Datenrettung: Klimaforschung im Zeichen der Kettensäge

Als Erstes traf es Gerechtigkeit und Fairness. In den ersten Tagen nach Donald Trumps zweitem Amtsantritt verschwanden Regierungswebsites, die etwas mit diesen Begriffen zu tun hatten. Zum Beispiel Karten, die zeigten, welche Bevölkerungsgruppen besonders von Umweltbelastungen betroffen sind.
Die Geochemikerin Gretchen Gehrke war vorbereitet. Zusammen mit ihren Kollegen hatte sie schon im Januar 2025 begonnen, Websites und Forschungsdaten zu archivieren. Sechs von neun Informationsportalen, die sich mit Umwelt, Klima und Gerechtigkeit befassen, konnte die Initiative rechtzeitig retten und wiederherstellen. Keine leichte Aufgabe, erklärt Gehrke, da diese Websites viele Datenbänke miteinander verknüpfen.
Gehrke hatte bereits Ende 2016 zusammen mit Umweltanthropologen und Umwelthistorikern eine Initiative für Forschungsdaten gestartet – also direkt nach Trumps erstem Wahlsieg. Sie erzählt, der Auslöser sei die Mail eines Kollegen gewesen: »Was können wir jetzt tun?« Sie entschieden, öffentliche Forschungsdaten zu archivieren und zu dokumentieren, wie sich der staatliche Umgang mit Klima und Umwelt ändern würde. Tatsächlich verschwand während Trumps erster Amtszeit (2017–2021) die Informationsseite der Umweltbehörde über den Klimawandel. Die Verwendung des Begriffs »Klimawandel« ging auf Regierungsseiten um fast 40 Prozent zurück, wie die Initiative in einer Studie feststellte. Aber in Institutionen wie der Weltraumbehörde NASA oder der Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA lief die Klimaforschung damals größtenteils weiter.
Anders in der zweiten Trump-Amtszeit. Während Gehrke am Telefon erzählt, was nun auf die Klimaforschung zukommt, ist sie gerade beim Joggen – sie ist eben sehr beschäftigt zurzeit. »Die Geschwindigkeit und das Ausmaß sind deutlich größer als das, was wir beim ersten Mal gesehen haben«, sagt Gehrke.
US-Behörden spielen bisher eine zentrale Rolle in der Klimaforschung. Die USA sind ein großes Industrieland, flächenmäßig und hinsichtlich der Emissionen. Zudem finanzieren sie die am längsten laufende Messreihe für atmosphärisches CO2, aber auch bedeutende Klimamodelle, Klimasatelliten, Messstellen rund um die Erde, in internationalen Gewässern und an Land. Sie sammeln Klimadaten und stellen sie der Forschungsgemeinschaft zur Verfügung. Fachleute der NASA und der Wetterbehörde NOAA waren bisher an zahlreichen internationalen Forschungskooperationen beteiligt. NASA-Satelliten beobachten zum Beispiel die Wolkenbedeckung, die einen wichtigen Einfluss auf den Klimawandel hat. Und die NOAA erforscht die Ozeane, die rund ein Viertel des menschenverursachten Kohlendioxids aufnehmen, sich erwärmen und deren Strömungen sich ändern.
All das ist nun bedroht.
Das Rückgrat der Klimaforschung
Wenn man sich einen Beitrag der US-Behörden herausgreifen soll, der nun gefährdet ist, dann vielleicht dieses Kronjuwel der Klimaforschung: die Messstelle in Mauna Loa. Auf einem Vulkan in Hawaii läuft seit 1958 eine Messung der atmosphärischen CO2-Konzentration. Das Büro, das die NOAA auf Hawaii für den Betrieb des Observatoriums nutzt, tauchte im März auf einer der Kürzungslisten der US-Regierung auf. Seitdem bangen Klimaforscher um die weltweit am weitesten zurückreichende CO2-Messreihe.
