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News: Ungebremste Kopiermaschinerie

Tagtäglich produziert unser Körper unzählige neue Zellen, um die Lücken aufzufüllen, die auf natürlichem Wege verschlissene oder zum Selbstmord gezwungene Grundbausteine hinterlassen. Ein ausgetüfteltes Sicherheitsnetz gewährleistet den ordnungsgemäßen Ablauf des heiklen Vermehrungsprozesses, der mit der Verdopplung der Erbinformation eingeläutet wird. Sind jedoch zwei als Wächter fungierende Proteine außer Kontrolle geraten, so kommt die DNA-Kopiermaschinerie offenbar erst mit erheblicher Verspätung zum Stillstand.
Zum Wohle des Gesamtorganismus eliminiert unser Körper ständig verbrauchte, funktionsunfähige oder beschädigte Zellen, die es jedoch zu ersetzen gilt. Um den Ist-Zustand aufrechtzuerhalten, produziert er am Fließband unzählige neue Grundbausteine. Peinlich genau muss er den zugrundeliegenden Vermehrungsvorgang überwachen, denn nur allzu leicht könnten sich bei den komplizierten Einzelschritten verhängnisvolle Fehler einschleichen. Derartige Entgleisungen versucht der Körper mithilfe eines Sicherungssystems aus hintereinandergeschalteten Kontrollmechanismen zu unterbinden.

Insbesondere der einleitende Prozess ist für eine erfolgreiche Verdopplung der Zelle entscheidend: Hierbei gilt es von der Erbinformation eine exakt identische Kopie anzufertigen, damit auch die Tochterzelle über die nötige genetische Grundausstattung verfügt. Bereits seit längerem ist bekannt, dass zwei Eiweißmoleküle bei der Replikation der Erbsubstanz in Hefezellen eine Schlüsselrolle spielen: Das Regulatorprotein Cdc18 baut die DNA-Kopiermaschinerie mit auf, und sein "Kollege" Cdt1 hilft dabei, sie in Gang zu setzen.

Gewöhnlich sind diese Verbindungen Konzentrationsschwankungen unterworfen. Vor der DNA-Verdopplung steigt ihr Gehalt zunächst rapide an, fällt jedoch drastisch ab, nachdem eine einzige Abschrift des Erbmaterials vorliegt. Agieren die beiden Kontrollproteine womöglich als molekulare Zeitgeber, die durch ihr zyklisches Auftreten den Kopiervorgang beenden und dadurch den Takt der aufeinanderfolgenden Zellteilungsschritte mitbestimmen?

Dieser Fragestellung gingen nun Vidya Gopalakrishnan und seine Mitarbeiter von der Johns Hopkins School of Medicine nach, indem sie manipulierte Gene für die beiden Proteine in Hefezellen (Schizosaccharomyces pombe) einpflanzten. Infolge des Eingriffs produzierten die Zellen zwar normale Mengen an funktionsfähigem Cdc18, doch das Molekül konnte fortan nicht mehr zur Zerstörung markiert werden. Im Falle von Cdt1 kreierten die Forscher zwei Genvarianten, die eine Art "Ein- und Ausschalter" besaßen, den jedoch nur sie – und nicht die Zelle – umlegen konnte.

Und wie gewünscht, schwankten die Konzentrationen der beiden Proteine bei den behandelten Hefezellen während des Teilungsprozesses nicht mehr in der typischen Weise: Während der Gehalt an Cdc18 beim Aufbau der DNA-Replikationsmaschinerie zunächst gewöhnlich anstieg, dann aber auf einem konstanten Niveau verharrte, trat Cdt1 ständig auf – völlig unabhängig vom Zeitpunkt im Zellteilungsgeschehen. Wie sich zeigte, spiegelten sich die außer Kontrolle geratenen Proteinkonzentrationen auch auf anderer Ebene wider. Anstelle eines einzelnen Exemplars stellten die Zellen nunmehr zwei- bis viermal so viele Kopien der DNA her. Hingegen wiesen sich vermehrende Hefezellen, bei denen die Wissenschaftler lediglich ein Gen modifizierten, weiterhin ihre normale Genausstattung auf.

Demnach kommt den Proteinen Cdc18 und Cdt1 im Zellteilungszyklus eine entscheidende Funktion zu: Als zwei voneinander unabhängige Kontrollpunkte stellen sie die korrekte Verdopplung der Erbinformation sicher. Liegt die erforderliche einzige DNA-Nachbildung vor, werden die Eiweißsubstanzen zum Abbau freigegeben und zeitgleich mit deren Zersetzung wird die Replikationsmaschine angehalten.

Irgendwann einmal könnte diese Entdeckung Forschern neue Erkenntnisse liefern, warum Zellen zu Krebszellen entarten. Doch noch sind derartige Hoffnungen verfrüht, wie Mark Frattini aus dem Forscherteam einräumt: "Bislang können wir weder die beiden Kontrollproteine in Hefezellen noch ihre Pendants im Menschen mit Krebs in Verbindung bringen, aber wir haben nun einen neuen genetischen Kontrollmechanismus zu untersuchen."

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