Direkt zum Inhalt

Millennium-Entwicklungsziele: Vermeidbares Sterben

Die Müttersterblichkeit senken, so lautet das fünfte der Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Um drei Viertel soll die Rate bis 2015 fallen, bezogen auf den Wert von 1990. Der Fortschritt bislang macht wenig Hoffnung auf Erfolg.
Im September 2000 waren in New York hochrangige Regierungsvertreter aus 189 Ländern zu einem Gipfeltreffen zusammengekommen. Die Zukunft der Weltgemeinschaft stand auf der Tagesordnung: Wie sollte man die weltweite Armut bekämpfen? Den Frieden sichern? Die Umwelt schützen und die Globalisierung gerecht und nachhaltig gestalten?

Die Gespräche mündeten schließlich in der Millenniumserklärung, in der sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen dazu verpflichteten, bis zum Jahr 2015 bestimmte Ziele zu erreichen. Acht davon wurden als Millenniums-Entwicklungsziele bekannt. Die ersten sieben betreffen vor allem die Entwicklungsländer: Es geht um Armut und Hunger, Grundschulausbildung für alle Kinder, Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Frauen, Reduzierung der Kinder- und Müttersterblichkeit, Bekämpfung von Krankheiten wie Aids und Malaria sowie die Sicherung der ökologischen Lebensgrundlagen.

Anhand von Teilzielen und festgelegten Indikatoren wird regelmäßig überprüft, wie weit die Länder bisher mit der Umsetzung gelangt sind. Regional zeigen sich dabei durchaus beeindruckende Fortschritte, das Gesamtbild jedoch erscheint eher düster, insbesondere in Afrika südlich der Sahara und Südasien. Ein Beispiel: die Müttersterblichkeit.

Die Sterblichkeit sinkt – doch nicht genug

Um drei Viertel sollte deren Sterblichkeitsrate zwischen 1990 und 2015 sinken, definiert über die Zahl der Todesfälle pro 100 000 Lebendgeburten. Doch Ken Hill vom Harvard-Zentrum für Bevölkerungs- und Entwicklungsstudien und seinen Kollegen zufolge bleibt dieses Ziel wohl utopisch [1]. Zwar verzeichneten sie durchaus einen Rückgang der Todesfälle unter Müttern vor, während oder bis sechs Wochen nach der Geburt, in einigen Regionen sogar von mehreren Prozent jährlich – im Schnitt 5,5 Prozent pro Jahr wären nötig, um die geforderte Reduktion zu realisieren. Doch die Entwicklung in den Ländern südlich der Sahara macht jeglichen Fortschritt im globalen Bild wieder zunichte.

Noch immer sterben, so die Autoren, weltweit über eine halbe Million Frauen während der Schwangerschaft oder der Geburt an meist behandelbaren oder vermeidbaren Komplikationen, die Hälfte davon im südlichen Afrika, weitere 45 Prozent in Asien. Für eine Afrikanerin beträgt dabei das Todesrisiko eins zu 16 – für eine Frau in den Industriestaaten hingegen nur eins zu 3800.

Ermutigend ist, dass inzwischen die Zahl jener Frauen steigt, die vor und während der Geburt von ausgebildetem Personal begleitet werden, doch liegen auch hier die Zahlen für das südliche Afrika und Südasien am niedrigsten. Bei einer Erhebung in 57 Entwicklungsländern offenbarte sich zudem ein räumlicher Gradient: Während in Städten 81 Prozent der werdenden Mütter Beistand von Hebammen oder sonstigen Fachkräften erhalten, waren es auf dem Land nur 49 Prozent.

Nicht vergessen in der Diskussion um Müttersterblichkeit darf man Maßnahmen der Familienplanung: So tritt ein Viertel der Todesfälle bei ungewollten Schwangerschaften auf und ist meist Folge unsachgemäßer Abtreibungen. Anhaltend hoch präsentiert sich auch die Sterblichkeit minderjähriger Mütter. Zwar nutzten inzwischen fast zwei Drittel der Frauen Kontrazeptiva gegenüber 55 Prozent im Jahr 1990, so der aktuelle Report zum Stand der Zielumsetzung [2]. Doch auch hier zeigt sich das südliche Afrika unter den Schlusslichtern: Gerade einmal ein Fünftel der Frauen verhütet aktiv.

