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Klimawandel: Verdampft

Sie sind meist klein und flach, doch voller Leben - die kleinen Seen und Tümpel des hohen Nordens. Nun aber beginnen sie zu verschwinden, weil sich die Erde zunehmend aufheizt. Die Folgen für die Artenvielfalt der Arktis und das Klima könnten verheerend sein.
Teshekpuk
Wassermangel gilt als eines der gravierendsten Probleme, die der globale Klimawandel der Welt bescheren könnte: Der Tschad- oder der Aralsee – beide sind bereits heute wegen menschlicher Eingriffe stark geschrumpft – könnten wegen der steigenden Temperaturen endgültig verdunsten, sinkende Schneefälle in den Rocky Mountains dem Westen der USA die Wasserzufuhr abschneiden oder veränderte Monsunströmungen südasiatische Bauern die Ernte kosten.

Von der Arktis war diesbezüglich noch eher selten die Rede, obwohl sich unser Planet gegenwärtig gerade dort besonders schell und stark aufheizt. Und obwohl es in diesen Breiten mit dem Yukon in Alaska und den sibirischen Lena, Ob und Jenissei große Flüsse gibt und Tausende von Sümpfen, Tümpeln und Seen als natürliche Indikatoren Auskunft über den Zustand dieser Weltgegend geben könnten.

Zahlreiche Verluste

Tümpel auf Cape Herschel | 1995 war alles noch fast wie in den 6000 Jahren zuvor: Die Tümpel und Seen auf Cape Herschel in der kanadischen Arktis waren permanent wassergefüllt und voll von aquatischem Leben.
Tatsächlich scheinen sich dort oben nachhaltige Veränderungen in der Wasserbilanz abzuspielen, die die Arktis tiefgreifend verändern werden und wahrscheinlich den Klimawandel noch weiter antreiben, wie John Smol von der Queen's-Universität und Marianne Douglas von der Universität von Alberta in Edmonton anhand ihrer Studienreihen vermuten. Die beiden Wissenschaftler können auf eine eigene, mehr als zwanzigjährige Messreihe von arktischen Seen am Cape Herschel auf der kanadischen Ellesmere-Insel zurückgreifen, die zusammen mit weiteren Beobachtungen aus der Region von anderen Forschungsgruppen die wohl älteste und umfangreichste derartige Datensammlung der Welt bildet.

Smol und Douglas erfassten unter anderem die chemische und biologische Zusammensetzung der Tümpel, ihre Ausdehnung und Temperatur, von wann bis wann sie mit Eis bedeckt sind, und wie alt sie überhaupt waren [1]. Anhand der Zusammensetzung und Schichtenfolge der Seesedimente konnten sie beispielsweise belegen, dass die meisten ihrer Seen – die wie Saphire die karge Tundralandschaft sprenkeln – seit mehr als 6000 Jahren ununterbrochen existierten. Bis 2006: Als die beiden Geowissenschaftler in diesem Jahr zu einer neuerlichen Probenahme in ihrem Gebiet ankamen, mussten sie feststellen, dass es viele ihrer Untersuchungsobjekte schlicht nicht mehr gab, während andere massiv geschrumpft waren.

Was war hier passiert? Schon zwei Jahre vor Smol und Douglas meldeten Wissenschaftler um Laurence Smith von der Universität von Kalifornien in Los Angeles ein ähnliches Phänomen. Im Gebiet um Huslia – 300 Kilometer von Fairbanks entfernt in Alaska gelegen – waren innerhalb weniger Jahre über tausend Seen beträchtlich geschrumpft oder gar völlig verschwunden. Sie waren einfach ausgelaufen: Unter den Seeböden befand sich Permafrost, der die Gewässer abgedichtet hatte, sich aber wegen der Erwärmung langsam auflöste, sodass der Tümpelinhalt in der Tiefe verschwand.

Heftige Diskussionen

Diese Begründung konnte die Geschehnisse auf Cape Herschel jedoch nicht erklären, denn die Gewässer liegen hier über granitischem Festgestein – tauendes Eis als gezogener Verschluss schied also aus. Erste Hinweise auf die tatsächliche Ursache legten die Forscher schon 1994 vor, als sie darauf hinwiesen, dass sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts – und damit dem Beginn des Industriezeitalters – die Seen chemisch zu verändern begannen: Ihr Salzgehalt nahm zu, die Eisbedeckung dagegen ab, und auch die pflanzlichen und tierischen Bewohner wechselten. Insgesamt wurde die Gewässerumwelt verglichen mit den Jahrtausenden zuvor deutlich instabiler.

