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News: Variationen im Genkonzert

Schon früh in der Evolution sind die Insekten auf die Idee gekommen, in die Luft zu gehen. Die genetische Steuerung der Flügelentwicklung sollte daher bei allen Insekten ähnlich ablaufen. Doch Ameisen zeigen überraschende Variationen in diesem Genkonzert.
So ein Insekt hat es nicht leicht. Lauern doch überall gierige Spinnen in Erwartung eines leckeren Proteinhäppchens. Kein Wunder, dass Insekten schon sehr früh die Flucht nach oben angetreten haben: Bereits im Karbon, vor 300 Millionen Jahren – und damit 100 Millionen Jahre, bevor Reptilien und Vögel auf die gleiche Idee kamen –, erfanden sie das Fliegen. Und diese Innovation, die höchstwahrscheinlich nur ein einziges Mal bei den Insekten auftrat, legte den Grundstein für ihren außerordentlichen Erfolg.

Doch manche Kerbtiere haben das Fliegen wieder verlernt. Bei Ameisen – die zur Insektenordnung der Hautflügler gehören – gehen nur die Männchen und die Königinnen in die Luft; die weiblichen Soldaten und Arbeiter fristen dagegen ihr Dasein auf der Erde. Dieses Kastenwesen entstand in der Evolution vermutlich auch nur ein einziges Mal – und zwar vor etwa 125 Millionen Jahren. Die genetischen Prozesse, welche die Entwicklung der Flügel steuern – beziehungsweise deren Entwicklung hemmen – sollten demnach bei allen Hautflüglern ähnlich ablaufen.

Und diese Prozesse haben sich Ehab Abouheif und Gregory Wray von der Duke University bei der Soldatenameise Pheidole morrisi näher angeschaut. Hierbei entscheidet – wie bei den meisten Hautflüglern – zunächst der Chromosomensatz über das Geschlecht der Tiere: Aus unbefruchteten Eiern entstehen geflügelte Männchen mit einen einfachen Chromosomensatz, befruchtete Eier mit einem doppelten Chromosomensatz entwickeln sich zu Weibchen. Und bei diesen bestimmen jetzt Umweltfaktoren das weitere Schicksal. Stimmen Licht und Temperatur, dann reifen die Weibchen zu geflügelten Königinnen heran, die Ernährung differenziert wiederum ungeflügelte Soldaten und Arbeiter.

Die Gene für die Flügelentwicklung sind bei den ungeflügelten Soldaten und Arbeiter demnach vorhanden, sie müssen nur stillgelegt werden. Bei ihren Untersuchungen zur Flügelentwicklung kam den beiden Forschern zugute, dass die Prozesse für die Taufliege Drosophila melanogaster gut bekannt sind. Hier bestimmt ein komplexes genetisches Netz, bei dem hauptsächlich sechs Gene beteiligt sind, die Flügelentwicklung. Und die entsprechenden Gene fanden die Wissenschaftler auch bei ihrer Ameise.

Wie erwartet, arbeiteten die Gene bei den geflügelten Geschlechtstieren rege. Bei den ungeflügelten Kasten zeigten sich jedoch deutliche Unterschiede: Während bei den Arbeitern alle sechs Gene abgeschaltet waren, blieben bei den Soldaten fünf der sechs Gene aktiv, nur ein einziges schwieg. Die Tiere entwickelten auch, im Gegensatz zu ihren Kolleginnen aus der Arbeiterkaste, kleine Anlagen der Vorderflügel.

Daraufhin untersuchten die Forscher das Genexpressionmuster bei drei nah verwandten Ameisenarten: Neoformica nitridiventris, Crematogaster lineolata und Myrmica americana. Und auch hier zeigte das Orchester der Gene breite Variationen: Bei den flügellosen Kasten waren jeweils unterschiedliche Gene abgeschaltet.

Die Vererbung der Flugfähigkeit verläuft also nicht so konservativ, wie von den Biologen erwartet. Im Gegenteil, die sekundäre Flugunfähigkeit von Ameisenkasten zeigt eine erstaunliche genetische Variabilität. Ob diese Variabilität auf Selektion oder auf genetischer Drift – also der eher zufälligen genetischen Veränderung – beruht, ist den Forschern noch unklar. Zumindest sind die Ergebnisse, wie Gene Robinson von der University of Illinois bemerkt, "ein gutes Beispiel, wie unterschiedliche Genome auf unterschiedlichen Wegen zu gleichen Ergebnissen führen können."

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