Ungarn im 13. Jahrhundert: Forensiker lösen mittelalterlichen Cold Case

Mindestens drei Angreifer hatten den jungen Mann mit zwei Dutzend Schwerthieben und Säbelstichen niedergestreckt, ja geradezu dahingeschlachtet. Herzog Béla von Macsó hatte noch versucht, die Attacken auf Kopf und Körper mit seinen Armen abzuwehren, doch vergeblich – er erlag seinen schweren Verletzungen. Der Machtkampf war verloren, die Unterstützer des ungarischen Königs hatten den Rivalen um den Thron aus dem Weg geräumt. Bélas Leiche begrub man am Tatort, im Dominikanerinnenkloster auf der Budapester Margareteninsel.
Was bei dem Attentat auf Béla im Jahr 1272 geschehen war, hat eine interdisziplinäre Forschergruppe um Tamás Hajdu von der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest in einer aktuellen Arbeit minutiös rekonstruiert. Dazu wertete es das mutmaßliche Skelett des Herzogs forensisch aus und bestätigte, dass es sich tatsächlich um dessen Überreste handelt.
Das Skelett war 1915 bei Ausgrabungen im Kloster auf der Margareteninsel entdeckt worden. Schon damals vermutete man, dass es sich um die Knochen des ermordeten Béla von Macsó handelt. Sicher beweisen ließ es sich mit den damaligen Mitteln jedoch nicht. In der Zwischenzeit waren die Knochen verloren gegangen, doch 2018 wieder aufgespürt worden. Hajdu begann daraufhin, sie gemeinsam mit einem Expertenteam erneut zu untersuchen. Über ihre Ergebnisse berichten die Spezialisten in der Zeitschrift »Forensic Science International: Genetics«.
Ein brutaler Mord
Wie die anatomische Untersuchung zeigte, starb der Mann mit Mitte 20. Insgesamt 26 Verletzungen zählten die Forscher: neun Treffer am Schädel und 17 am Körper. Alle waren mit großer Brutalität um den Zeitpunkt des Todes zugefügt worden. Eine Analyse des Zahnsteins ergab, dass sich der Mann gut ernährt, Fisch, Fleisch, Weizen und Gerste gegessen hatte. Gemäß den Isotopenwerten war er in den Regionen von Vukovar und Syrmien aufgewachsen, die im 13. Jahrhundert zum Gebiet von Macsó gehörten (heute zu Kroatien und Serbien).
Das Ergebnis der 14C-Datierung der Knochen machte die Forscherinnen und Forscher allerdings stutzig. Mit einem berechneten Zeitraum von ungefähr 1030 bis 1230 lag sie ein bisschen zu früh für den Herzog. Konnte es wirklich Béla von Macsó sein? Wie sich herausstellte, war das Ergebnis verzerrt, weil der Mann zu Lebzeiten wohl eine beträchtliche Menge an Meerestieren verspeist hatte. Im Wasser herrscht ein anderes Verhältnis der Kohlenstoffisotope, was eine 14C-Datierung verfälschen kann. Eine Neuberechnung ergab dann einen passenderen Todeszeitpunkt, grob zwischen 1170 und 1260.
Eine Genanalyse bestätigte schließlich den Verdacht, dass es sich um die Überreste von Béla von Macsó handelt, der von circa 1245 bis 1272 gelebt hat. So ist nicht nur sein Stammbaum überliefert, sondern Fachleute kennen auch die genetischen Profile einiger seiner Vor- und Nachfahren.
Die Herkunft des Herzogs
Der Herzog stammte von der ungarischen Königsfamilie der Arpaden ab. Väterlicherseits ging er auf das Geschlecht der Rurikiden zurück, die ihren Ursprung in Skandinavien hatten und über die Kiewer Rus herrschten, ein mittelalterliches Reich auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, Russlands und Belarus. Im Erbgut des Herzogs entdeckten die Genetiker entsprechende Hinweise auf die nordeuropäische Region. Zudem hatte er Vorfahren im östlichen Mittelmeerraum, was sich ebenfalls mit seinem Stammbaum in Verbindung bringen ließ: Bélas Großmutter war Maria Laskaris (1206–1270), eine byzantinische Prinzessin, die den König von Ungarn Béla IV. (1206–1270) geheiratet hatte.
Im 13. Jahrhundert stritt das ungarische Königshaus um die Macht. Béla von Macsó schlug sich letztlich auf die Seite von König Stephan V., der allerdings im September 1272 starb. Ihm folgte sein Sohn auf den Thron. Der ungarische Hochadel sah im Herzog eine Gefahr und ermordete ihn im November desselben Jahres.
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