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Meeresbiologie: Ungleiche Arbeitsteilung

Die Tiefsee ist ein unwirtlicher Ort. Wer hier überleben will, muss sich kreativ jede Nahrungsquelle zu eigen machen. Die Riesenmuschel Calyptogena magnifica jedoch, die am Rande heißer Thermalquellen lebt, hat sich der mühseligen Nahrungsaufnahme schlicht entledigt: Die besorgt statt ihrer ein bakterieller Untermieter, der alle Arbeit ganz allein erledigt.
Schwarzer Raucher im Atlantik
Am düsteren Untergrund in der Tiefsee brodelt es. Heißes Wasser sprudelt aus einer unscheinbaren Erdspalte hervor, begleitet von dichten Sedimentwolken. Ringsum bedecken ganze Teppiche von Röhrenwürmern den Boden nahe der Thermalquelle; Krebse, Muscheln und Mikroorganismen sitzen dazwischen. Die schwarzen Raucher am Meeresgrund sind ein Hort vielfältigen Lebens.

Die Tiefseeorganismen um diese Raucher leben von dem, was das Wasser in der Hitze des Erdinneren aus dem Magma herausgelöst hat: Kupfer- und Eisen-Salze etwa, aber auch Sulfide. Diese Mineralien werden beim Zusammentreffen von heißem Untergrundwasser und dem kalten Nass der Tiefsee ausgeflockt – und so für die hungrigen Organismen greifbar.

Doch die meisten der Tiefseewesen benötigen für die Verarbeitung der Salze umfangreiche Hilfe. Denn die anorganischen Mineralien sind nicht so ohne Weiteres zur alleinigen Diät geeignet. Damit Röhrenwürmer oder Muscheln überhaupt etwas zu beißen kriegen, bedürfen sie der Hilfe winziger Bakterien. Diese oxidieren die Schwefel-Salze und bilden durch die Assimilation von Kohlendioxid Biomasse, von der die anderen Tiere zehren können.

Auch die weiße Riesenmuschel Calyptogena magnifica ist auf eine solche Kooperation angewiesen. Deshalb hat das etwa dreißig Zentimeter große Weichtier sich die kleinen Helfer kurzerhand einverleibt und beherbergt die Schwefel-Fresser in ihrem Kiemengewebe. Als Dank produziert das Bakterium Ruthia magnifica der Muschel alles, was diese zum Leben braucht, hat ein Team von Genetikern unter der Leitung der Meeresbiologin Colleen Cavanaugh von der Harvard-Universität in Cambridge herausgefunden.

Die Forscher hatten das Genom des kleinen Arbeiters sequenziert und es auf seine Fähigkeiten untersucht. Dabei entdeckten sie, dass das Bakterium seinem Wirt nicht nur Kohlenstoffe zukommen lässt, indem es Kohlendioxid reduziert. Es produziert zudem auch noch alle zwanzig Aminosäuren, welche die Muschel zum Leben benötigt – und zehn wichtige Vitamine gleich dazu. Die Muschel erhält also durch ihren Untermieter eine höchst vielseitige Kost, die ihr ein angenehmes Leben am Rande der heißen Quellen erlaubt.

Gleichzeitig entdeckten die Wissenschaftler, dass den Bakterien die spezifischen Transporter fehlen, um die Nährstoffe in die Zellen ihres Wirtes zu befördern. Die Forscher vermuten daher, dass die kleinen Helfer entweder lecken oder aber von der Muschel nach getaner Arbeit schlichtweg verdaut werden – die sich so die benötigten Nährstoffe zuführt. Für die nächsten Verwandten der Bakterien zumindest ist ein solches Schicksal schon bekannt.

Doch was haben die Bakterien davon, der Muschel die unterschiedlichsten Nährstoffe frei Haus zu liefern und zum Dank anschließend auch noch verspeist zu werden? Meist liegt der Vorteil zellulären Untermieter darin, dass sie ihr Genom auf das Notwendigste reduzieren können und so Energie sparen, die außerhalb des Wirtskörpers für Bewegung und Reproduktion benötigt würden. Und tatsächlich weist das Erbgut von Ruthia magnifica einige Defekte auf, die auf seine Reduktion schließen lassen. Dennoch hat es ein vergleichsweise großes Genom – größer als alle anderen intrazellulären Bakterien, die bislang sequenziert wurden.

Die Forscher vermuten daher, dass sich das Bakterium noch in einem Zwischenstadium befindet – auf dem Weg zu einer plastidähnlichen Organelle, wie man sie auch bei fotosynthetischen Pflanzen findet. Erst wenn dieses Stadium erreicht ist, kann das Bakterium einen echten Nutzen aus der Symbiose ziehen. Allerdings auf Kosten der eigenen unabhängigen Existenz.

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