Veränderliche Sterne: Das Blinzeln im Orion-Trapez

Ein Höhepunkt jeder winterlichen Sternführung ist der Anblick des Orionnebels im Fernrohr. Die Erläuterungen des Sternführers, dass diese Himmelsregion eine Kinderstube junger Sterne sei, fördern das Bewundern. Die Staunenden erkennen dann auch mit bloßem Auge unterhalb der Gürtelsterne des Orions das unscharfe Leuchten des Nebels (siehe »Geheimnisse des Himmelsjägers«). Offenbar war dies vor der Erfindung des Fernrohrs nicht selbstverständlich, denn erst danach wurden der diffuse Lichtschein und die in ihm verborgenen Sterne von Beobachtern beschrieben.
Der italienische Astronom Galileo Galilei (1564 – 1642) erwähnte den Nebel nicht; jedoch verzeichnete er in seinem Notizbuch von 1617 die hellen Sterne innerhalb des Orionnebels: Drei Sterne hat er darin dokumentiert; einen vierten hat er nicht gesehen. Im Jahr 1659 zeichnete der niederländische Physiker und Astronom Christiaan Huygens (1629 – 1695) die Figur mit einem vierten Stern und nannte sie Trapezium.
Die Entdeckung des Orionnebels wird heute dem französischen Gelehrten Nicolas-Claude Fabri de Peiresc (1580 – 1637) zugeschrieben, der ihn im November 1610 beobachtete. Die unter Amateurastronomen meist gebräuchliche Bezeichnung Messier 42 geht auf den französischen Forscher Charles Messier (1730 – 1817) zurück, der im 18. Jahrhundert einen Katalog von hellen, nebelhaften Objekten schuf, weil er sich für Kometen interessierte und Verwechslungen mit neu entdeckten Schweifsternen ausschließen wollte.
Kompaktes Sternenquartett
Das in den zentralen Bereich des Orionnebels eingebettete Trapez trägt die offizielle Bezeichnung Theta-1 Orionis (Θ¹ Ori). Die Sterne dieser markanten Figur repräsentieren den auffälligsten Teil eines Haufens aus massereichen, leuchtkräftigen Sternen. Einige von ihnen entstanden erst vor wenigen hunderttausend Jahren (siehe »Tief im Inneren«). Die jungen Sterne senden ein energiereiches Licht aus und regen hiermit das Gas der Umgebung zum Leuchten an. Viele weitere Sterne dieser Region sind weniger auffällig als das Trapez, weil sie sich noch tief innerhalb der Mutterwolke befinden, aus der sie sich bildeten. Da sie ihren Gleichgewichtszustand noch nicht erreicht haben, schwanken ihre Helligkeiten unregelmäßig. Sie werden als T-Tauri-Sterne bezeichnet. Benannt wurden sie nach dem Prototyp dieser Klasse im Sternbild Stier (lateinisch: Taurus).
Andere Sterne der Trapezregion zeigen hingegen einen sehr regelmäßigen Lichtwechsel. Sie erweisen sich bei genauerer Untersuchung als enge Doppel- oder Mehrfachsterne, deren Komponenten den gemeinsamen Schwerpunkt des Systems umlaufen. In der Trapezregion gibt es Mehrfachsterne mit bis zu sechs Begleitern. In einigen Fällen bedecken sich die Partner eines solchen Systems gegenseitig, wobei ein Helligkeitsrückgang zu beobachten ist. Zwei dieser Bedeckungsveränderlichen werden nun näher vorgestellt.
Versteckspiel im Nebel
Mittelgroße Amateurteleskope von 10 bis 15 Zentimeter Öffnung lassen im Bereich des Trapezes mindestens sechs Sterne erkennen: vier Sterne von fünfter bis achter Größe sowie zwei Sterne von elfter Größe. Sie werden als Θ¹ Ori A bis Θ¹ Ori F oder kürzer als A bis F bezeichnet. Die vier hellsten von ihnen bilden die namensgebende Figur (siehe »Veränderliche Sterne im Orion-Trapez«).
Die eigentliche Überraschung innerhalb des Trapezes gelingt den Sternen A und B. Ihre Helligkeiten sind veränderlich, weshalb diese Sterne die zusätzlichen Bezeichnungen V1016 Orionis (V1016 Ori) beziehungsweise BM Orionis (BM Ori) tragen. BM Ori ist ein Bedeckungsveränderlicher: ein enger Doppelstern ähnlich dem berühmten Algol im Sternbild Perseus. Auf den Lichtwechsel von BM Ori hat der Hamburger Astronom Hermann Fritz Goos (1883 – 1968) im Jahr 1918 hingewiesen. Alle 6,47 Tage sinkt die scheinbare Helligkeit von 7,9 auf 8,7 mag. Vom Beginn des Helligkeitsrückgangs bis zum Wiedererreichen der Normalhelligkeit vergehen insgesamt etwa 16 Stunden. Im Minimum bleibt die Helligkeit für etwa zwei Stunden konstant.
