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News: Unerwartet natürlicher Ursprung

Alkylnitrate, noch recht junge Bekannte aus der Atmosphärenchemie, galten bisher als rein menschgemachte Substanzen. Zwei Messreihen längs durch den Atlantik zeigen, dass dem wohl nicht so ist.
Die Chemie der Atmosphäre ist ein ungemein kompliziertes Räderwerk. Allein die natürlichen Prozesse bergen noch viele Rätsel für die Wissenschaftler, und die zahlreichen, rein menschgemachten Verbindungen in Emissionen machen es ihnen gewiss nicht einfacher, das Wer mit Wem, Wie, Wann und Warum zu verstehen.

Zu den jüngeren bekannten Zahnrädchen gehören die Alkylnitrate, organische Salpetersäureester, die als Sprengstoffe oder Medikamente gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen genutzt werden. Sie können aber auch als Bestandteil des Sommersmogs in verschmutzter Luft durch photochemische Reaktionen entstehen, wobei sich gleichzeitig Ozon bildet. Da sie eine Lebensdauer von einigen Tagen bis zu einem Monat haben, können sie weit verdriftet werden und damit das in Bodennähe problematische Ozon selbst in Reinluftgebiete tragen.

Eines schien dabei auf jeden Fall klar: Alkylnitrate sind menschgemacht, eine natürliche Quelle war nicht bekannt. Dann allerdings maßen Forscher vor wenigen Jahren über dem Pazifik verblüffend hohe Konzentrationen dieser Gase, die sie allein durch die bisher vermuteten Entstehungsprozesse und Transport nicht erklären konnten. Sollte es doch eine natürliche Quelle geben?

Adele Chuck von der University of East Anglia und ihre Kollegen nutzten daher die Fahrten der Forschungsschiffe James Clark Ross von Grimsby nach Montevideo im Herbst 1999 und Polarstern von Bremerhaven nach Kapstadt im Herbst 2000 für zwei Profile im Ost- beziehungsweise Westatlantik. Kontinuierlich erfassten sie die Konzentrationen der beiden einfachsten Alkylnitrate – Methyl- und Ethylnitrat – im Oberflächenwasser und in der Luft. Sollten sie dabei ähnliche Verhältnisse wie im Pazifik vorfinden, läge die Vermutung einer natürlichen Quelle nahe.

Die Wissenschaftler stießen zu beiden Seiten des Atlantiks auf eine übereinstimmende U-förmige Verteilung von Norden nach Süden: Von den gemäßigten Breiten zum Äquator nahmen die Werte im Wasser kontinuierlich ab, am Äquator selbst zeigten sie jedoch ein ausgeprägtes Maximum von bis zu 2,6 Nanogramm pro Liter (Westatlantik) beziehungsweise 17,5 Nanogramm pro Liter (Ostatlantik).

Damit sind weite Bereiche des Ozeans mit den beiden Alkylnitraten übersättigt, und zwar um bis zu 800 Prozent – so lautete der Spitzenwert am Äquator. Da die Luftkonzentrationen im normalen Wertebereich lagen, schließen die Forscher auf einen biologischen Ursprung für die beiden Gase, zumal die Methyl- und Ethylnitratgehalte im Auftriebswasser des kanarischen Stroms eng an die Chlorophyllkonzentrationen gekoppelt schienen.

In Tiefenprofilen zeigten sich weiterhin übereinstimmende Verteilungsmuster für Ethylnitrat und Nitrat, sodass der Nährstoff womöglich eine Rolle für die Entstehung des Alkylnitrats spielt. Gleichzeitig tauchte Ethylnitrat auch in Tiefen von mehr als hundert Metern auf – vielleicht ist es damit ein Produkt von Bakterien. Die Verteilungsmuster von Methylnitrat wiesen hingegen eher auf einen Ursprung in Algen hin. Lagen die Probenahmegebiete allerdings im Einflussbereich von Küstengebieten, und waren daher beispielsweise sehr reich an gelöster organischer Substanz, griffen offenbar auch photochemische Prozesse wieder in das Geschehen ein.

Welche Bildungsmechanismen tatsächlich hinter den beobachteten Alkylnitratgehalten stehen, müssen weitere Untersuchungen nun erst einmal klären. Immerhin könnten die atlantischen zusammen mit den pazifischen Regionen jährlich etwa 230 000 Tonnen Methylnitrat und 26 000 Tonnen Ethylnitrat freisetzen, wobei die Forscher selbst auf die große Unsicherheit dieser Schätzung hinweisen. Eines jedoch scheint sicher: Allein menschgemacht sind zumindest Methyl- und Ethylnitrat wohl nicht.

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