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Parasitologie: Unterwanderte Plagegeister

Malariaparasiten müssen einige Klippen überwinden, bevor sie Menschen gefährlich werden können. Leider scheinen die Schmarotzer gute Kletterer zu sein – ihnen Steine in den Weg zu legen, erweist sich schwerer als erhofft.
<i>Anopheles gambiae</i>
Was sind das schon, einige zehntausend, ein paar hunderttausend Jahre? Kaum mehr als Wimpernschläge, jedenfalls im Maßstab der biologischen Evolution. Immerhin, Homo sapiens etwa existiert kaum länger. Mit ihm aber entwickelten sich, ebenso schnell und ebenso erfolgreich, alle jene Arten, die speziell von der Art Mensch selbstsüchtig profitieren: die menschlichen Parasiten. Sie haben ihre Zeit gut genutzt, etwa der Gefährlichste: Plasmodium falciparum, Erreger der tödlichsten Malariavariante.

An Malaria, der häufigsten Tropenkrankheit, wird auch am Ende dieses Jahres wieder rund eine Million Menschen gestorben sein, etwa 300 Millionen werden sich neu infiziert haben. Trotz jahrzehntelanger Forschung – alles andere als ein Wimpernschlag für die Erfolg gewohnte moderne Medizin – bleibt es ein fernes Ziel, den Parasiten in den Griff zu bekommen: Zu perfekt hat der Schmarotzer bereits gelernt, sich in das System Mensch einzuklinken, es zum eigenen Nutzen zu manipulieren und dabei stets wandelbar genug zu bleiben, um neuen Medikamenten innovativ zu begegnen.

Lebenszyklus | Der Lebenszyklus des Malariaerregers Plasmodium: Gametogonie, die im Erythrozyten des Menschen beginnt und im Darm der Mücke endet (1); Sporogonie im Körper der Mücke (2); Schizogonie im Leberparenchym und später in den Erythrozyten des Menschen (3)
Neue Ansätze zur Bekämpfung sind dringend gefragt. Als eine möglicherweise elegant ausnutzbare Achillesferse im Malaria-Lebenszyklus ist dabei seit einiger Zeit jene Phase ins Visier genommen worden, die der Erreger, noch vor der Infektion eines Opfers, außerhalb des menschlichen Körpers verbringt – im Körper einer blutsaugenden Mücke. Sie erst infiziert den Menschen, über ihren parasitenhaltigen Speichel, beim Stich.

Hätte es also nicht einen gewissen – wahrlich doppelten – Reiz, gefährliche Mückenspezies möglichst vollständig auszurotten? Auch andere von den schwirrenden Plagegeistern übertragene Krankheitserreger wären dann schließlich besiegt. Ein solcher ultimative Mückenschlag erwies sich aber, in durchaus ernst gemeinten Versuchen, bereits vor einiger Zeit als unrealistisch und nicht praktikabel: Mücken, so die bittere Erkenntnis, wird es vielleicht länger als Menschen geben.

Also Kommando zurück: Könnte man nicht mit Hilfe der Wissenschaft den Mücken dabei helfen, mit den Malariaparasiten in ihrem Körper fertig zu werden – und dies, bevor ein Stich die Schmarotzer auf den Menschen überträgt? Derart gestärkte parasitenbefreite Mückenstämme könnten sich, so die Theorie, immerhin vielleicht auf Dauer gegen ihre naturbelassenen Vettern durchsetzten und so nebenbei dem mückenabhängigen Malariaparasiten den Garaus machen.

Erstes Problem: Wie genau stärkt man eigentlich ein Mückenimmunsystem gegen Malariaparasiten? Diese Frage erwies sich als knifflig – Wissenschaftler wie Christophe Boëte und seine Kollegen von der Universität Pierre et Marie sind nun aber immerhin schon so weit, einige Teilaspekte zu verstehen. Und wie sich zeigt, stehen alle potenziellen Mückenmanipulateure vor einer großen Aufgabe: Der Malariaparasit ist ihnen schon wieder um ein paar Nasenlängen voraus – er scheint die Insektenimmunabwehr schon ziemlich gut zu kennen.