Den Lichtwechsel von V1016 Ori entdeckte Eckmar Lohsen von der Hamburger Sternwarte im Jahr 1975. Die scheinbare Helligkeit des Sterns sank im Minimum von 6,72 auf 7,65 mag. Die Periode des Lichtwechsels zu ermitteln, war keineswegs einfach, da sich der genaue Zeitpunkt eines Minimums nicht innerhalb einer Nacht festlegen lässt, sondern Beobachtungen in mehreren Nächten erfordert, die aufeinander bezogen werden müssen. Lohsen vermutete eine Periode von 196,25 Tagen oder einem Teil davon. Ein Drittel dieses Wertes erwies sich als richtig: 65,43 Tage. Auch in diesem Fall dauern die Minima insgesamt rund 16 Stunden, jedoch mit drei Stunden konstantem Licht im Minimum.
Bereits vor 30 Jahren hat der Heidelberger Astronom und SuW-Leserbriefredakteur Ulrich Bastian auf die seltenen Minima von V1016 Ori hingewiesen. Visuelle Beobachtungen von Andreas Viertel in der Nacht vom 28. auf den 29. Dezember 1995 ergaben eine Lichtkurve. Auch Otmar Nickel nahm den Stern in jener Nacht ins Visier. Er verfolgte die Helligkeitsschwankungen mit einer CCD-Kamera, ermittelte auf den Bildern die aktuellen Helligkeiten und erstellte eine Lichtkurve. Fotografien von Wolfgang Lille lassen den veränderten Anblick des Trapezes erkennen (siehe »V1016 Ori im Minimum«).
Nur im Abstand von mehreren Jahren kommt es vor, dass die Minima beider Bedeckungssterne innerhalb derselben Nacht auftreten. Ein solches Ereignis wurde im Jahr 1997 angekündigt: BM Ori sollte sein Helligkeitsminimum am 13. Oktober 1997 um 04:30 Uhr MEZ erreichen, V1016 um 08:30 Uhr MEZ. Zudem beobachtete der Amateurastronom Klaus Wenzel in der Nacht vom 11. auf den 12. Februar 2012 ein Minimum von V1016 Ori und bemerkte, dass auch BM Ori lichtschwächer war als sonst. Ein weiteres Doppelminimum trat in den Morgenstunden des Silvestertags 2019 ein: bei V1016 um 02:00 Uhr MEZ und bei BM Ori um 06:20 Uhr MEZ.
So geht es weiter
Schaut man in die nähere Zukunft, erscheint es kaum möglich, die tiefsten Minima von BM Ori und V1016 Ori im Lauf einer einzigen Nacht zu sehen und hierbei den veränderten Anblick des Orion-Trapezes zu bestaunen. Das schönste dieser Ereignisse fand am 31. Oktober 2024 statt. Erst im Februar 2031 und im November 2032 gibt es zwei Nächte mit Helligkeitsminima in zeitlicher Nähe. Viel häufiger lassen sich Helligkeitsrückgänge von BM Ori verfolgen (siehe »Helligkeitsminima von BM Ori und V1016 Ori«). Versuchen Sie währenddessen, das Orion-Trapez zu fotografieren. Ihre Bilder können Sie jederzeit unter www.spektrum.de/leserbilder/astronomie/ hochladen. Viel Glück beim Beobachten!
Helligkeitsminima vom BM Ori und V1016 Ori
Die folgende Tabelle gibt die Zeiten der Helligkeitsminima der Trapezsterne BM Ori und V1016 Ori an. Zusätzlich zum bürgerlichen Datum wird für jedes Minimum das julianische Datum (JD) angegeben. Diese in der Astronomie übliche fortlaufende Tageszählung beginnt per Definition am Mittag des 1. Januar 4713 v. Chr.; Stunden und Minuten treten hierbei als Tagesbruchteile hinter dem Komma in Erscheinung. Ein Vorteil des julianischen Datums liegt darin, dass sich hiermit auf recht einfache Weise Zeitdifferenzen berechnen lassen, auch über viele Jahre hinweg.
Wer die julianischen Daten zukünftiger Minima, JDBM Ori und JDV1016 Ori, selbst berechnen möchte, kann hierfür die folgenden Formeln benutzen, die im BAV Circular der Bundesdeutschen Arbeitsgemeinschaft für Veränderliche Sterne e. V. (BAV) publiziert wurden:
JDBM Ori = 2452501,13 + 6,470533 × E
JDV1016 Ori = 2452501,54 + 65,433 × E
Jede dieser Gleichungen enthält zwei Zahlenwerte, die auch Elemente genannt werden. Der jeweils erste Wert (2452501,13 beziehungsweise 2452501,54) ist eine im Prinzip beliebige berechnete Minimumszeit innerhalb des verfügbaren Beobachtungszeitraums. Der jeweils zweite Wert (6,470533 beziehungsweise 65,433) ist die berechnete Periode in Tagen. E ist die so genannte Epoche: die ganzzahlige Nummer des jeweiligen Minimums, gezählt ab dem angegebenen julianischen Datum, der »Epoche null«.
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