Ralph Keeling erklärt im Videocall geduldig, warum Mauna Loa so wichtig ist. Man merkt, dass er darin Übung hat; gleich nach dem Gespräch hat er einen weiteren Medientermin. Ralph Keeling ist Klimawissenschaftler an der Scripps Institution of Oceanography in Kalifornien. Er führt die Datenanalyse seines Vaters Charles Keeling fort, nach dem die Mauna-Loa-Messreihe benannt ist: die berühmte Keeling-Kurve, die den ständigen Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre dokumentiert. »Sie ist ein Ankerpunkt für alles rund um den Klimawandel«, sagt Keeling. Keine andere Messstelle hat so viele Datenpunkte, die man als Referenz nehmen kann, etwa um zu überprüfen, ob ein gemessener Anstieg an CO2-Konzentration besonders ungewöhnlich ist.
Im Moment, sagt Keeling, stehe jedoch weit mehr auf dem Spiel als dieses eine Büro auf Hawaii: die Mauna-Loa-Messstelle selbst und viele weitere – »das Rückgrat eines globalen Netzwerks, das der Rest der Welt bisher als verlässlich betrachtet hat«, wie Keeling es beschreibt.
Gefeuert oder in den Ruhestand gedrängt
Das Fachmagazin »Nature« hatte im April 2025 unter Berufung auf geleakte Dokumente über Pläne der US-Regierung berichtet, NOAA und NASA radikal einzukürzen. Auch US-Behörden wie die für Forstwirtschaft haben einen Beitrag geleistet zur Klimaforschung, aber NOAA und NASA sind auf Grund der Größe ihrer Forschungsgebiete – das Weltall, die Ozeane –, besonders wichtig. Die Kürzungspläne sehen vor, das Forschungsbudget der NASA zu halbieren, künftige Satelliten sollen keine Instrumente für Klimaforschung mehr erhalten. Der NOAA soll mehr als ein Viertel des Budgets gestrichen werden, ein Großteil der Sparte, die sich mit langfristiger Ozean- und Atmosphärenforschung befasst, soll wegfallen – daran hängt auch das Mauna-Loa-Observatorium. Schon jetzt wurden viele hunderte Mitarbeiter der NOAA gefeuert oder in den vorzeitigen Ruhestand gedrängt.
Wie Forscher in Deutschland im Gespräch mit »Spektrum« erzählen, müssen Kollegen von US-Behörden sich nun teilweise mit ihren privaten Mailadressen in virtuelle Meetings einloggen, weil sie keine offizielle Erlaubnis mehr haben teilzunehmen. Und falls sie doch dabei sein dürfen, wird in solchen Besprechungen beispielsweise diskutiert, wie man in einer Veröffentlichung den Golf von Mexiko nennen soll. Die Behördenmitarbeiter müssen laut Vorgabe von oben »Golf von Amerika« schreiben, man einigt sich auf eine unverfängliche Zwischenlösung.
Als »eine Atmosphäre der Angst und des Chaos« beschreibt Gretchen Gehrke die aktuelle Stimmung bei der Wetterbehörde NOAA und der Umweltbehörde EPA. Manche Kollegen dort würden sich selbst zensieren und etwa das Wort »Klimawandel« aus Berichten streichen, um unter dem Radar zu bleiben und vielleicht von den Kürzungen verschont zu bleiben.
»Klimadaten waren schon immer ein Ziel«Gretchen Gehrke, Geochemikerin
Auch Gehrke hatte sich überlegt, ob man die Klimadaten erst recht in das Fadenkreuz rücke, wenn man anfinge, sie zu archivieren. Doch dann kam sie zum gegenteiligen Schluss. »Nein«, sagt sie, »sie waren schon immer ein Ziel, sie waren es, seit Project 2025 veröffentlicht wurde.«
Project 2025: Politik gegen die Klimaforschung
Project 2025 ist eine Anleitung zum Umbau der US-Regierung. Der rechte Thinktank Heritage Foundation hat sie vor der US-Wahl verfasst; Trump hatte während des Wahlkampfs behauptet, nichts davon zu wissen. In Project 2025 wird NOAA als ein Ziel für Kürzungen ausgemacht, besonders die Rolle der Behörde in der Klimaforschung wird zum Anlass genommen. Denn diese Forschung schüre nur Angst, behaupten die Autoren.
