Evolution der Wirbeltiere: Unsere Hand ist eine alte Fischflosse
Irgendwann vor rund 400 Millionen Jahren begannen die ersten Fische aus den Urozeanen unserer Erde, das Land zu besiedeln. Sie entwickelten nach und nach Lungen statt Kiemen und Beine statt Flossen. Wie das genau vonstattenging, gehört noch immer zu den ungelösten Rätseln der Wissenschaft. Das liegt auch daran, dass uns Skelette der ausgestorbenen Übergangswesen fehlen, an denen wir die ersten anatomischen Veränderungen gut ablesen könnten: Die ältesten bis dato gefundenen Überreste von eindeutigen Landlebewesen sind 380 Millionen Jahre alt; das ist eigentlich nur ein Haufen von Knochenresten, die uns wenig über das Aussehen der Tiere sagen. Und noch früher, im mittleren bis späten Devon vor 393 bis 359 Millionen Jahren, müssen schon die ersten Übergangsformen gelebt haben, die Wissenschaftler in der Gruppe der so genannten Elpistostegalia verorten. Von denen kennt man Gattungen wie Tiktaalik oder Ichthyostega. Doch just die spannendsten Teile ihrer Skelette, wie die gerade zum Bein werdenden Bereiche der Brustflossen, sind nicht allzu gut erhalten. Jetzt gibt es jedoch ein besseres Anschauungsobjekt, wie ein Forscherteam in »Nature« mitteilt.
Die Wissenschaftler stellen die fossilen Überreste eines zu Lebzeiten rund eineinhalb Meter langen Vertreters von Elpistostege watsoni mit ungemein gut erhaltenen Brustflossen vor. Die Untersuchung des Tieres im Computertomografen belegt, wie sehr die Anatomie der frühesten Landgänger die Evolution aller späteren Landwirbeltiere inklusive des Menschen geprägt hat. Die Brustflosse zeigt typisch platzierte Vorläufer der Wirbeltierarmknochen Humerus, Radius und Ulna sowie Knochenreihen vom Handgelenk. Zudem weist das Exemplar zwei eindeutige fingerartige Flossenknochen und Anlagen für drei weitere ähnliche Finger auf, die dann im Lauf der Evolution zu den Finger- und Handknochen des Menschen geworden sind.
© John Long, Flinders University
So könnte das Fossil zu Lebzeiten ausgesehen haben
Wissenschaftler hatten solche Übereinstimmungen zwischen dem Bau der ersten Landwirbeltierextremitäten und den letzten Flossen der Übergangsfische schon vermutet: Die typische Form ist immerhin bereits bei den urzeitlichen Quastenflossern – einem bis heute überlebenden Fisch – ähnlich wie bei den späteren Wirbeltieren. Bei all den Übereinstimmungen in der Knochenzusammensetzung und -anordnung waren die Extremitäten des frühen Landfischs E. watsoni sonst allerdings recht flossenartig: So sind neben den Arm- und Fingervorläuferknochen auch noch typische Flossenstrahlen zu erkennen, also schlanke, stützende Skelettstäbe. Insgesamt hat das alte Fossil eine Reihe der Eigenschaften späterer Landwirbeltiere. Die Arm- und Handknochen scheinen bereits bei diesem Landtiervorläufer andere Funktionen übernommen zu haben als im typischen Fisch. Vielleicht lebte das Tier in flachen Gewässern und begab sich ab und an auf der Flucht oder Jagd schon kurz an Land.
Der Fund zeigt, wie Evolutionsprozesse vorhandene anatomische Strukturen umformen und neuartige Funktionsanforderungen umsetzen. Der Gang vom Wasser an Land hat dabei sicher nicht nur rein anatomische Veränderungen notwendig gemacht. Wissenschaftler diskutieren zum Beispiel ebenfalls darüber, wie das Nervensystem umgestrickt wurde, um die Anpassung der sich entwickelnden Landtiere an das Laufen mit Extremitäten zu ermöglichen.
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