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Neurochemie: Unerwartete Hilfe

Seit ihrer Entdeckung durch Alexander Fleming gelten Antibiotika als segensreiches Mittel gegen bakterielle Krankheiten. Doch die chemischen Wunderwaffen haben noch mehr auf Lager.
Es war schon ärgerlich. Schimmel hatte sich über die sorgfältig gehegte Bakterienkultur ausgebreitet; die ganze Arbeit schien vergebens. Doch statt die verschimmelte Petrischale achtlos wegzuwerfen, schaute der Mikrobiologe noch einmal genau hin. Ihm fiel auf, dass ausgerechnet an der Stelle, wo die Pilzkolonie saß, die Bakterien merkwürdig durchsichtig erschienen. Weitere Experimente bestätigten seinen ersten Verdacht: Die Schimmelpilze sondern eine für Bakterien tödliche Substanz ab.

Diese Beobachtung aus im Jahr 1928 sollte die Medizin revolutionieren und dem Mikrobiologen Alexander Fleming 1945 den Nobelpreis bescheren. Mit Penicillin, benannt nach dem Schimmelpilz Penicillium, wurde das Zeitalter der Antibiotika eingeläutet.

Seit dieser Zeit gehen Ärzte mit einer Vielzahl von Antibiotika gegen bakterielle Krankheiten erfolgreich vor – wenn auch manche Keime inzwischen Resistenzen gegen die chemische Keule entwickelt haben – und retteten damit viele Menschenleben. Doch was Fleming nicht ahnen konnte: Das von ihm gefundene Wundermittel scheint noch weit mehr zu können, wenn sich die Entdeckung von Jeffrey Rothstein bestätigen sollte.

Zusammen mit seinen Kollegen testete der Neurologe von der Johns-Hopkins-Universität Antibiotika nicht gegen bakterielle Infektionen, sondern gegen – Nervenkrankheiten. Viele dieser Leiden werden ausgelöst, wenn das Gleichgewicht der Neurotransmitter im Gehirn durcheinander geraten ist. So gilt als einer der wichtigsten Botenstoffe des Gehirns die Aminosäure Glutamat, die Neuronen zum Feuern anregt. Wird der Transmitter jedoch nach getaner Arbeit nicht schnell wieder durch spezielle Glutamat-Transporter entfernt, bleiben die Nervenzellen permanent erregt und können so schwer geschädigt werden. Unheilbare Krankheiten wie die Amyotrophische Lateralsklerose (ALS), bei der die Muskulatur versorgenden Nerven zu Grunde gehen, können die tödliche Folge sein.

Die Forscher um Rothstein arbeiten nun mit Ratten und Mäusen, die unter ALS litten. Von insgesamt 1040 getesteten Medikamenten stach die Gruppe der beta-Lactam-Antibiotika – zu der auch Penicillin gehört – besonders hervor. Bei isolierten Nervenzellen half vor allem Penicillin, bei lebenden Tieren erwies sich dagegen das Antibiotikum Ceftriaxon, das vermutlich die Blut-Hirn-Schranke besser überwinden kann, als wirkungsvoll: Der Abbau der Nervenzellen verzögerte sich; die Tiere überlebten deutlich länger als ihre unbehandelten Artgenossen.

Dieser unerwartete Effekt der Medikamente hatte dabei nichts mit ihren antibakteriellen Eigenschaften zu tun, betont Rothstein. Wie er und seine Kollegen herausfanden, beruht die heilsame Wirkung vielmehr auf einer verstärkten Produktion des Glutamat-Transporters GLT1.

Offensichtlich, so vermuten die Forscher, aktivieren die Antibiotika das Gen GLT1, das für den Transporter kodiert. Wie sie das schaffen, bleibt rätselhaft. Und ob sie auch bei menschlichen Nervenleiden helfen, müssen klinische Tests erst beweisen. Nicht nur Alexander Fleming würde sich darüber freuen.

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