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Sprachtypologie: Universelle (Mit-)Lautgesetze

Seit Jahrzehnten fahnden Linguisten danach, welche Eigenschaften alle Sprachen gemeinsam haben - nur allzu oft vergeblich. Jetzt fanden Forscher heraus: Koreaner wissen mehr, als sie eigentlich wissen dürften.
Wenn ein Japaner auf Deutschlandtour ein "shunitseru" bestellt, bedarf es vermutlich der Gewieftheit eines Heidelberger Altstadt-Gastwirts, um auf Anhieb zu verstehen, dass ein Schnitzel gemeint ist. Oder aber der intimen Kenntnis der japanischen Silbenstruktur, wie sie Paul Smolensky von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore mitbringt.

Sie ist nämlich der Grund für die eigentümliche Aussprache: Im Japanischen darf keine Silbe mit mehr als einem Konsonanten beginnen (mit Ausnahme von "ts"), dem Touristen fehlt daher sowohl die Übung, als auch das trainierte Gehör, um das "sch" mit dem "n" zu verbinden. Als Ausweg wird ein stummes "u" dazwischen geschoben und aus einer Silbe zwei gemacht. Weil Silben außerdem nicht in einem Konsonanten enden dürfen, geschieht das gleiche mit dem "-el".

Nicht mit dem Japanischen, sondern dem in dieser Hinsicht ganz ähnlichen Koreanischen hat sich der Linguist Smolensky jetzt beschäftigt, um zu beweisen, dass Koreaner trotzdem etwas über Doppelkonsonanten wissen, das sie – angesichts ihrer eigenen Muttersprache – eigentlich gar nicht wissen dürften.

Linguistische "Naturgesetze"

Sie sind die Naturgesetze der Sprache und eine Art heiliger Gral der vergleichenden Sprachwissenschaft: die Universalien. Merkmale oder Eigenschaften, die auf jede beliebige Sprache zutreffen – seit Jahrzehnten im Fokus der Forscher, aber notorisch schwer festzunageln angesichts der Vielzahl menschlicher Idiome.

Ein Beispiel: "Sämtliche Sprachen haben die Wortarten 'Nomen' und 'Verb'." Einspruch! Forscher, die sich mit nordamerikanischen Indianersprachen auseinander setzten, haben entdeckt: Dort ist diese Unterscheidung nicht immer sinnvoll. Zweiter Versuch: "In allen Sprachen kann man Satzteile ineinander verschachteln?" Keineswegs, das in Australien gesprochene Warlpiri beispielsweise fügt sich nur mit Mühe in unsere gängigen Vorstellungen von Satzstrukturen.

Je mehr die Linguisten über die verwirrende Vielfalt menschlicher Ausdrucksweisen gelernt haben, desto bescheidener wurden sie. Universalien, die eine Chance auf Gültigkeit beanspruchen, ohne allzu trivial zu sein, beschreiben deshalb meist Beziehungen zwischen verschiedenen Sprachtypen, ausgedrückt in Hierarchien und der Wenn-Dann-Form. Die Reihenfolge "Präsens > Präteritum > Futur" etwa soll heißen: Wenn eine Sprache eine spezielle Verbform für die Zukunft hat, dann hat sie auch eine für die Vergangenheit; nicht aber umgekehrt.

Mangel an Beweisen

Oder – womit wir wieder bei den Doppelkonsonanten angelangt wären – folgende, etwas kryptisch anmutende Hierarchie: "bl... > bn... > bd... > lb...". Gemeint ist: Dürfen in einer Sprache Silben mit "bd" beginnen, dann ist sowohl "bn", als auch "bl" möglich. Russisch, das sogar "lb" zulässt, muss folglich auch alle anderen Doppelkonsonanten erlauben. Freilich bezieht sich die vorgeschlagene Gesetzmäßigkeit nicht allein auf die Umgebung des Lautes "b", entscheidend ist, inwiefern sich beide Konsonanten in einem Merkmal unterscheiden, das Phonologen als Sonorität bezeichnen.

Ein Gegenbeispiel für beide mutmaßlichen Universalien hat noch niemand gefunden. Nur: Forscher können eben auch schwerlich die rund 6000 weltweit gesprochenen Sprachen danach absuchen, von ausgestorbenen und gar zukünftigen Sprachen ganz zu schweigen. Illusionen darf sich keiner hingeben: Die Gültigkeit solcher Aussagen lässt sich aus prinzipiellen Gründen nicht beweisen.

Wer die Kollegen überzeugen will, muss Gründe für das Vorhandensein eines Universale anbieten. Wird es durch die Eigenschaften einer angeborenen Sprachfähigkeit bestimmt? Oder entspringt es eher dem Zusammenspiel allgemeiner Faktoren, etwa Homo sapiens' spezieller Weltsicht, dem Aufbau seiner Sprechorgane, den Bedingungen der Kommunikation? Ist am Ende alles bloßer Zufall?

Eher "Lbif" oder "Belif"?

An letztere Möglichkeit wollten Paul Smolensky und Kollegin Iris Berent nicht glauben, zumindest was die oben genannte Sonoritätshierarchie der Doppelkonsonanten angeht. Seine Überlegung: Sollte es sich tatsächlich um ein Universale handeln, müssten Sprecher aller Sprachen diese Skala kennen – und zwar tatsächlich aller Sprachen, also auch derjenigen, die nicht einmal "bl" erlauben, weil sie überhaupt keine Doppelkonsonanten am Silbenbeginn zulassen.

Zwei Experimente mit Koreanisch-Sprechern haben jetzt erwiesen, dass auch ihnen etwa ein Kunstwort wie "Lbif" ungewöhnlicher vorkommt als das Wort "Blif". Seinen Versuchspersonen konnte Smolensky sogar nachweisen, dass sie zwar vergleichsweise leicht "Blif" von "Belif" unterscheiden konnten, aber umso öfter daneben lagen, je höher der getestete Doppelkonsonant in der Hierarchie stand. Dieses Ergebnis zeigte sich sowohl beim reinen Unterscheidungstest, als auch beim Zählen der Silben des getesteten Wortes: Wer "Benif" statt "Bnif" hörte, zählte fälschlicherweise zwei Silben.

Damit ist ausgeschlossen, dass die Sonoritätshierarchie sich in verschiedene Idiome eingeschlichen hat – sei es rein zufällig aus Gründen der Sprachverwandtschaft oder über einen Selektionsprozess, der weltweit über Jahrhunderte schwerer zu artikulierende Lautketten ausgefiltert hat – und sich nun, per Analogieschluss von bereits bekannten Wörtern auf alle Neuschöpfungen, von selbst erhält.

Universell bis auf Weiteres

Nein, sie steckt irgendwie von Natur aus in unseren Köpfen, unabhängig davon, mit welcher Sprache wir aufgewachsen sind. Warum aber die Sonorität eine entscheidende Rolle spielt, andere phonologischen Merkmale dagegen keine, ergibt sich leider, wie auch Smolensky zugibt, nicht aus seinem Experiment. Es lässt sich trefflich spekulieren darüber. Smolensky und sein Team halten es für gut möglich, dass die Ursache in unserem Lautbildungsapparat oder der Wahrnehmung zu finden ist.

Doch wie dem auch sei: Vielleicht bedarf es noch einiger Wiederholungen des Experiments mit Sprechern anderer Sprachen, aber künftig kann wohl die Sonoritätshierarchie als universelle Eigenschaft gelten – zumindest bis uns ein aufmerksamer Feldforscher das Gegenteil beweist.

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