkungen. Denn bei der Herstellung von Kunststoffen werden Treibhausgase frei. Im Jahr 2019 machte die Plastikproduktion etwa drei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus. Die Minderoo-Monaco-Kommission schätzte die dadurch anfallenden Kosten auf mehr als 340 Milliarden US-Dollar jährlich.
Verglichen damit sind die Emissionen aus anderen Lebensphasen der Kunststoffe gering. Im Jahr 2019 verursachte die Herstellung von Kunststoffen 1,6 Gigatonnen an Treibhausgasen, während ihre Entsorgung nur für 0,2 Gigatonnen sorgte.
Die Kosten ermittelte die Kommission mit der Metrik über die sozialen Kosten von Treibhausgasen der US-Umweltbehörde. Diese Metrik ist vielschichtiger als der oben genannte WSL und berücksichtigt mehr Parameter auf einer größeren Skala. Im Wesentlichen benennt sie den ökonomischen Aufwand verursacht durch Treibhausgase in Bezug auf die Folgen des Klimawandels. Dabei berücksichtigt sie sowohl positive als auch negative Auswirkungen. Darunter fallen zum Beispiel Änderungen der landwirtschaftlichen Produktivität, Schäden und Risiken verursacht durch Naturkatastrophen, Einflüsse des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit sowie seine Auswirkungen auf Ökosysteme.
Kunststoffe gefährden in jeder Phase – von der Produktion bis zu Entsorgung – die menschliche Gesundheit
Bereits der Bericht der Minderoo-Monaco-Kommission kommt zu dem Schluss, dass Kunststoffe in jeder Phase – von der Produktion bis zu Entsorgung – die menschliche Gesundheit gefährden. Der »Lancet«-Report baut auf dem Bericht auf und ergänzt ihn mit aktuelleren Studien.
So sind in den vergangenen Jahren die Mikro- und die noch kleineren Nanoplastikpartikel in den Fokus der Wissenschaft geraten. Aktuelle Studien zeigen, dass sich bereits unzählige dieser Teilchen in unseren Körpern befinden. Häufig nehmen wir sie über die Atemwege auf. Ihre Auswirkungen sind bisher wenig erforscht. Doch es gibt erste Hinweise darauf, dass Mikroplastik schädlich für unsere Organe ist.
Vom Konsens zur Kehrtwende
Mittlerweile sammeln sich etwa 8000 Megatonnen Plastik auf der Erde. Jedes Jahr kommen weitere 500 Megatonnen hinzu, Tendenz steigend: Für 2060 wird eine jährliche Produktion von 1200 Megatonnen prognostiziert. In ähnlichem Maß wie die Plastikberge selbst häufen sich die Beweise zu den Konsequenzen dieser unvorstellbaren Masse. In der Wissenschaft gibt es bereits breiten Konsens: Nicht nur der Plastikmüll ist ein globales Problem mit fatalen Folgen – Kunststoffe sind schon ab der Produktion gefährlich für Mensch und Umwelt.
Schaffen wir eine Kehrtwende? Die wäre wieder einmal nur zu bewältigen, wenn die Menschheit an einem Strang zöge. Ein globales Abkommen dazu, wie es bei der Versammlung des Intergovernmental Negotiating Committee beschlossen werden soll, könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein; es würde uns aber nur merklich voranbringen, wenn auch wirklich das gesamte Ausmaß des Problems angegangen würde.
Die wissenschaftliche Gemeinschaft ist zumindest laut geworden. Neben der Minderoo-Monaco-Kommission existiert beispielsweise die wissenschaftliche Kommission für ein effektives Plastikabkommen (SCEPT für englisch: scientists' coalition for an effective plastics treaty). Das ist ein internationales Netzwerk aus unabhängigen Fachleuten, die sich für den öffentlichen Diskurs zu der Thematik einsetzen und Gesetzgeber sowie das INC beraten. In dem »Lancet«-Bericht verkündet der Herausgeber den »Lancet Countdown on health and plastics«. Die Initiative soll die Anstrengungen gegen das Plastikproblem transparent machen und verfolgen. Und hoffentlich bald Erfolge verzeichnen.
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