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Biomechanik: Und ewig schwingt der Affe

Auch Biomechanikern gefällt die ideale Welt der Physik: In ihren Berechnungen ließen sie einen Affen baumeln.
"Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, solange die Summe aller auf ihn wirkenden Kräfte Null ist."

Galileo Galilei stellte dieses so genannte Trägheitsprinzip im Jahr 1638 auf, nachdem er seine Versuche mit schweren Kugeln auf schiefen Ebenen und Türmen von Pisa durchführte. Mit Federn oder Wattebäuschen wäre er womöglich zu ganz anderen Ergebnissen gelangt. Denn Reibungskräfte hätten seine Beobachtungen verfälscht, sodass ihm vielleicht die Entdeckung der reinen Bewegungsgesetze verwehrt geblieben wäre. Doch der italienische Gelehrte idealisierte seine Versuchsbedingungen und legte damit den Grundstein für den Erkenntnisgewinn aus systematischen Experimenten.

Nun haben zwei Biomechaniker der Cornell-Universität in Ithaca bei New York sich Galileos Theorien besonnen. Mario Gomes und Andy Ruina entwickelten ein mathematisches Modell für einen humanoiden Roboter, der auf zwei Beinen läuft. Dann eliminierten sie rechnerisch jeglichen Schwund an Energie in dessen Gelenken sowie alle äußeren Widerstände, die Verluste bedeuten, wie Kollisionen mit anderen Objekten oder Einflüsse durch Wind und Wetter. Zugleich nahmen sie an, dass ihr Zweibeiner elfengleich mit überaus sanften Schritten über eine vollkommen glatte Oberfläche schwebt.

Und siehe da: Unter diesen Voraussetzungen, so die Biomechaniker, läuft der Roboter und läuft und läuft und läuft. Bis er im Unendlichen angekommen ist.

Ähnliche Betrachtungen stellten sie für einen idealisierten Affen an, der sich von Ast zu Ast hangelt – zwar jeweils mit festem Griff, aber ohne dabei Energie auf den Halt zu übertragen. Schwielen an der Hand sind dadurch vollkommen ausgeschlossen. So lieben wir Tierversuche! Zumal das Ergebnis der Simulationsrechnungen die Cornell-Forscher beglückte. Ihre Rechnungen zeigten: Und wenn das Tier nicht gestorben ist, dann hangelt es noch heute.

Die Fachwelt ist begeistert. Die Erkenntnisse sind "profund und sehr schön", wird ein Kollege von der Universität Calgary in Kanada zitiert. Er muss es wissen. Schließlich ist Calgary als Austragungsort olympischer Winterspiele bekannt, und im Schnee oder auf Glatteis ist schon so mancher ins Schlittern geraten. Zumindest, so der Kanadier, zeigen die theoretischen Überlegungen, wie wenig Energie in den eigentlichen Bewegungsablauf steckt, zerrten nicht laufend Umwelteinflüsse an uns. So entsteht nach Ansicht des Experten die größten Verluste durch einen plötzlichen Richtungswechsel oder durch Beschleunigen sowie Bremsen der Bewegung – was in einer idealisierten Welt, in der keinerlei Kräfte auf einen einwirken, übrigens unmöglich ist.

Doch was sagen diese Erkenntnis dem unbedarften Laien? Zunächst einmal: Eine ideale Welt muss man sich vollkommen anders vorstellen als die unserige. Ohne uns irgendwo kraftvoll abstoßen zu können, blieben wir stets auf der Stelle stehen oder müssten immerzu gerade aus laufen. Desweiteren sagen uns die Berechnungen: Mathematik ist geduldig. Oder in Abwandlung eines bekannten Spruchs von Statistikern: "Traue keiner Simulation, die du nicht selbst durchgeführt hast."

Praktischen Wert dürften die Berechnungen wohl kaum haben. Schon alleine, weil die Attribute "praktisch" und "ideal" einander nahezu ausschließen.

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