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News: Verlorener Kontakt im Rückenmark - nicht für immer

Werden bei Ratten periphere Nerven durchtrennt, wachsen sie von selbst wieder zusammen - aber im Rückenmark geschieht das nicht. Bislang nahmen Wissenschaftler an, der Unterschied wird durch die verschiedenen Umgebungen verursacht. Doch neuen Experimenten zufolge werden bei einer Verletzung im Rückenmark nur nicht die Signale zur Regeneration ausgelöst, ansonsten ist sie ebenfalls heilbar.
"Obgleich sich die von uns verwandte, spezielle Methode nicht beim Menschen einsetzen läßt, weist sie doch in eine vielversprechende neue Richtung. Die Frage lautet nicht mehr, ob, sondern wie die Regenerierung des Rückenmarks zu erreichen ist", sagt Clifford Woolf vom Massachusetts General Hospital. In der Maiausgabe 1999 von Neuron beschreibt er, wie seine Arbeitsgruppe zerschnittene Fasern des Rückenmarks dazu gebracht hat, ohne Implantation neuer Zellen oder Gewebe über den Bereich der Verletzung hinauszuwachsen.

Seit Jahren war bekannt, daß abgetrennte Nervenfasern im Rückenmark eines Erwachsenen sich nicht regenerieren können. Verletzte periphere Nerven in den Extremitäten können sich hingegen selbst problemlos heilen. Fasziniert und gleichzeitig frustriert hat die Forscher hierbei, daß die Fasern eines sensorischen Systems im Rückenmark zu ein und derselben Zelle gehören wie die Fasern im peripheren Bereich. Diese sensorischen Nervenzellen haben zwei lange Ausläufer, sogenannte Axone, die vom Zellkörper in der Nähe des Rückenmarks ausgehen. Eines der Axone, der Zentralast, ist mit dem Rückenmark verbunden und wandert bis hoch ins Gehirn. Das andere Axon, der periphere Ast, führt in die Extremitäten. Ist der periphere Ast dieser Zellen verletzt, regeneriert er sich wieder, ist der Zentralast verletzt, passiert das hingegen nicht.

Da zwei Axone der gleichen Zelle über völlig unterschiedliche Heilungsfähigkeiten verfügen, glaubten die meisten Forscher, daß der Unterschied in den sehr verschiedenen Umgebungen der Ausläufer zu suchen sei. Bei früheren Versuchen, durchtrenntes Rückmark zu reparieren, vertraute man vor allem auf Implantate peripheren Nervengewebes, das als "Brücke" eine Zellumgebung reproduzieren sollte, die der von peripheren Nerven ähnlich ist. Alternativ hierzu verwandte man Rückenmark von Embryonen, das ja zur Regenerierung fähig ist. Der Erfolg dieser Bemühung war Woolf zufolge aber nur gering.

In der aktuellen Studie, bezweifelten Woolf und seine Kollegin Simona Neumann die Annahme, daß die Umgebung den Hauptunterschied ausmacht. "Vielleicht, so dachten wir, sollte die Frage lauten: Erhält die Zelle molekulare Signale von der verletzten Stelle, die eine Regenerierung stimulieren, oder nicht? Vielleicht schaltet eine Verletzung des Zentralastes diese Wachstumssignale nicht an, eine Schädigung des peripheren Astes dagegen sehr wohl."

Um diese Hypothese zu testen, vollzogen die Forscher eine Gruppe von Experimenten an Ratten, um zu sehen, ob eine Verletzung des peripheren Nervenastes die Regenerierung des Zentralastes in irgendeiner Form verändert. Eine solche Reaktion würde dann anzeigen, ob molekulare Wachstumssignale von Bedeutung sind. Als die Wissenschaftler den peripheren Ast des Ischiasnervs (des sensorischen Hauptnervs zum Bein) gleichzeitig mit dem Rückenmark des Tieres verletzten, waren die Ergebnisse verblüffend: Zahlreiche axonale Fasern begannen zu sprießen, die dann im Rückenmark nahe und direkt in die verletzte Stelle hinein wuchsen. Die Fasern, die sich aus dem unteren Segment des Rückenmarks ausdehnten, wuchsen allerdings nicht die ganze Strecke bis zum oberen Segment. Eine Verletzung des Rückmarks ohne Schädigung des peripheren Nervs führte vergleichsweise zu überhaupt keinem Wachstum in den verletzten Bereich hinein.

Noch dramatischere Ergebnisse verursachte eine Verletzung des peripheren Nervs eine Woche vor der Verletzung des Rückenmarks. Dann wuchsen Axone entweder vollständig durch oder aber um die verletzte Stelle herum, und einige erreichten den oberen Abschnitt des Rückenmarks. "Es wurde eine völlige Regenerierung über die ganze verletzte Stelle hinweg erreicht", bemerkte Woolf.

"Wir haben gezeigt, daß die Zellen zu wachsen beginnen, sobald wir sie in einen Zustand überführen, in dem sie dies können – selbst im Zentralast", fügte der Wissenschaftler hinzu. "Das Problem besteht also nicht darin, daß das zentrale Nervensystems eines Erwachsenen etwa ein wachstumsfeindliches Gebiet wäre, wie vorher angenommen wurde. Es geht vielmehr darum, das Wachstum der verletzten Zellen anzuregen. Jetzt müssen wir die molekularen Signale identifizieren, die dieses Wachstum induzieren, sowie jene Gene, auf deren Grundlage sie agieren. Wenn es uns gelingt, Methoden zu entwickeln, diese Signale ohne die Verletzung des peripheren Nervs einzuschalten und diese Methoden dann, kurz nachdem sich der Patient das Rückenmark verletzt hat, anzuwenden, können wir vielleicht das erreichen, was einst als unerreichbares Ziel galt: die Wiederverbindung eines durchtrennten Rückenmarks."

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