Verhaltensforschung: Mehr Sozialkontakte sind nicht unbedingt besser
Sozial stark vernetzt zu sein, ist bei Tieren nicht in jedem Fall vorteilhaft. Zu diesem Ergebnis kommt eine Forschungsgruppe um Robin Morrison von der Universität Zürich. Sozialkontakte zu knüpfen, geht demzufolge mit komplexen Vor- und Nachteilen einher, abhängig unter anderem von der Gruppengröße und dem Geschlecht. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es von Vorteil sein, sich wenig gesellig zu zeigen.
Morrison und ihr Team haben Daten ausgewertet, die aus Beobachtungen an 164 wild lebenden Berggorillas im ruandischen Vulkan-Nationalpark stammen. Die Tiere bilden üblicherweise Gruppen von etwa zwölf Individuen mit einem dominanten Männchen, weichen manchmal aber davon ab, indem beispielsweise Weibchen die Führung übernehmen. In die Studie flossen Beobachtungen ein, die einen Zeitraum von 21 Jahren überspannen. Sie erlauben Rückschlüsse darauf, wie sich das Sozialleben der Tiere auf ihre Gesundheit auswirkt.
Wenn Sozialkontakte mehr Stress bescheren
Laut den Daten werden kontaktfreudige weibliche Tiere in kleineren Gruppen seltener krank (erkennbar etwa an äußeren Krankheitszeichen, oder an Daten aus Nekropsien), haben zugleich aber auch weniger Nachwuchs als in größeren Gruppen. Bei männlichen Gorillas ergibt sich ein anderes Bild. Solche mit stärkerer sozialer Einbindung werden zwar seltener in Kämpfen verletzt, erkranken jedoch häufiger – und zwar im Verhältnis deutlich mehr als die Weibchen.
Das scheint nicht nur daran zu liegen, dass mehr Sozialkontakte eine höhere Ansteckungsgefahr mit sich bringen, wie die Fachleute betonen. »Möglicherweise müssen Männchen in engen sozialen Bindungen mehr Energie aufwenden, um die Weibchen und den Nachwuchs zu verteidigen, und der damit verbundene Stress könnte ihre Immunfunktion beeinträchtigen«, äußert Morrison in einer Pressemitteilung.
Sozial stark vernetzt zu sein, ist demnach oft vorteilhaft, mitunter aber auch nicht. Das hängt neben der Gruppengröße und dem Geschlecht noch von der Stabilität des Sozialverbands und seinen Konflikten mit anderen Gruppen ab, wie aus der Studie hervorgeht. Womöglich deshalb hat sich bei sozialen Tieren einschließlich des Menschen ein breites Spektrum an sozialen Merkmalen entwickelt. »Mehr und stärkere soziale Bindungen sind nicht einfach immer besser«, sagt Sam Ellis von der University of Exeter, der an der Studie mitwirkte. »In manchen Situationen können soziale Eigenschaften, die wir früher als fehlangepasst angesehen haben, wichtige Vorteile bieten.«
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