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Verallgemeinerter Satz von Descartes: Quantenphysik löst 380 Jahre altes Geometrie-Problem

Descartes stellte einer deutschen Prinzessin eine geometrische Aufgabe, die ungelöst blieb – bis jetzt. Nun haben zwei Mathematiker das »n-Blüten-Problem« mit Hilfe der Quantenphysik gelöst.
Fraktales Muster mit Kreisen
Schon vor mehreren Jahrtausenden stellten sich Gelehrte Fragen darüber, wie sich Kreise in der Ebene anordnen lassen.

Aus einer ungewöhnlichen Brieffreundschaft in den 1640er Jahren ging ein mathematisches Problem hervor, das jahrhundertelang ungelöst blieb. Damals tauschten sich die deutsche Prinzessin Elisabeth von der Pfalz und der renommierte Universalgelehrte René Descartes über philosophische und naturwissenschaftliche Themen aus – und widmeten sich dabei auch geometrischen Aufgaben. Unter anderem interessierten sie sich dafür, wie man unterschiedlich große Kreise zu einer Art Blüte anordnen kann: ein kleiner Kreis in der Mitte und die anderen darum herum, wobei sie sich jeweils paarweise in einem Punkt berühren.

Für solche »Blüten« mit drei Blättern fand Descartes eine elegante Formel, welche die Radien der vier Kreise zueinander in Beziehung setzt. Doch der allgemeine Fall blieb ein Rätsel: Wie lassen sich n verschiedene Kreise zu einer entsprechenden Blüte anordnen? Alle Versuche, eine verallgemeinerte Formel für das »n-Blüten-Problem« zu finden, scheiterten – zumindest bis jetzt. Denn nun haben der Mathematiker Daniel Mathew und sein Doktorand Orion Zymaris von der Monash University in Melbourne in der Fachzeitschrift »Journal of Geometry and Physics« eine Lösung des Problems vorgestellt. Besonders überraschend ist hierbei, wie die zwei Forscher zu ihrem Ergebnis gelangten: Um eine verallgemeinerte Formel abzuleiten, griffen sie auf ungewöhnliche Methoden aus der Quantenphysik zurück. »Das ist ein aufregendes Beispiel dafür, wie alte Probleme Jahrhunderte später neue mathematische Techniken inspirieren können«, sagte Mathews laut einer Pressemitteilung.

Das Interesse der Menschheit an solchen geometrischen Aufgaben reicht weit zurück. Schon vor mehr als zweitausend Jahren widmete sich der Gelehrte Apollonius von Perge der Frage, wie sich Kreise so anordnen lassen, dass sie sich gegenseitig lediglich in einem einzigen Punkt berühren. Zu Beginn seiner Korrespondenz mit Elisabeth von der Pfalz stellte Descartes seiner Briefpartnerin ein solches »Apollonisches Problem«, angeblich, um ihre Intelligenz zu testen: Die Prinzessin sollte anhand von drei vorgegebenen Kreisen einen vierten konstruieren, der die anderen in je nur einem Punkt berührt. Elisabeth, die ein Talent für mathematische Aufgaben hatte, meisterte diesen Test und gewann so den Respekt des namhaften Gelehrten. Es entwickelte sich ein reger Austausch zwischen beiden, den Descartes so sehr schätzte, dass er der Prinzessin später sein naturphilosophisches Hauptwerk widmete, die »Principia Philosophiae«.

Blütenproblem | Für drei Blüten (blaue Kreise) fand René Descartes eine Formel, welche die Krümmungen der vier Kreise (drei grüne und ein blauer Kreis) zueinander in Beziehung stellt.

Während des Briefwechsels stieß Descartes im Jahr 1643 auf eine Gleichung, die inzwischen als »Satz von Descartes« bekannt ist. Sie verbindet die Radien von vier Kreisen miteinander, die wie eine Blüte angeordnet sind: ein kleiner Kreis in der Mitte und drei sich berührende Kreise darum herum. In diesem Fall ist die Summe aller Kehrwerte der Radien zum Quadrat gleich zweimal der Summe aller quadrierten Kehrwerte, also:

(1r1+1r2+1r3+1r4)2=2(1r12+1r22+1r32+1r42).