Bildung schützt

Zu den Ländern, die mittels sicheren Abtreibungsverfahren und verbesserter Notfallversorgung die Müttersterblichkeit drastisch senken konnten, gehört beispielsweise Bangladesch: Hier fiel die Mortalität seit 1989 jährlich im Schnitt um fünf Prozent, wobei der Rückgang bei Todesfällen im Zusammenhang mit einer Abtreibung sogar neun Prozent betrug [3]. Deutlich zeichnet sich dabei der Ausbildungshintergrund der Frauen ab: Frauen mit höherer Schulbildung hatten noch nicht einmal ein Drittel des Sterberisikos ihrer Geschlechtsgenossinnen ohne Schuldbildung. Dementsprechend seien neben dem weiteren Ausbau der medizinischen Versorgung Unterrichtsprogramme von großer Bedeutung, um die Müttersterblichkeit weiter zu senken, erklären die Autoren um Carine Ronsmans von der London School of Hygiene and Tropical Medicine.

Wie Gilda Segh vom Guttmacher-Institut in New York und ihre Kollegen feststellten, ist die Zahl der Abtreibungen aber weltweit zurückgegangen [4]. Noch immer jedoch ist die Hälfte davon für die Schwangeren höchst riskant, weil sie – beispielsweise auf Grund von gesetzlichen Verboten – in den Händen von Kurpfuschern landen oder nicht einmal die geringsten medizinischen Standards eingehalten werden. Und noch immer finden solche gefährlichen Eingriffe zu 97 Prozent in Entwicklungsländern statt. Die höchsten Abtreibungsraten weist dabei aber nicht etwa Afrika oder Asien auf, sondern Osteuropa: Hier kamen im Jahr 2003 auf hundert Lebendgeburten 105 abgetriebene Föten. Das wirkt sich auf die Zahl für Gesamteuropa aus: Jede dritte Schwangerschaft endet hier demnach in einem Abbruch – im Westen sind es 15 Prozent. Der globale Durchschnitt liegt bei einem Fünftel, Afrika hat hier den niedrigsten Wert von zwölf Prozent.

Eine ungewollte Schwangerschaft sicher zu beenden, bleibt damit noch immer den Frauen in entwickelten Ländern vorbehalten. Doch "die sichere und legale Abtreibung rettet das Leben von Frauen und schützt ihre Gesundheit", erklärt Beth Fredrick von der Internationalen Koalition für Frauengesundheit in New York. "Die Weltgemeinschaft hat das Wissen und die Möglichkeiten, Todesfälle durch unsachgemäße Abtreibungen zu verhindern. Angesichts dessen ist es inakzeptabel, dass Frauen immer noch an den Folgen erkranken, unfruchtbar werden oder sterben."

Armutszeugnis für die Reichen

Was also ist zu tun? "Um das fünfte Millennium-Entwicklungsziel zu erreichen, muss in den Entwicklungsländern dringend die medizinische Versorgung während Schwangerschaft und Geburt verbessert werden", erklären Ken Hill und seine Kollegen. Und spätestens jetzt ist es an der Zeit, an das achte Ziel zu erinnern: den Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft. Hier sind vor allem die die Industrieländer gefordert, die über Entwicklungshilfe, Schuldenerlass und Handelserleichterungen die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen sollen.

Die Bilanz ist allerdings beschämend. Die G8-Staaten hatten zugesagt, ihre Hilfe für Afrika zu verdoppeln, die Europäische Union verankerte den Anspruch, bis spätestens 2015 die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu steigern. Tatsächlich aber stagnieren die Hilfen für die ärmsten Länder seit 2003, insgesamt betrachtet sinken sie seit 2005 sogar. Derzeit umfassen sie rund 0,3 Prozent des summierten Volkseinkommens aller Industrienationen. Nur Dänemark, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen und Schweden halten sich schon an die Vereinbarung. In Deutschland lag die Quote im Jahr 2005 bei 0,36 Prozent.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.