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News: Ungeordnete Anordnung

Stromausfälle bedeuten unweigerlich den Verlust von Daten für Computer. Molekulare Elektronik ist vor solchen Störungen unter Umständen gefeit.
Nanocell
Speicherbausteine sind nicht sonderlich aufregend strukturiert. Immer und immer wieder wiederholt sich die ewig gleiche, schachbrettartige Anordnung aus Speicherzellen und deren Zuleitungen. Dabei besitzt jedes einzelne Bit seine eigene Speicherzelle, die im Grunde aus nicht viel mehr als einem Kondensator besteht, der je nach Ladezustand eine logische 0 oder 1 repräsentiert. Über Wort- und Bitleitungen, die horizontal beziehungsweise vertikal all diese Speicherzellen verknüpfen, lässt sich gezielt der Inhalt eines einzelnen Bits auslesen oder schreiben. Man kann sich leicht ausmalen, wie viele Kondensatoren und Leitungen es braucht, um ein Megabyte Daten zu speichern.

Dummerweise haben solche Speicherbausteine ein ziemlich kurzes Gedächtnis, denn schon nach Sekundenbruchteilen verlieren die Kondensatoren ihre Ladung. Deshalb muss der Speicher im Computer ständig aufgefrischt werden. Praktischer wäre es, ohne diese ständigen Erinnerungen. Zudem könnten dann auch Stromausfälle ihren Schrecken verlieren. Tatsächlich gibt es mit MRAMs schon nichtflüchtigen Speicher, die beispielsweise in Satelliten ihre Arbeit verrichten. Doch noch stehen diese Chips in punkto Kapazität normalen RAM-Bausteinen nach. Zudem ist ihre Herstellung noch komplizierter als die der herkömmlichen Speicher.

Aber vielleicht bietet die Molekularelektronik in Zukunft eine Alternative. Mit ihren Nanocells erzielen die Forscher um James Tour von der Rice University in Houston zumindest schon recht vielversprechende Ergebnisse. Eine Nanocell besteht dabei aus einem rechteckigen Stück elektrisch isolierenden Siliciumdioxids von 40 mal 10 Mikrometern Größe, auf das eine dünne mehrfach unterbrochene Goldschicht aufgedampft wurde.

Die Goldstruktur, die aufgrund ihres unregelmäßig-fraktalen Aussehens entfernt an die Windungen eines Gehirns erinnert, entsteht beim Aufdampfprozess praktischerweise von alleine. So wachsen zunächst Goldinselchen auf dem Halbleiter, die sich zu größeren Clustern zusammenschließen und schließlich eine durchgehende Schicht bilden. Bricht man den Aufdampfprozess früh genug ab, entsteht indes eine fraktale, nicht zusammenhängende Goldschicht, die im Unterschied zu herkömmlichen Speicherchips keinerlei Ordnung aufweist.

Mit herkömmlichen lithographischen Methoden werden die Nanocells anschließend mit je fünf Kontakten versehen, die gegenüberliegend an den langen Seiten der Zelle angebracht sind. Über diese Elektroden können die Wissenschaftler durch Widerstandsmessungen überprüfen, ob die Goldschicht auch wirklich unterbrochen ist.

Im letzten Schritt stellen die Chemiker auf elektrochemischem Wege Nanodrähte aus Gold her, die sie anschließend mit einer organischen Schwefelverbindung vermengen – ein aromatisches Molekül mit einer Thiolgruppe an einem Ende, einer Nitrogruppe in der Mitte und einer Thioacetylgruppe am anderen Ende des Moleküls. Diese und ähnliche Verbindungen hatten zuvor schon in anderen Arbeiten ihre ihre elektrischen Schalteigenschaften unter Beweis gestellt hat. In diesem Fall geht die funktionelle Thiol-Gruppe (-SH) bereitwillig eine Bindung mit dem Gold der Nanodrähte ein, wobei das andere Ende, das mit einer Thioacetyl-Gruppe (-SAc) belegt war, von dem Nanoröhrchen wegweist.

