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Verteidigung: Renaturierung gegen Russland

Eine Kette aus renaturierten Flussauen, Mooren und Wäldern soll die EU-Ostgrenze vor einer russischen Invasion schützen. Vorbild ist die Verteidigung der ukrainischen Hauptstadt Kiew im Februar 2022. Kann der verwegene Plan funktionieren?
Auenlandschaft mit einem breiten, ruhigen Fluss, der sich durch eine grüne und mit Schilf bewachsene Landschaft schlängelt. Ein kleines Schiff befindet sich in der Mitte des Flusses. Im Hintergrund sind sanfte Hügel und blauer Himmel mit vereinzelten Wolken zu sehen.
Flussauen wie hier an der Oder in Brandenburg sind mit schwerem Gerät nahezu unpassierbar. Ein Gürtel aus renaturierten Feucht- und Waldgebieten soll nun auch die EU-Ostgrenze schützen.

Im Februar 2022, als russische Truppen ihre Invasion in die Ukraine begannen, schützte eine unerwartete Macht die Hauptstadt Kiew vor einem raschen Fall: ein renaturiertes Feuchtgebiet. Die Angreifer rückten damals aus dem benachbarten Belarus vor, das nördlich der Metropole liegt. Sie nutzten Straßen, die sich durch Sümpfe, Moore und wasserreiche Wälder entlang der Flüsse Prypjat und Dnipr schlängeln.

In ihrer Not sprengte die ukrainische Armee am nordwestlichen Stadtrand einen Damm, der den Fluss Irpin von dem großen Stausee trennt, der auch Kiewer Meer genannt wird. Die einströmenden Wassermassen setzten ein großes Gebiet bis zur Mündung des Irpin unter Wasser. Über Nacht verwandelte sich das geplante Aufmarschgebiet für die finale russische Offensive auf die Hauptstadt in eine schlammige Auenlandschaft – der Angriff geriet ins Stocken. Bilder von im Morast stecken gebliebenen russischen Panzern gingen um die Welt und brachten der ukrainischen Armee internationale Anerkennung für ihre hydraulische Kriegsführung. »War-Wilding« nannte ein Experte die Strategie.

»Die Überschwemmung des Irpintals ist zum Symbol dafür geworden, wie die Natur eingesetzt werden kann, um sich gegen Angreifer zu verteidigen«, sagt Oleksii Vasyliuk, Zoologe an der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften und Direktor der Ukrainian Nature Conservation Group, einer NGO. Nordöstlich von Kiew sei die Natur sogar ohne menschliches Eingreifen eine effektive Barriere gewesen. »Die Landschaft dort ist so reich an Moorgebieten«, sagt Vasyliuk, »dass viele russische Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge einfach im Boden versanken.« Nach diesem Rückschlag gab Russland seine Pläne auf, Kiew zu besetzen und damit einen schnellen Sieg zu erzwingen. Putins Truppen konzentrieren ihre Bodenoffensive seither auf die trockeneren Regionen im Südosten der Ukraine. Umweltschützer fordern, dem Irpin deshalb militärische Ehren zu verleihen – als »Heldenfluss«.

Der Sumpf als Bollwerk

Drei Jahre später fordern nun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Ukraine, Polen und Deutschland, die Ereignisse von damals als Vorbild für eine groß angelegte europäische »natürliche Verteidigungsstrategie« zu nehmen. Ihnen schwebt vor, hunderte, ja tausende Kilometer wiederhergestellter und geschützter Feuchtgebiete sowie dichter, nasser Wälder entlang der östlichen Grenzen des Kontinents zu einer effektiven Abwehr auszubauen. Sie wollen damit zwei der drängendsten Herausforderungen Europas gleichzeitig angehen – sich der existenziellen Bedrohung durch eine mögliche größere militärische Eskalation Russlands Anfang der 2030er Jahre zu stellen, mit der die NATO fest rechnet, und zugleich wichtigen Zielen im Klima- und Naturschutz näherzukommen.