Natürlich fragten sich Descartes und Elisabeth, ob sich die Formel für Blüten mit mehr Blütenblättern verallgemeinern lässt. Doch erst jetzt, mehr als 380 Jahre später, fanden Zymaris und Matthews eine Lösung. »Wir vermuteten, dass es eine algebraische Beziehung für n-Blüten geben müsste, aber dass sie enorm kompliziert sein würde«, erzählt Zymaris gegenüber Spektrum.de. »Ich habe definitiv nicht erwartet, dass sich eine so schöne Formel ergibt!«, sagte Mathews laut der Pressemitteilung. Die Formel der beiden Mathematiker besteht aus Quadratwurzeln der Radien und setzt diese durch Produkte miteinander in Beziehung – so ergibt sich eine kompliziert anmutende Gleichung, die sich aber einfach auswerten lässt.

Von der hyperbolischen Geometrie zur Quantenphysik

Um diese Aufgabe lösen zu können, mussten die beiden Mathematiker das Problem zunächst in den Bereich der hyperbolischen Geometrie verfrachten. Tatsächlich ist die Art von Geometrie, die wir in der Schule lernen (und mit der sich das Blüten-Problem von Descartes beschreiben lässt), nur eine von vielen möglichen Teilbereichen der Geometrie. Wir lernen meist nur die »euklidische« Geometrie kennen, die Euklid vor etwa 2000 Jahren mit einem Regelwerk aus fünf Postulaten begründete. Lässt man das letzte Postulat weg (»zu jeder Gerade gibt es genau eine Parallele, die durch einen fest vorgegebenen Punkt verläuft«), dann landet man bei der hyperbolischen Geometrie. Diese führt zu faszinierenden neuen Erkenntnissen und Symmetrien, die sich am besten innerhalb einer Kreisscheibe darstellen lassen und Künstler wie M. C. Escher inspiriert haben.

Parallelenaxiom in der hyperbolischen Geometrie | Zu einer vorgegebenen Linie (blau) gibt es unendlich viele Parallelen, die einen festen Punkt durchlaufen.

Um das verallgemeinerte Descartes-Problem auf die hyperbolische Geometrie abzubilden, haben Mathews und Zymaris zunächst alle Blütenblätter (also alle äußeren Kreise) in den kleinen mittleren Kreis projiziert. Damit lässt sich der mittlere Kreis als Kreisscheibe interpretieren: die natürliche Darstellungsform der hyperbolischen Geometrie.

Projektion | Das Blütenproblem lässt sich umformulieren, indem man die Blütenblätter (schwarz) in den kleinen Kreis (rot) hineinprojiziert. Am Ende befinden sich die Blütenblätter innerhalb einer Kreisscheibe (rot).

Die Blütenblätter innerhalb der Kreisscheibe bilden dann so genannte Horozykel: Das sind Kreise, welche die Kreisscheibe in nur einem Punkt berühren. Diese Objekte ermöglichten es den Forschern, auf ungewöhnliche Methoden zurückzugreifen. Denn Mathews hatte 2023 bewiesen, dass Horozykeln mit mathematischen Objekten aus der Quantenmechanik zusammenhängen, so genannten Spinoren. Letztere ähneln einem Vektor; allerdings haben sie die gleichen seltsamen Quanteneigenschaften wie der Spin (so erhält man nach einer Drehung um 360 Grad nicht den ursprünglichen Spinor, sondern erst nach einer doppelten Umdrehung).

»Dieselben mathematischen Strukturen, die den Quantenspin und die Relativitätstheorie beschreiben, helfen uns, Kreispackungen zu verstehen«, erklärte Zymaris laut Pressemitteilung. Jeder Horozykel (also jeder Kreis innerhalb der Kreisscheibe) entspricht genau einem Spinor. Und mit Hilfe der Spinoren ermittelten die beiden Mathematiker, wie weit die dazugehörigen Kreise voneinander entfernt sind. So konnten sie jene herauspicken, die sich in nur einem Punkt berühren. Über die Spinor-Darstellung berechneten Zymaris und Mathews darüber hinaus den jeweiligen Radius der entsprechenden Kreise.

So erhielten sie letztlich einer elegante Formel, welche den Satz von Descartes verallgemeinert. »Es ist unglaublich, dass eine Frage, mit der Descartes im 17. Jahrhundert kämpfte, immer noch auf neue Antworten wartet«, sagte Zymaris. Zumindest dieses eine Problem konnten die beiden nun beilegen. Jetzt widmen die beiden Forscher ihre Aufmerksamkeit dem gleichen Problem in höheren Dimensionen: Was passiert etwa, wenn man Kugeln im dreidimensionalen Raum entsprechend anordnen möchte?

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  • Quellen
Mathews, D., Zymaris, O.: Spinors and the Descartes circle theorem. Journal of Geometry and Physics 212, 2025

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