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Lokomotion: Verräterische Flattertierschreie

Fledermäuse machen alles irgendwie anders: Sie fliegen wie Vögel, aber ohne Federn; schlafen wie Mäuse, aber mit dem Kopf nach unten - und erkennen ihre Jagdbeute wie kaum ein anderer Jäger der Lüfte, aber im Dunkeln und per Ultraschallecho. Bleiben überhaupt noch Gemeinsamkeiten mit irgendwem?
Fledermaus im Flug
Samstagnachmittag. Links vorbei am Sportgeschäft-Schaufenster, die Würstchenbude rechts liegen lassen, flink dem blicklos vor sich hin stampfenden Kopfhörerträger ausweichen, dann, unser Ziel fest im Auge, herum um den freundlich-vollbärtigen Flugblattverteiler – lächeln, nein danke – und endlich hinein in den Eingang zur Einkaufspassage. Die ist zwar von einer schwatzenden Gruppe Jungmütter samt Kinderwagen und dem "Wachturm"-Verkäufer blockiert, aber wärmer – und vor allem trocken. Der Regenschirm steht zu Hause.

Wer uns beim Fußgängerzonen-Durchqueren genau zuschaut, lernt viel über die unterschiedlichen Orientierungs- und Fortbewegungsweisen von Homo sapiens. Leicht etwa ist der gemütliche Schaufensterbummler von einem effizienten Ich-hatte-noch-die-Sonntagsbrötchen-vergessen-Nachholshopper auf der Zielgeraden zu unterscheiden. Und dies nicht nur an der Geh-Geschwindigkeit, sondern schon allein an Kopfhaltung und Blick: Der Kopf des Ersteren pendelt im Schlenderrhythmus sacht von links nach rechts und holt sich flüchtig hie und da ein paar Eindrücke. Letzterer schaut dagegen konzentriert voraus auf die nächsten Wegmarken und folgt dem gerichteten Leitblick auf dem Fuß.

Menschen sind in dieser Hinsicht nicht anders als andere Augentiere, wie verschiedene Untersuchungen gezeigt haben: Die Modi von en-passent-Informationssammlung und entschlossen-zielgerichteter Bewegung unterscheiden sich bei allen ähnlich deutlich. Ob Raubvogel oder Gepard, fast immer entsprechen sich Blick- und Bewegungsrichtung, sobald ein Plan gefasst ist und gerade umgesetzt wird – etwa auf der Jagd, bei der die fliehende Beute nicht aus den Augen gelassen wird. Und ebenso bedeutet ein sacht schweifendes Abweichen des Blickes von der Bewegungsrichtung fast stets, dass die Jagd erst einmal ab- und Umwelt-Aufklärung angesagt ist.

Cynthia Moss und Kaushik Ghose von der Universität von Maryland wollten diese Faustregel auf eine Tiergruppe ausdehnen, die bislang ihre spezielle Art des Schaufensterbummels den notwendigen Beobachtungen entzogen hatte – Fledermäuse. Der Blick der Flatterwesen ist dabei bekanntlich kein optischer: Die Tiere orientieren sich anhand der von ihnen abgegebenen Schallwellen, deren zurückgeworfenes Echo sie dann über die Umgebung unterrichtet. Damit schauen sie zwar nicht gerichtet, schreien dafür aber gezielt. Und müssen dazu ihr Gesichtsfeld ebenso in die entsprechend anvisierte Richtung wenden, wie optisch veranlagte Organismen dies tun.

Dass sie wirklich so verfahren, klingt plausibel, ist allerdings bis hierhin reine Theorie – denn in natura nachgesehen hatte bislang keiner genau genug. Gründe dafür waren vor allem die schwer zu überwindenden technischen Herausforderungen: Um überzeugende Beweise zu sammeln, müssen ja nicht nur die Ultraschall-Schreie der herumschwirrenden Fledermäuse genau aufgezeichnet werden, vor allem sollten auch die extrem raschen Kopfbewegungen und Blickrichtungsänderungen der Tiere im Flug in absoluter Dunkelheit erkennbar dokumentiert, mit eventuellen Richtungswechseln korreliert und schließlich mit der aufgezeichneten Tonspur exakt synchronisiert werden. Kein leichtes Unterfangen.

Moss, Ghose und ihrer Hochgeschwindigkeitskamera-Ausrüstung gelang das Kunststück nun trotz aller Widrigkeiten. In die Falle ging den Wissenschaftlern dabei Eptesicus fuscus, die in Nord- und Mittelamerika beheimatete Große Braune Fledermaus. In ihrem weltweit einzigartigen, mit Infrarot-Hochleistungskameras flächendeckend bespitzelbaren Fledermausfluglabor zeichneten die Forscher mit Richtmikrofonen die Ausbreitungsrichtung von Fledermausschreien auf, während Tiere entweder ziellos herumschweiften – oder aber sich plötzlich auf ein herabhängendes Beutedummy beziehungsweise ein reales Fluginsekt stürzten.

Eindeutig: Flugflanierende Fledermäuse wendeten ihren Kopf mal sanft nach links, mal nach rechts, stießen dabei alle zehn Sekunden einen Schallimpuls aus, wendeten im Flug aber kaum in die Richtung, in die sie ihre Schreie gelenkt hatten. Anders in der Nähe eines Beutetieres: Plötzlich erhöhten die Tiere ihre Schreifrequenz auf 100 bis 500 Rufe pro Sekunde und folgten den ausgestoßenen Rufen mit raschen Flugrichtungsänderungen. Fledermäuse, so das Forscherfazit, verhalten sich also prinzipiell auch nicht anders als andere Tiere: vage umherblickend beim Abendspaziergang, aber mit allen Sinnen und Bewegungen zielgerichtet beim Broterwerb.

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