»Über die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg wurden Schlachten mit Hilfe von Bergen, Mooren oder Flüsse entschieden«, sagt Bohdan Prots, Leiter der Abteilung Biodiversität am Staatlichen Naturkundemuseum in Lwiw (Lemberg). Die Ukraine und andere europäische Länder sollten sich dessen bewusst sein und Naturschutz sowie Renaturierung gezielt als strategischen Vorteil nutzen, fordert er.

Prots setzt sich seit Langem für natürliche Verteidigungsstrategien ein. Als Russland Anfang 2022 Truppen auf der belarussischen Seite zusammenzog, war der Biologe zu ökologischer Feldforschung in den Urwäldern nördlich von Kiew unterwegs und erlebte aus nächster Nähe, was sich auf der anderen Seite der Grenze zusammenbraute. »Damals wünschte ich mir, wir hätten das gesamte Grenzgebiet bereits renaturiert, denn dann hätten die Russen gar nicht erst an einen Bodenangriff auf unsere Hauptstadt gedacht«, sagt er. Um seine These zu untermauern, pflegt Prots eine Datenbank mit Bildern von russischen Panzern, die in ukrainischen Feuchtgebieten stecken geblieben sind und aufgegeben oder zerstört wurden.

Die bislang ambitioniertesten Vorschläge für eine naturbasierte Verteidigungstrategie kommen von den renommierten Moorforschern Hans Joosten und Franziska Tanneberger vom Greifswald Moor Centrum. Beide sind Träger des Deutschen Umweltpreises, den der Bundespräsident verleiht. Mit Malte Schneider, dem Geschäftsführer des Berliner Renaturierungs-Start-ups aeco, veröffentlichten Joosten und Tanneberger im April 2025 einen Aufruf zur ökologisch ausgerichteten Verteidigung Europas. »Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit 2022 hat verdeutlicht, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeit neu denken muss«, schreiben sie. Die enormen Ausgaben für konventionelle Rüstung sollten mit »innovativen, kosteneffizienten und synergetischen Lösungen« ergänzt werden – etwa durch der Wiedervernässung von Mooren.

Militärstrategen sind an den Vorschlägen interessiert

»Die natürliche Umgebung ist ein offensichtlicher Verbündeter dabei, unsere östlichen Grenzregionen zu stärken und potenzielle Angreifer abzuschrecken«, erklärte das polnische Verteidigungsministerium auf Anfrage mit Bezug auf den geplanten »Ostschild« des Landes. Auch die Bundeswehr will bei der Wiedervernässung großer Moorflächen mitreden. Sie hat sichergestellt, dass sie beim Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK), mit dem das Bundesumweltministerium in großem Stil Lebensräume renaturieren will, konsultiert wird. »Aus der Perspektive der Verteidigungsfähigkeit sind nationale Feuchtflächen ein wichtiger zu berücksichtigender Faktor«, betonte eine Sprecherin der Bundeswehr auf Anfrage.

Der Vorschlag von Joosten, Tanneberger und Schneider gibt den Feucht- und Moorgebieten Europas eine neue Bedeutung. Ganz besonders gilt das in den baltischen Staaten und in Polesien, einer von Feuchtgebieten geprägten Region, die sich über Teile der Ukraine, Polens und von Belarus erstreckt. Während einige dieser Gebiete noch in einem naturnahen Zustand erhalten sind, wurden viele im 20. Jahrhundert trockengelegt, um zusätzliche landwirtschaftliche Nutzflächen zu schaffen. Diese entwässerten Flächen sind heute nicht nur bedeutende Quellen von Treibhausgasemissionen – sie lassen sich auch leicht von Menschen und Truppen überqueren.

Überschwemmte Flussniederung des Irpin | In den ersten Tagen der russischen Invasion fluteten ukrainische Truppen Feuchtgebiete im Norden von Kiew. In den unwegsamen Feuchtgebieten blieb die russische Offensive stecken.

Die Moorforscher verweisen auf eine militärtechnische Studie aus Belarus von 2018, derzufolge jeder Quadratmeter feuchter Moorboden 75 Prozent weniger Gewicht tragen kann als entwässerter Moorboden: »Natürlich nasse und ebenso wieder vernässte Moore sind für Panzer unpassierbar, verlangsamen Truppenbewegungen und erzwingen planbare Korridore, die leichter zu verteidigen sind«, schreiben Joosten, Tanneberger und Schneider.