Craig McLean glaubt, NOAAs führende Rolle in der Klimaforschung sei einer der Hauptgründe dafür, dass die Behörde gerade massiv zusammengestrichen wird. McLean ist eine der wichtigsten inoffiziellen Stimmen der NOAA, auch wenn er 2022 in den Ruhestand gegangen ist. Er zählt die Positionen auf, die er in seinen 40 Jahren bei der Behörde innehatte. Eine unvollständige Wiedergabe: Fähnrich auf einem Forschungsschiff, Kapitän eines Forschungsschiffs, Leiter der Forschung, Chefwissenschaftler der NOAA. Anders als diejenigen, die dort noch arbeiten, kann er offen sprechen. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell ein Wissenschaftler seinen Job verlieren kann, wenn er Trump widerspricht.
2019 hatte Donald Trump fälschlicherweise behauptet, der Hurrikan Dorian sei auf dem Weg zum Bundesstaat Alabama. Meteorologen widersprachen. Als der Hurrikan vorbeizog und Alabama verschonte, präsentierte Trump in seinem Büro eine Karte, die angeblich die ursprüngliche, nun veraltete Prognose zeigte – es sah aus, als hätte jemand den prognostizierten Pfad des Sturms mit einem Filzstift bis Alabama verlängert. Die NOAA veröffentlichte eine Stellungnahme, die Trumps Behauptung stützte und den Wetterexperten widersprach. McLean übte intern deutliche Kritik: Das Vorgehen verletze die Prinzipien wissenschaftlicher Sorgfalt. Nach einer Konfrontation mit einem politischen Delegierten bei der NOAA verlor McLean seine Position als Chefwissenschaftler.
In der zweiten Amtszeit deutlich aggressiver gegen die Wissenschaft
War das der Anfang der Politisierung? »Auf so einem radikalen Level, ja«, sagt McLean. Dass wissenschaftliche Erkenntnisse geleugnet wurden, um es der Politik recht zu machen, habe er so zuvor nicht erfahren. Nun, in der zweiten Amtszeit, gehe die Trump-Regierung aber noch viel aggressiver gegen die Wissenschaft vor.
Die NOAA ist dem Handelsministerium unterstellt. Im April hat der Handelsminister, der nun alle Förderungen über 100 000 Dollar selbst prüfen muss, eine Zusammenarbeit zwischen der NOAA und der Universität Princeton aufgekündigt. In Princeton haben Fachleute an einem der ältesten und wichtigsten Klimamodelle gearbeitet. Die offizielle Begründung, warum die Förderung beendet wird, klingt, als könnte sie aus dem Project-2025-Handbuch kommen: Die Forschung trage bei zu »einem Phänomen namens ›Klima-Angst‹, das unter amerikanischen Jugendlichen zugenommen hat«. Das passe nicht zu den Zielen der Regierung. Das Handelsministerium und die NOAA haben nicht innerhalb der Frist auf Fragen von »Spektrum« dazu reagiert.
Was noch zu retten ist
Sie sei oft gefragt worden, ob ihre Initiative nicht einfach schnell alle NOAA-Daten archivieren könnte, erzählt Gehrke. Ihre Antwort: »Auf gar keinen Fall.« Sie habe das grob überschlagen, man bräuchte jeden Monat allein 500 000 Dollar für den Speicherplatz auf einem Server. Die Kosten für Verwaltung und Zugang seien dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Gehrke und ihre Kollegen haben Fachleute befragt, welche Daten diese unbedingt für ihre Forschung brauchen. So ist eine Liste mit Datensätzen entstanden, die sie nun abarbeiten. Tipps aus den Behörden helfen beim Priorisieren.
Ein Sprecher des Deutschen Wetterdienstes teilt mit, die NOAA teile nach wie vor die »operativen Daten«. Die Betonung liege aber auf »operativ« – also den Daten, die Wetterbehörden international für die aktuellen Vorhersagen austauschen. Über Forschungsdaten könne man keine Aussagen machen. Die Helmholtz-Zentren für Ozeanforschung (GEOMAR) und für Meeres- und Polarforschung (Alfred-Wegener-Institut) erklären auf Anfrage, sie würden sich darauf einstellen, bald eingeschränkten Zugang zu haben.