Nach Entfernen der Acetyl-Gruppe mit Ammoniakwasser und Ethanol-Lösung verbleibt auch hier ein "klebriger" Schwefelrest, der mit der unterbrochenen Goldschicht eine Bindung eingehen kann. Auf diese Weise schlagen die Nanodrähte feste Brücken über die Gräben der unterbrochenen Goldstruktur.

Soweit zur Herstellung. Im Experiment mussten diese Nanocells ihre Merkfähigkeit unter Beweis stellen. Das geschah, indem die Forscher Strom-Spannungs-Kennlinien über den Kontakten des Bausteins aufnahmen. Deutlich zu erkennen war in der graphischen Auftragung jeweils ein scharfes Maximum der Stromstärke, das von einem elektrischen Umschaltprozess kündete. Tatsächlich ließ sich durch Anlegen einer negativen oder positiven Spannung eine 0 oder 1 in die Nanocell einschreiben und wieder auslesen. Je nachdem wie hoch die Spannung beim Auslesevorgang gewählt war, blieb der ursprüngliche Speicherinhalt entweder bestehen (conductive-type memory) oder wurde invertiert (switch-type memory) – aus einer 0 wurde also eine 1 und umgekehrt.

Tour und seine Kollegen bieten zwei Erklärungen für das spannungsabhänige Schaltverhalten ihrer Nanocells an: Zum einen ist es möglich, dass molekular-elektronische Prozesse beispielsweise eine Konformationsänderung, also ein Umbau der Molekülstruktur, den Schaltprozess bewirkt. Zum anderen könnte Elektromigration eine Rolle spielen, bei welcher der fließende Strom Goldatome mit sich reißt und entlang der Moleküle wieder abscheidet. Mit verschiedenen Tests ließ sich keines der beiden Modelle zweifelsfrei ausschließen, wenngleich das Forscherteam die zweite Möglichkeit für wahrscheinlicher hält.

Aber auch ohne genau den Mechanismus zu verstehen, funktionieren die Nanocells offenbar ganz ausgezeichnet. Dass ihnen Raumtemperatur nichts ausmacht, ist besonders für mögliche Anwendungsgebiete gängiger Computertechnik von Bedeutung. Auch Licht oder ein Betrieb an Luft hatten keinen negativen Einfluss auf die Speicherelemente. Vielleicht noch viel wichtiger ist: Je nach Speichermodus blieben die eingeschriebenen Bits tatsächlich zwischen neun und elf Tagen gespeichert, ohne dass es zwischendurch einer Auffrischung bedurft hätte.

Und schließlich ist die Herstellung von Nanocells vergleichsweise günstig. James Tour erklärt warum: "Ein großer Teil der Kosten bei der Herstellung integrierter Schaltkreise rührt von der mühseligen Präzisionarbeit, die sicherstellen soll, dass jedes der Millionen von Schaltkreiselemente genau an der richtigen Stelle des Chips sitzt. Unsere Forschung zeigt, dass derart geordnete Exaktheit keine Voraussetzung für elektronische Datenverarbeitung ist. Es ist möglich, Speicherschaltkreise mit einem ungeordneten System zu verwirklichen."

Nicht nur Speicherelemente sind denkbar. Tour arbeitet mit seinen Kollegen bereits daran, den Nanocells auch einfache logische Schaltungen einzuimpfen, sodass Nanocells auch die Rechenfunktionen eines Computer übernehmen können. Allerdings wird sich ein solcher Nanocell-Computer nie im herkömmlichen Sinne programmieren lassen, er muss vielmehr trainiert werden, bestimmte Funktionen auszuführen. Lernfähige Speicher und Rechbausteine? Offensichtlich sind Nanocells unserem Gehirn gar nicht so unähnlich – vielleicht liegt es in beiden Fällen an der ungeordneten Struktur, in der die richtigen Verbindungen erst zu knüpfen sind?

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