Ihre Schlussfolgerung, dass dies auf den Klimawandel zurückzuführen sei, wurde damals allerdings heftig diskutiert. Inzwischen jedoch hat sich der Wandel noch beschleunigt. Mittlerweile hatte sich die Arktis im Sommer so stark erwärmt, dass die Verdunstungsraten jene des jährlichen Niederschlags deutlich überschritten und deshalb die relativ flachen Tümpel – sie sind nur bis zu rund einem Meter tief – einfach komplett verdunsten.

Verdampft | 2006 war der Tümpel dagegen trocken – zum zweiten Mal nach dem Jahr 2005 und damit auch zum zweiten Mal in mehr als 6000 Jahren Geschichte. Diese Verluste könnten das ökologische Gleichgewicht der Region stören und vielen Tierarten die Lebensgrundlage rauben.
Erstmals geschah dies offensichtlich im Jahr 2005, dem zweitwärmsten, das bislang in der kanadischen Arktis notiert wurde. In diesem Jahr besuchten Smol und Douglas ihr Untersuchungsgebiet nicht, doch entdeckten sie in den entsprechenden Sedimenten Diatomeen mit verkrüppelter Schale – ein Zeichen für ökologischen Stress –, wie sie den Millennien zuvor nicht zu finden waren. Gleichzeitig zeichneten die im Vorjahr in den Seen versenkten Thermo-Sensoren ab dem Frühsommer ähnliche Temperaturen auf wie ihre Stellvertreter an Land – sie wurden offenbar nicht mehr durch Wasser gekühlt.

Das Meer dringt vor

Dieses Schauspiel sollte sich dann 2006 wiederholen, als die Arktis einen neuen Wärmerekord seit Aufzeichnungsbeginn erlebte und die Forscher im Juli gerade noch rechtzeitig kamen, um in einem ihrer wichtigsten Beobachtungsgewässer die letzten Pfützen verdampfen zu sehen. Außer der winzigen Süßwassergarnele Branchinecta paludosa lebte kein größeres Tier mehr in diesem schlammigen Nass. Gleichzeitig trockneten auch die umgebenden Feuchtgebiete aus, die zu Beginn der Untersuchungsreihe noch aus triefenden Moos-Mooren und Feuchtwiesen bestanden und nun leicht in Brand gesetzt werden konnten: Aus einem ursprünglich dauerhaft feuchten Lebensraum war nun ein sehr unbeständiges Ökosystem geworden und aus einer Kohlenstoffsenke eine ergiebige Quelle, da sich abgestorbene Pflanzen an der Luft rasch zersetzen konnten und Kohlendioxid ausgaste.

Lake Teshekpuk | Im Nordwesten Alaskas nagt das Meer an der Küste und gefährdet damit die Seenlandschaft um den Lake Teshekpuk – dem größten Gewässer Alaskas.
Ein ähnliches Schicksal droht auch dem artenreichen Küstenstreifen in der Nähe des Teshekpuk-Sees im Nordwesten Alaskas, wo Luftbildaufnahmen zeigen, dass das Meer seit 1985 beschleunigt am Festland nagt. Manchernorts drang die See bis zu 800 Meter ins Landesinnere vor, wie John Mars vom US Geological Survey vermeldet [2]. Schuld daran hat wohl der Mangel an Meereis, der ebenfalls den gestiegenen Temperaturen in der Arktis geschuldet ist – sie liegen im Winter um drei bis vier Grad Celsius höher als noch vor sechzig Jahren: Das Eis schützt die Küste vor den Wellen, die nun ungehindert und direkt auf den tonreichen Permafrostboden treffen, ihn unterminieren und Stück für Stück ins Meer reißen.

Gleichzeitig sickert Salzwasser in die Süßwasserseen ein und macht sie damit für viele Tiere und Pflanzen unbewohnbar: Die zahlreichen Gänse und Karibus, die hier einst zuhause waren, mussten bereits abwandern. All diese Zeichen des Klimawandels hinderten die Regierung von George W. Bush allerdings nicht daran, dass Gebiet nun für die Erdölförderung freizugeben.

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