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Methantetrol: »Unmögliches« Molekül in künstlichem Kometeneis hergestellt

Seit über 100 Jahren versuchen Fachleute, das theoretisch vorhergesagte Molekül Methantetrol herzustellen. Erst, als sie den Weltraum im Labor simulierten, hatten sie Erfolg.
Eine 3D-Darstellung eines Moleküls schwebt über einer eisigen, blauen Landschaft im Weltraum. Der Hintergrund zeigt einen sternenübersäten Himmel mit einem hellen Stern. Das Molekül besteht aus grauen, roten und weißen Kugeln, die durch Stäbe verbunden sind, und symbolisiert Atome und Bindungen.
Eis im Vakuum, knapp über dem absoluten Nullpunkt und mit harter Strahlung bombardiert: Unter diesen extremen Bedingungen bildet sich das harmlos aussehende Methantetrol.

Schon vor über 100 Jahren sagte der deutsche Chemiker Ernst Wilke die Existenz eines ebenso gewöhnlichen wie exotischen Moleküls voraus. Doch Methantetrol, bestehend aus einem zentralen Kohlenstoffatom, das vier für Alkohole typische OH-Gruppen trägt, erwies sich jahrzehntelang als unerreichbar. Um diesen simpel erscheinenden Stoff herzustellen, war simuliertes Kometeneis nötig. Denn das Molekül ist extrem instabil und zerfällt normalerweise so schnell, dass man es nicht beobachten kann. Ein Team um Joshua Marks von der University of Hawaii at Manoa in Honolulu hat nun jedoch einen Weg gefunden, das Molekül herzustellen und nachzuweisen. In der Fachzeitschrift »Nature Communications« berichtet die Arbeitsgruppe, dass der Stoff entsteht, wenn man eine Mischung aus Wassereis und gefrorenem Kohlendioxid mit hochenergetischen Elektronen bestrahlt. Vergleichbare Reaktionen könnten auch in Kometen Vorläufermoleküle für Lebensbausteine erzeugen.

Es ist nicht das erste ungewöhnliche Molekül, das die Arbeitsgruppe auf diese Weise herstellt. Erst 2024 gelang den Fachleuten, Methantriol zu erzeugen, einen Stoff mit drei OH-Gruppen am zentralen Kohlenstoffatom. Auch dieses Molekül ist extrem instabil, denn beide verletzen die fast 150 Jahre alte Erlenmeyer-Regel: Demnach spalten organische Moleküle mit mehr als einer OH-Gruppe am gleichen Kohlenstoffatom sofort Wasser ab. Zurück bleibt dann ein Molekül mit einem doppelt gebundenen Sauerstoffatom. Rein formal entsteht Methantetrol auf dem umgekehrten Weg: Es ist das Ergebnis einer Kopplung von Kohlensäure mit einem Wassermolekül.

Praktisch läuft die Methode, die das Team um Marks entwickelt hat, jedoch anders ab. Die Fachleute kühlten eine Mischung aus Wasser und Kohlendioxid auf eine Temperatur von fünf Grad über dem absolluten Nullpunkt ab (auf minus 268 Grad Celsius) und beschossen sie mit Elektronen. Die spalten dabei chemische Bindungen im Wasser und lassen so Wasserstoff- und Hydroxylradikale entstehen – sehr reaktive Bruchstücke, die sich wiederum mit dem Kohlendioxid verbinden. Normalerweise würden sich solche hochenergetischen Fragmente sofort wieder in einfache Moleküle aufspalten, doch wegen der extrem niedrigen Temperaturen laufen alle diese Reaktionen sehr langsam ab. Das gibt den Bruchstücken die Zeit, auch ungewöhnliche Reaktionsfolgen zu durchlaufen. Um Methantetrol zu bilden, sind insgesamt vier Schritte nötig, in denen die Zwischenprodukte immer weiter mit den Trümmern der Wassermoleküle reagieren. Schließlich sorgen die extrem tiefen Temperaturen auch dafür, dass das Molekül lange genug existiert, um nachgewiesen zu werden.

  • Quellen
Marks, J. et al., Nature Communications 10.1038/s41467–025–61561-z, 2025

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