Direkt zum Inhalt

Psychische Gesundheit: Die schädlichen Auswirkungen von verbaler Gewalt in der Kindheit

Verbale Misshandlungen in der Kindheit beeinträchtigen die mentale Gesundheit im Erwachsenalter womöglich ähnlich stark wie körperliche Misshandlungen.
Ein grünes Plüsch-Nashorn sitzt auf einem Geländer vor einem blauen Himmel mit einigen Wolken. Es wirkt bedrückt. Im Hintergrund sind unscharf Bäume zu sehen.
Etwa jedes dritte Kind weltweit ist Schätzungen zufolge psychischer Gewalt wie Bedrohungen oder Erniedrigungen ausgesetzt.

Verbale Gewalt in der Kindheit hat ähnliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit im Erwachsenenalter wie in jungen Jahren erlebte körperliche Gewalt. Zu diesem Schluss kommt ein Team um Mark A. Bellis von der Liverpool John Moores University in Großbritannien.

Die Forscher griffen für ihre Analyse auf Daten von mehr als 20 000 Erwachsenen in England und Wales zurück, die in den 1950er Jahren oder später geboren wurden. Die Teilnehmenden gaben darin unter anderem Auskunft über Misshandlungserfahrungen in ihrer Kindheit – und über ihre aktuelle psychische Gesundheit. In Bezug auf Letztere sollten sie etwa beurteilen, inwiefern Sätze wie »In den letzten zwei Wochen habe ich mich nützlich gefühlt« oder »In den letzten zwei Wochen habe ich optimistisch in die Zukunft geblickt« für sie zutrafen.

Verbale Gewalt scheint ähnlich schädlich wie körperliche

Das Ergebnis der Analyse: 24 Prozent aller Personen, die als Kind verbaler Gewalt ausgesetzt gewesen waren, wiesen als Erwachsene ein geringes psychisches Wohlbefinden auf. Bei solchen, die körperliche Gewalt erfahren hatten, waren dies 22 Prozent; und bei solchen, die in jungen Jahren beide Arten von Gewalt erfuhren, 29 Prozent. Anders bei Menschen ohne Gewalterfahrung in der Kindheit: Von ihnen zeigten lediglich 16 Prozent ein geringes psychisches Wohlbefinden.

Weltweit erleidet schätzungsweise jedes sechste Kind körperliche Misshandlung durch Familienangehörige oder Betreuungspersonen. Neben dem unmittelbaren körperlichen Trauma kann die Erfahrung die psychische und physische Gesundheit und das Wohlbefinden lebenslang beeinträchtigen, so die Forscher. Jedes dritte Kind erlebt Schätzungen zufolge psychische Gewalt, wird etwa mit Worten erniedrigt, bedroht oder manipuliert.

Darüber hinaus deuten die erhobenen Befragungsdaten darauf hin, dass körperliche Gewalt gegenüber Kindern zurückgeht, während verbale Gewalt zunimmt. Berichteten von den zwischen 1950 und 1979 Geborenen noch rund 20 Prozent, als Kind körperliche Misshandlung erlebt zu haben, lag der Anteil bei den im Jahr 2000 oder später Geborenen bei 10 Prozent. Verbale Misshandlung stieg jedoch von 12 Prozent bei den vor 1950 Geborenen auf fast 20 Prozent bei den im Jahr 2000 oder später Geborenen.

Allerdings wurden weder die Schwere des verbalen oder körperlichen Missbrauchs noch die Dauer oder das Alter erfasst, in dem er stattfand. Zudem basieren die Daten ausschließlich auf Selbstberichten und Erinnerungen. Sie zeigen Zusammenhänge auf, erlauben aber keine sicheren Rückschlüsse auf die Ursache. 

Trotz dieser Einschränkungen fordern die Wissenschaftler, verbale Gewalt und ihre langfristigen schädlichen Folgen stärker in den Blick zu nehmen. In immer mehr Ländern ist die körperliche Bestrafung von Kindern verboten. Präventionsmaßnahmen zur Verringerung von Kindesmisshandlungen sollten den Experten zufolge sowohl körperliche als auch verbale Misshandlung berücksichtigen. Außerdem sei es wichtig, Eltern mit Informationen und Ratschlägen zu unterstützen, wie eine gewaltfreie Erziehung gelingen könne. Es bestehe sonst die Gefahr, dass lediglich eine Form schädlicher Gewalt durch eine andere ersetzt werde.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen
BMJ Open 2025;15:e098412. doi:10.1136/ bmjopen-2024–098412

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.