US-Behörden sind gesetzlich verpflichtet, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen
Die meisten der Websites mit Forschungsdaten, die direkt zu Beginn der zweiten Trump-Amtszeit entfernt wurden, sind wieder online, erklärt Gretchen Gehrke. Ein Gericht hatte das angeordnet. Denn US-Behörden sind gesetzlich verpflichtet, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Gehrke erwähnt diesen »Auftrag des Kongresses« öfter, aber sie scheint zu bezweifeln, dass er die Trump-Regierung aufhalten wird. Wenn zu viele Mitarbeiter gefeuert würden, dann könnten die Behörden ihrem Auftrag nicht mehr gerecht werden – und diesem Punkt sei man schon nahe.
Die geplanten Budgetkürzungen und gekündigten Förderungen bedrohen aber auch den Hardware-Beitrag der US-Behörden, also die Quellen neuer Erdbeobachtungsdaten. Das gilt für Forschungssatelliten der NASA, aber beispielsweise auch für die Ozeanbeobachtung. Tausende Schwimmer, so genannte Argo-Floats, überziehen die Ozeane weltweit mit einem ein Netz von Messstellen. Jeder Schwimmer taucht regelmäßig in die Tiefe und ermittelt beispielsweise Temperatur und Salzgehalt des Wassers, Werte, die essenziell sind für das Verständnis von Meeresströmungen. Diese Daten liefern einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Wetter- und Klimamodellen. Mehr als die Hälfte der Schwimmer haben die USA beigesteuert – über die NOAA. Deutschland gerade einmal sechs Prozent.
Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, verantwortlich für den deutschen Teil der Argo-Flotte, schreibt auf Anfrage: »Es bleibt abzuwarten, was seitens der USA noch weiter finanziert werden kann.« Aber stiegen die USA aus dem Argo-Programm aus, bedeute das langfristig »eine drastische Verschlechterung für sämtliche Vorhersagen«, es sei denn, andere Länder würden ihren Beitrag deutlich aufstocken.
Wer füllt die klaffende Lücke?
»Ich sehe nicht, dass ein anderes Land diese Rolle erfüllen könnte«, sagt Craig McLean. Im Gegenteil: Die USA hätten bisher das Tempo vorgegeben, das habe sich etwa beim Argo-Programm gezeigt: »Wenn die USA nachlassen, lassen andere Länder auch nach.« McLean hofft, dass private Investoren einen Teil ersetzen können – aber auch das würde schwer werden.
»Ich sehe nicht, dass ein anderes Land diese Rolle erfüllen könnte«Craig McLean, Exchefwissenschaftler der NOAA
Gehrkes Initiative kooperiert derweil mit anderen Datenrettungsprojekten. Gemeinsam wollen sie eine Website aufbauen, auf der man eine Übersicht bekommt, an welchen Orten die geretteten Umwelt- und Klimadaten zu finden sind. Auch Klimaforscher in Deutschland arbeiten daran, Kopien von bisher verfügbaren US-Daten anzufertigen. Das berichtet zum Beispiel Toste Tanhua, ein Biogeochemiker am GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Das Alfred-Wegener-Institut erklärt auf Anfrage, mit der Sicherung einiger Daten begonnen zu haben.
»Es wäre, wie auf einer dunklen Straße die Scheinwerfer abzuschalten«Ralph Keeling, Atmosphärenforscher
In den Gesprächen mit Klimaforschern klingt an, in welche Zeit das drohende Ende der US-Vorreiterrolle fällt. Ralph Keeling sagt in Bezug auf das mögliche Aus der Mauna-Loa-Messstelle: »Es wäre, wie auf einer dunklen Straße die Scheinwerfer abzuschalten.« Anfang des Jahres ging von Mauna Loa aus noch eine andere Nachricht um die Welt: Der jährlich gemessene Anstieg von CO2 in der Atmosphäre erreichte 2024 einen Rekord.
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