Zu dieser Erkenntnis gelangten die Wissenschaftler um Boëte, als sie die Maßnahmen untersuchten, die das Mückenabwehrsystem gegen frisch eindringende Malariaparasiten einleitet. Mit dem Blut infizierter Menschen dringen zunächst männliche und weiblichen Malariageschlechtszellen in den Darm des Blutsaugers ein; diese vereinigen sich zum ersten Jugendstadium eines neuen Malariaparasiten, der beweglichen Zygote. Gesunde Mücken reagieren darauf abwehrend: Die entstandene Malariazygote wird möglichst von Immunzellen eingekapselt, bevor sie weitere Entwicklungsschritte einleiten kann.

Wie die Forscher nun an der Hühnervariante des Malariaparasiten, Plasmodium gallinaceum beispielhaft zeigten, lässt die Zygote sich dies aber nicht einfach so bieten: Der Abwehrmechanismus der Einkapselung, gängige Waffe gegenüber allen potenziellen Fremdkörpern im Mückenkörper, funktioniert in Gegenwart lebender Malariazygoten etwa sechsmal schlechter.

Vermutlich, so die Wissenschaftler, liege dies an bestimmten, von dem Parasiten abgegebenen Substanzen, welche in die Hüllenstruktur der Abwehrzellen des Insekts eingreifen. Ganz ähnlich funktioniert etwa ein Abwehrmechanismus des Pesterregers, einem Bakterium, in dessen Insektenwirt, dem Floh.

Doch damit noch nicht genug: Offenbar ist das Blut infizierter Menschen auch ohne direktes Zutun lebender Malariazygoten bereits im Sinne des Parasiten verändert. Mücken, die von Parasiten vollständig befreites Blut Infizierter zu sich nahmen, konnten danach Fremdkörper dreimal weniger effizient einkapseln als solche Mücken, die am Blut gesunder Menschen genascht hatten. Im Blut infizierter Opfer muss daher eine das Insektenimmunsystem dämpfende Substanz enthalten sein – welche, bleibt indes noch unklar.

Im unangenehmsten Fall, so eine Erklärungsvariante der Forscher, könnte das von dem Parasiten angestachelte Immunsystem infizierter Menschen die Ursache für den Erfolg der Parasiten bei der Mücke sein: Mit dem Blut übertragene menschliche Immunabwehrsubstanzen könnten die Mückenabwehr stören und wirkungslos machen. Lachender Dritter in diesem Fall – wieder der Parasit.

Und der, so die Wissenschaftler, könnte noch einen letzten Trumpf im Ärmel haben. Wie die Forscher beobachteten, leben nämlich Mücken, die bei einer Infektion von vornherein auf Abwehrmaßnahmen verzichten – ob gewollt oder erzwungen, bleibt dabei gleich – sogar länger als Artgenossen, deren Immunabwehr auf vollen Touren Malariazygoten einkapselt. Eine verbissene Verteidigung gegen den Parasiten scheint demnach mehr Energie zu kosten und mehr Nachteile mit sich zu bringen, als sich einfach seinem Schicksal zu ergeben. Mücken können sich letzteres bei Malariainfektionen zudem auch leisten – für sie ist der Parasit, anders als beim Menschen, nicht tödlich.

Bleibt ein ernüchterndes Fazit: Offenbar haben die Malariaparasiten sich nicht nur an den Körper ihres menschlichen Wirtes gelernt anzupassen – den Körper ihres Insekten-Zwischenwirtes scheinen sie ebenso gut zu kennen und zu manipulieren und mit ihm sogar eher friedlich zu koexistieren. Kein Kunststück: In Insekten könnten Malariaparasiten und ihre Ahnen vielleicht schon länger als ein paar hunderttausend Jahre leben.

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