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Neolithische Revolution: Viele Ursprungsgebiete für den Ackerbau

Wilde Gerste unter dem Rasterelektronenmikroskop

Vor gut 10 000 Jahren spielte sich in einem weiträumigen Gebiet Südwestasiens, dem so genannten Fruchtbaren Halbmond, eine folgenschwere Veränderung ab: Menschen begannen sich dauerhaft an einer Stelle niederzulassen und die Pflanzen ihrer Umgebung für Nahrungszwecke selbst anzubauen. Dieser als neolithische Revolution bezeichnete Übergang, der den Beginn der Jungsteinzeit markiert, hatte seinen Ursprung aber wohl nicht in einem einzigen Zentrum, sondern nahm seinen Ausgang an mehreren Stellen des Nahen Ostens gleichzeitig.

Das belegen Ausgrabungen in Iran, die jetzt ein Team um die Tübinger Archäologin Simone Riehl veröffentlichte. Die Wissenschaftler hatten den Siedlungshügel Chogha Golan in der iranischen Provinz Ilam im Grenzgebiet zum Irak untersucht und waren dabei auf umfangreiche Zeugnisse eines langsam einsetzenden Pflanzenanbaus gestoßen. Da auch weiter nördlich – etwa in der heutigen Türkei – ähnliche Entwicklungen nachweisbar sind, die zeitgleich abliefen, gehen die Forscher davon aus, dass sich die neolithische Revolution an mehreren Stellen zugleich ereignet haben muss.

Wilde Gerste aus Chogha Golan | Ob dieses Korn von Hordeum spontaneum von einer wildgewachsenen oder bereits teilweise domestizierten Pflanze stammt, lässt sich in aller Regel nur an feinsten Details feststellen, wie sie unter dem Mikroskop sichtbar werden.

Die Siedlung am Fuß des Zagros-Gebirges war von vor etwa 12 000 bis vor 9800 Jahren von Menschen bewohnt, die den Funden nach zu urteilen eine komplexe und reiche Gesellschaft bildeten. Die Archäologen brachten eine große Anzahl von Werkzeugen zum Vorschein, die der Aufbereitung von Getreide dienten. Behälter aus Keramik fertigten die Menschen allerdings noch nicht an – die Funde fallen in die Phase des so genannten präkeramischen Neolithikums, in der die Töpferei keine oder nur eine sehr begrenzte Rolle spielte.

Lehmfigur in Form eines Tiers | Die Bewohner Choghar Golans bildeten eine vergleichsweise große Gemeinschaft, da sie unter recht stabilen ökonomischen Bedingungen lebten, schreiben die Autoren. Die Figur aus Lehm zeigt, dass die Menschen bereits mit diesem neuen Werkstoff experimentierten.

Vor allem aber konnten die Wissenschaftler zahlreiche Überreste von Nahrungspflanzen dingfest machen: Die Einwohner kultivierten die Wildformen von Gerste, Weizen, Linsen und Erbsen, außerdem begannen sie mit der Zucht von Emmer, einer Weizenform. Unklar ist in dieser frühen Phase allerdings oft, inwieweit sich die gefundenen Spelzen oder Körner einer wildgesammelten oder bereits domestizierten Pflanze zuordnen lassen.

Wie Riehl erklärt, habe man bislang angenommen, dass die Anfänge des Ackerbaus im Iran auf Impulse aus dem Westen zurückgingen und keine eigenständige Entwicklung darstellten. Der Grund dafür liege wohl schlicht darin, dass wegen der schwierigen politischen Bedingungen im Iran eine archäologische Feldforschung lange Zeit unmöglich gewesen sei. Die Untersuchungen der Tübinger Forscher in den Jahren 2009 und 2010 können diese Informationslücke nun füllen.

Der Tell von Chogha Golan | Heute liegt der drei Hektar große Siedlungshügel in einer von Trockenheit geprägten Landschaft. Vor rund 12 000 Jahren dürften die klimatischen Bedingungen allerdings günstiger gewesen sein.

Gleichzeitig bereiten die neuen Ergebnisse das Feld für weitere Diskussionen. Denn auch wenn die Bewohner des östlichen Zipfels des Fruchtbaren Halbmonds schon zu Beginn der neolithischen Revolution mit dabei waren, ist nicht ausgeschlossen, dass trotzdem ein wechselseitiger Kulturtransfer stattgefunden hat. In welchem Ausmaß dies geschah, unter welchen Bedingungen und vor allem warum es überhaupt zu diesem Umbruch kam, bleibt eine offene Frage.

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