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Zellbiologie: Vermeintlich überflüssige Introns verhindern Verhungern

Die Gene komplexer Lebewesen enthalten mit den so genannten »Introns« vermeintlich überflüssige Abschnitte, die Zellen immer erst mühsam entfernen müssen, um zu funktionieren. Man ahnte lange, dass dies doch einen guten Grund haben dürfte - und nun haben gleich zwei Forschergruppen eine plausible Theorie.
RNA im Zellkern

Beim Übersetzen der genetischen Bauanleitung in Proteine werfen Zellen viele Abschnitte – die so genannten »Introns« der DNA – am Ende scheinbar ungenutzt über Bord. Reine Verschwendung ist allerdings selten in der Natur, und so suchen Genetiker bereits seit Langem Gründe dafür, dass die vermeintlich überflüssigen Introns in den Genen von Lebewesen mit Zellkern stets zu finden sind. Es gibt bereits verschiedene Erklärungen – eine ganz neue Hypothese stellen nun aber zwei Forschergruppen gemeinsam in Beiträgen im Fachblatt »Nature« vor: Demnach spielen Introns womöglich eine bislang übersehene regulierende Rolle beim Schutz von Zellen vor dem Verhungern in Zeiten des Mangels.

Wissenschaftler um Sherif Abou Elela von der kanadischen University of Sherbrooke haben Belege für diese Aufgabe von Introns nach zehn Jahren mühevoller Laborarbeit gesammelt. Ihr Untersuchungsobjekt waren dabei Zellen der Hefe Saccharomyces cerevisiae, die im Labor über viele Generationen gut zu halten und einfach zu untersuchen sind. Vor allem aber haben sie ein gut erforschtes Genom mit rund 6000 Genen, in denen die Forscher aber gerade einmal 295 eher kurze introns in 280 für Proteine codierende Genen zählen. Diese relative Überschaubarkeit nutzte Elelas Team aus: Es schuf gut 300 unterschiedliche Varianten von Hefen, aus denen mit gentechnischen Methoden jeweils exakt ein oder gelegentlich zwei bestimmte Introns herausgeschnitten wurden. Dann testeten die Forscher, ob der spezifische Intron-Verlust für die Zellen irgendwelche Nachteile mit sich brachte. »Alle haben uns ausgelacht, die dachten, wir spinnen«, erinnert sich Elela gegenüber »Nature News« an die Reaktionen von Kollegen auf den experimentellen Ansatz.

Tatsächlich schien der Verlust eines Introns bei allen Linien – bis auf fünf Sonderfälle – kaum Folgen zu haben: Sie wuchsen unter allen möglichen Bedingungen ganz ähnlich wie unveränderte, wilde Hefe-Kontrollstämme. Deutliche Schwächen zeigten sich dann aber auffällig oft bei Mangelbedingungen mit geringem Nährstoffangebot: Nun starben 64 Prozent aller veränderten Stämme schneller als die natürlichen Hefezellen. Weitere Experimente zeigten schließlich, dass dies offenbar mit der geringeren Menge von frei gewordenen, aus der Boten-RNA herausgeschnittenen Introns zu tun hat: Die Introns scheinen nach dem Herausschneiden in einer zweiten Karriere eine bisher übersehene Rückkopplung auf die Aktivität des Proteinsyntheseapparats zu haben.

»Alle haben uns ausgelacht«
Sherif Abou Elela

Das hat gerade in Mangelzeiten dramatische Folgen: Bei den meisten veränderten Hefestämmen sind dann die Ribosomen, die Proteinfabriken der Zelle, besonders aktiv und verbrauchen viel Energie, während unveränderte Hefen ihre Proteinproduktion unter solchen Bedingungen auf Sparflamme laufen lassen. Und der Befehl zum Einleiten des Energiesparprogramms wird eben offenbar von frei gewordenen Introns gegeben: Sie könnten womöglich den Prozess der Boten-RNA-Herstellung durch das Spleißosom – einen Apparat, der Introns herausschneidet – hemmen, so dass weniger Boten-RNA in den Proteinfabriken ankommt. Zusätzlich hemmen sie aber offenbar auch die Ribosomen selbst, so dass diese nun langsamer arbeiten. Fehlen Introns aber wie bei den veränderten Stämmen, dann gerät dieser Regulationsmechanismus augenscheinlich aus der Balance: Die Ribosomen laufen nun weiter auf Hochtouren, weil insgesamt weniger an freien, herausgeschnittenen Introns negatives Feedback geben. Welche Introns genau fehlen, scheint dabei übrigens unerheblich, so Elela: »70 bis 80 Prozent aller Introns haben denselben Effekt«, wie die Experimente zeigen.

Ein zweites Forscherteam präsentiert ebenfalls in »Nature« zeitgleich eigene Ergebnisse, die gut zu den Erkenntnissen von Elela und Kollegen zu passen scheinen. Auch die Wissenschaftler um Jeffrey Morgan vom Massachusetts Institute of Technology haben die Belastungsgrenzen von Hefezellen durch Hungerstress ausgetestet – und bemerkt, dass Zellen mit aus Boten-RNA herausgeschnittenen Introns in Mangelsituationen anders umgehen als in normalen Zeiten.

Demnach aktivieren hungrige Zellen den Wachstumsregulator TORC1, der bei ausreichender Energieversorgung der Zelle unter anderem die Produktion von weiteren Ribosomen befiehlt. Zudem sorgt dieser Regulator, wenn er aktiv ist, generell für den Abbau von Introns: Nachdem Morgans Team ihn in einem Experiment gehemmt hatte, sammelten sich in der Zelle mehr Intronschnipsel an. Auch Morgan und Kollegen glauben daher, dass Introns eine Funktion bei Zellprozessen übernehmen: Sie hemmen die energieaufwändige Ribosomenaktivität wenn nötig, und sie werden daran von Gegenspielern wie TORC1 gehindert, sobald die Versorgungslage wieder besser geworden ist.

Weitere Experimente müssen nun klären, ob die postulierte Intron-Funktion nur bei Hefezellen vorkommt – oder womöglich bei allen Zellen im Pilz-, Tier- und Pflanzenreich.

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