Ihr Konzept sieht vor, ein System aus Barrieren zu schaffen, das aus drei großen Streifen vorhandener und renaturierter Moorgebiete sowie naturbelassener Wälder in der Ukraine, Ostpolen, den baltischen Staaten, Finnland und Rumänien besteht. Als zusätzliche Verteidigungslinie sollen auch wieder vernässte Moorflächen und Feuchtgebiete entlang von Oder und Neiße in Ostdeutschland dienen. Zur Finanzierung schlagen sie einen EU-Fonds in Höhe von 250 bis 500 Millionen Euro vor, mit dem anfangs mindestens 100 000 Hektar rekrutiert werden können. Das entspräche grob gerechnet zum Beispiel rund 1000 Kilometern zurückgewonnener Flussauen. Zusätzlich sollen durch die Renaturierung verifizierte CO₂-Zertifikate verkauft werden, um weitere Projekte zu finanzieren.

Umweltschutz als Zusatznutzen

Auch polnische Wissenschaftler setzen sich für naturbasierte Verteidigung ein. Michał Żmihorski, Direktor des Instituts für Säugetierforschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften, wurde deshalb im Januar 2025 von einem hochrangigen Vertreter der polnischen Armee eingeladen. »In einem guten und langen Gespräch mit dem für den Ostschild zuständigen General wurden wir uns schnell einig: Feuchtgebiete und nasse Wälder sind die besten Barrieren gegen einmarschierende Truppen«, sagt Żmihorski. Sein Institut befindet sich in Białowieża, einem der bedeutendsten Naturschutzgebiete Polens, das weltweit für seinen wertvollen Waldlebensraum und als Heimat unter anderem von Luchsen und Wisenten bekannt ist.

Żmihorski befürchtet, dass Teile des polnischen Militärs den »Eastern Shield« als einen leblosen Streifen mit asphaltierten Straßen, Wachtürmen, Mauern, Zäunen und Betonpfeilern ausgestalten wollen. »Die Vorstellung, dass vollständig überschaubares Terrain bei der Verteidigung hilft, ist aber fehlgeleitet«, sagt er. Mauern könnten leicht gesprengt und überrannt werden, »das kann mit Feuchtgebieten und dichten Wäldern nicht passieren«.

Grüne Grenzen | Renaturierte Streifen an den Ostgrenzen der EU sollen mögliche Angriffe russischer Truppen behindern und in leichter zu verteidigende Korridore zwingen. Mögliche Hindernisse sind wiedervernässte Moore, aber auch Waldgebiete mit viel Totholz und wiederhergestellte Flussauen. So verläuft zum Beispiel die polnische Ostgrenze teilweise entlang des Flusses Bug, der so als natürliches Hindernis genutzt werden kann.

Der Biologe spricht aus Erfahrung, denn 2022 ließ die polnische Regierung eine fünfeinhalb Meter hohe Grenzmauer durch den Białowieża-Wald errichten, um die illegale Migration über Belarus in die EU zu stoppen. Wissenschaftler aus Żmihorskis Institut dokumentieren seither die ökologischen Schäden, die der Wald dadurch erleidet. »Diese Mauer darf nicht als Blaupause für den Eastern Shield dienen«, warnt Żmihorski. Ein Report, den der Forscher mit anderen polnischen Expertinnen und Experten verfasst hat, listet zahlreiche naturbasierte Ansätze auf, um Terrain unpassierbar zu machen: Totholz in Wäldern liegen zu lassen, auf Kahlschläge zu verzichten, Waldwege zu verengen oder ganz aufzulassen, Entwässerungsgräben zuzuschütten.

»Wir empfehlen, entlang der Grenze einen Gürtel aus Feuchtgebieten wiederherzustellen«, schreiben die Expertinnen und Experten in ihrem Report. Wo landwirtschaftliche Flächen für den Verteidigungsstreifen erforderlich sind, schlagen sie Ausgleichszahlungen oder Subventionen für betroffene Landwirte vor. »Wir müssen sofort aufhören, Feuchtgebiete und Wälder im Osten unseres Landes zu entwässern«, fordert Żmihorski. Ein zusätzlicher Nutzen bestünde darin, Polens Treibhausgasemissionen zu senken. Dass austrocknender Torf zu CO₂ und Methan wird, verursacht in Polen laut Regierungsangaben pro Jahr etwa fünf Millionen Tonnen Emissionen, unabhängigen Forschern zufolge zwischen 26 und 35 Millionen Tonnen.

Die Militarisierung der Natur

Żmihorski zeigt sich enttäuscht darüber, dass die Regierung die wissenschaftlichen Empfehlungen in staatlichen Wäldern nicht bereits umsetzt. Er setzt auf das Militär, um die Idee der natürlichen Verteidigung voranzubringen. Das polnische Verteidigungsministerium wertet den Report der Wissenschaftler derzeit aus und hat eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt. Technische statt natürlicher Lösungen – also Hindernisse aus Beton oder tiefe Gräben – schließt das Verteidigungsministerium in Warschau explizit nicht aus, aber die Potenziale der Natur sollten genutzt werden: »In diesem Fall überschneiden sich ökologische und sicherheitspolitische Ziele«, erklärte ein Sprecher auf Anfrage.

Einige Wissenschaftler zeigen sich allerdings skeptisch. »Ich bin zurückhaltend, wenn es darum geht, Grenzsicherung und Naturschutz zu verbinden«, sagt Katarzyna Nowak, Biologin am Institut für Säugetierforschung, die ökologische Schäden durch die Grenzmauer zu Belarus untersucht. Sicherheitsbehörden weltweit hätten bereits Landschaften zu Waffen gegen Menschen umgestaltet. Die Militarisierung der Natur mache Gebiete für die Öffentlichkeit unzugänglich: »Das wird der Verbindung der Menschen in den Grenzlandschaften zur Natur nicht zuträglich sein«, warnt sie.

Kritik äußert auch Rosaleen Duffy, Leiterin des Lehrstuhls für internationale Politik an der University of Sheffield in Großbritannien: »Es kann sehr riskant sein, den Erhalt von Ökosystemen mit Sicherheitsfragen zu verbinden«, sagt sie. Natur werde damit verzweckt und ganze Landschaften könnten für Menschen generell unzugänglich werden. Zudem könnte sich das Militär einen grünen Anstrich geben, obwohl es weltweit zu den wichtigsten Verursachern von CO2-Emissionen zähle und bei kriegerischen Handlungen Natur in großem Stil zerstört werde.

Das deutsche Verteidigungsministerium äußert aus einer ganz anderen Richtung Bedenken: Natürliche Barrieren könnten nicht nur die Bewegungen des Feindes einschränken, sondern auch die der eigenen Truppen, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage. »Die Wiedervernässung von Feuchtflächen kann sowohl von Vorteil, jedoch auch von Nachteil für die eigene Operationsführung sein.« Zwar unterstützten die deutschen Verteidigungsplaner grundsätzlich die Renaturierung von Mooren, wollen aber von Fall zu Fall mitentscheiden.

Der strategische Einsatz von Mooren, Sümpfen und Überschwemmungsgebieten im Krieg hat eine lange Tradition. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts widmete der berühmte preußische Generalmajor und Militärstratege Carl von Clausewitz in seinem grundlegenden Werk »Vom Kriege« ein ganzes Kapitel den »Eigenheiten der Moräste«.

Militärhistoriker führen die Holländische Wasserlinie als Beispiel für den gezielten Einsatz von Feuchtgebieten im Krieg an. Im 16. und 17. Jahrhundert zerstörten die Niederländer Deiche, um durch strategische Überflutungen spanische und später französische Invasoren abzuwehren. Daraus entwickelten sich im 18. Jahrhundert ausgeklügelte Methoden, Kanäle und Schleusen zur Verteidigung zu nutzen. Dem Umwelthistoriker Adriaan de Kraker zufolge wurde strategische Überflutung dann mehrfach im Ersten und Zweiten Weltkrieg angewandt.

Schwierige Umsetzung

Olga Denyshchyk, ukrainische Ökologin und Projektkoordinatorin der Michael Succow Stiftung in Greifswald, verweist auf die Bedeutung von Feuchtgebieten im Ersten Weltkrieg, als »österreichische Truppen in Polesien buchstäblich im Morast stecken blieben«. Das Greifswald Moor Centrum nennt als weiteres historisches Beispiel jene Dithmarscher Bauern, die im Jahr 1500 das dänische Heer im Hemmingstedter Moor besiegten, weil sie die Charakteristika der Landschaft gekannt und klug genutzt hätten. Nachdem Napoleon an den unwegsamen Sumpflandschaften Russlands gescheitert sei, seien im Zweiten Weltkrieg alle großen Offensiven durch die Moorgebiete im Winter »bei gefrorenen Moorböden und unter Beteiligung von Moorforschern und Moorforscherinnen durchgeführt« worden.

Heute sollen die Feuchtgebiete Europas dem guten und rein defensiven Zweck dienen, Russland von einem Angriff oder gar einem Einmarsch in weiten Teilen Europas abzuhalten. Doch ausgerechnet in der Ukraine, die mit der Flutung des Irpintals eine Blaupause dafür geschaffen hat, kommt die Diskussion nur schleppend voran.

Olga Denyshchyk zeigt sich besorgt, dass die Moorwissenschaften und auch das Bewusstsein für die militärische Bedeutung von Feuchtgebieten in ihrem Heimatland heute nahezu verschwunden sind. »Universitäten, Politik, Militär und die breite Bevölkerung sind sich der Rolle und Bedeutung von Mooren in der heutigen Ukraine nicht wirklich bewusst«, sagt sie. Ihre Versuche, das ukrainische Verteidigungsministerium zu kontaktieren, um den Strategen den Wert von Feuchtgebieten nahezubringen, blieben bisher ohne Erfolg.

Auch Oleksii Vasyliuk, Direktor der Ukrainian Nature Conservation Group, erhielt keine Antwort, nachdem er dem Verteidigungsministerium Vorschläge für eine ukrainische Naturverteidigungsstrategie unterbreitet hatte. »In gewisser Weise kann ich das verstehen, denn unsere Verteidiger sind mit ständigen Luftangriffen auf Städte und Dörfer beschäftigt und finden kaum Zeit für Themen, die sie als nicht essenziell erachten«, sagt er. Da ein neuer Angriff aus dem Norden derzeit nicht unmittelbar bevorstehe, würden Feuchtgebietsbarrieren aktuell nicht als Priorität gesehen.

Vasyliuk und Denyshchyk nennen noch einen weiteren Grund, warum die Diskussion in der Ukraine nicht vorankommt: Konkurrenz um Landflächen. Am nordwestlichen Stadtrand von Kiew werde sie besonders hart ausgetragen: »Das Irpintal ist zwar noch feucht und steht unter Kontrolle des Militärs, aber die Eigentümer vor Ort müssten einer künftigen Naturschutznutzung zustimmen«, erklärt Vasyliuk. Viele Eigentümer hätten jedoch deutlich gemacht, »dass sie das Land lieber für Wohnbau und Landwirtschaft nutzen wollen, weil das die höchsten Erträge verspricht«.

»Die Menschen haben in diesem Krieg so viel verloren, dass sie an ihrem Besitz und an bewährten Einnahmequellen festhalten«, sagt Denyshchyk. Nichtsdestotrotz liefen in den Grenzregionen zu Belarus bereits mehrere Projekte zur Paludikultur – also der Bewirtschaftung nasser Moore – und zur Renaturierung, etwa in Regie der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft. Diese könnten als Modelle für eine zukünftige naturbasierte Verteidigungsstrategie dienen.

Beide ukrainischen Wissenschaftler sind optimistisch, dass die Entscheidungsträger in der Ukraine offen für neue Ansätze sein werden, sobald der Krieg mit einem russischen Rückzug endet. »Wenn wir der Europäischen Union beitreten«, sagt Vasyliuk, »werden viele unserer Feuchtgebiete als Teil des EU-Naturschutznetzes Natura 2000 besseren Schutz genießen als heute, und dann wird unsere Militärführung dies auch strategisch zu nutzen wissen.«

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