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Ornithologie: Europas schwarzes Loch für Vögel

Singvögel gelten in Zypern als kulinarische Delikatesse. Doch auch wenn Jagd und Verzehr verboten sind, steigen die Fangzahlen stetig und könnten bald zur Bedrohung seltener Arten werden.
Feinmaschige Netze fange Vögel aller Art - auch wenn sie eigentlich geschützt sind wie dieser Pirol.

Als ich die Klinge im Sonnenlicht blinken sah, war mir sofort klar, in welche Lage wir uns gebracht hatten. Groß, kriegerisch und in Militärkleidung schritt der Mann den Pfad ab, schimpfte auf Griechisch wüst vor sich hin und klappte die Klinge seines Taschenmessers hinter seinem Rücken ein und aus. Der Mann war ein Fallensteller – ein Vogelwilderer – und wollte auf keinen Fall Gesellschaft haben. "Was machen Sie hier?", fragte er fordernd.

Meine Begleiter und ich waren in die trockene Buschlandschaft der Mittelmeerinsel Zypern gereist, um Beweise für die Jagd auf Singvögel zu sammeln. Diese werden hier illegal gefangen und als traditionelles Gericht Namens Ambelopoulia auf den Tisch gebracht. Ich hatte mich im September einer Tour angeschlossen, um das wahre Ausmaß dessen zu erkunden; mit mir waren der britische Naturschützer Roger Little und ein Fieldworker der Naturschutzorganisation BirdLife Cyprus unterwegs, dessen Name zu seinem eigenen Schutz in Savvas geändert wurde. Hier im Südosten um das Cape Pyla herum hatten wir um diese Uhrzeit keine Fallensteller erwartet, weil sie normalerweise nachts arbeiteten, wenn die Vögel aktiv sind. Doch inzwischen scheinen sie auch tagsüber durch die Region zu patrouillieren. "Sie sind auf meinem Land", rief der Wilderer auf Griechisch.

"Wenn das Ihr Land ist, dann entschuldigen wir uns, das wussten wir nicht. Wir gehen natürlich wieder", sagte Savvas. Als uns der Mann zu unserem verbeulten Geländewagen zurückbegleitete, versuchten wir, ganz ungezwungen zu tun. "Eigentlich sollte ich euch nicht einfach so laufen lassen", murmelte der Fremde vor sich hin. Kurz darauf fuhren wir davon.

Akteure im Untergrund

Die Diskussionen über die Vogeljagd in Zypern nehmen zu und gelten kriminellen, kulturellen, politischen und wissenschaftlichen Aspekten. Zwar wurde die Vogeljagd vor mehr als 40 Jahren verboten, doch wurden dadurch die Akteure nur noch mehr in den Untergrund getrieben. Die Fallensteller schlagen inzwischen ganz routiniert breite Korridore durch die Vegetation und hängen zwischen hohen Pfosten feine Netze auf, in denen sich die Vögel verfangen. Diese werden an Restaurants in der Region verkauft und dort unter der Hand serviert – eine Platte mit einem Dutzend Vögel für 40 bis 80 Euro. Der gesamte Handel mit Singvögeln soll sich inzwischen auf ein jährliches Marktvolumen von 15 Millionen Euro belaufen. Die Delikatesse ist nämlich so hoch geschätzt und lukrativ, dass dem Geschäft Verbindungen zur organisierten Kriminalität nachgesagt werden und jeder, der sie stoppen möchte, mit Einschüchterung und Gewalt zu kämpfen hat.

Gefangen in Zypern

Naturschutzorganisationen warnen, dass der Vogelfang insgesamt zunimmt und langsam zur Bedrohung seltener Arten wird, die auf ihren Zugwegen in Zypern einen Zwischenstopp einlegen. Nach einem im März veröffentlichten Bericht von BirdLife Cyprus sollen im vergangenen Herbst etwa zwei Millionen Vögel getötet worden sein, darunter etliche Exemplare von 78 bedrohten Arten. Neben dem Klimawandel, der Zerstörung von Lebensraum und dem Vordringen invasiver Arten könnte auch die Jagd so manche Vogelpopulation unwiederbringlich schädigen. "Die illegale Vogeljagd lässt sich keinesfalls rechtfertigen; das ist, wie wenn wir einige Arten einfach die Klippen hinunterstoßen würden", sagt Clairie Papazoglou, die Direktorin der in der Nähe von Nicosia ansässigen Organisation BirdLife Cyprus.

"Die illegale Vogeljagd lässt sich keinesfalls rechtfertigen; das ist, wie wenn wir einige Arten einfach die Klippen hinunterstoßen würden" Clairie Papazoglou

Aber ganz so schwarz-weiß ist das Bild auch nicht zu sehen, weil das Ausmaß der Jagd wie auch die Auswirkungen auf die Vogelpopulationen noch unklar sind. Kritiker haben ebenso Bedenken, was die Methoden von BirdLife Cyprus bei der Schätzung der auf der Insel gefangenen Vögel angeht. In einem Workshop im vergangenen Juli wurden wissenschaftliche Daten mit Vertretern aller beteiligten Stellen diskutiert. Alison Johnston arbeitet als Ökostatistikerin an der Forschungsstiftung British Trust for Ornithology (BTO) in Thetford und nahm ebenfalls am Treffen teil. Ihrer Meinung nach ist noch viel zu wenig über die Größe und die Zugrouten der Vogelpopulationen im Mittelmeerraum bekannt, und es ist schwierig, alle Auswirkungen des Vogelfangs abzuschätzen. "Mit genaueren Daten könnten wir besser beurteilen, ob tatsächlich eine kritische Menge an Vögeln getötet wird", sagt sie.

Mehr als die Hälfte der Zugvogelbestände gehen zurück

Nachdem die Vogeljagd auch in anderen Teilen der Welt stark verbreitet ist, könnte die Diskussion um Zyperns Singvögel aber weit reichende Konsequenzen haben. Wie BirdLife International schätzt, werden jährlich über den gesamten Mittelmeerraum verteilt etwa 25 Millionen Vögel getötet. Zypern fällt nur deshalb auf, weil es hier so viele in einem sehr kleinen Land sind. Global gesehen scheint mehr als die Hälfte der Zugvogelbestände zurückzugehen. "Das ist keineswegs nur ein Problem von Zypern, Afrika oder Europa", sagt Claire Runge. Die Wissenschaftlerin aus dem Bereich Naturschutz arbeitet an der University of Queensland in Brisbane in Australien und beschrieb im vergangenen Dezember, wie weltweit nur neun Prozent der Zugvögel in ihrem Verbreitungsgebiet angemessen geschützt werden. "Die einzelnen Länder müssen hier zusammenarbeiten und eine Lösung für den Konflikt zwischen Mensch und Tierwelt finden", sagt sie.

Laut Papazoglou könnte Zypern zum gefährlichen Präzedenzfall werden. "Die wuchernden illegalen Aktivitäten in einem EU-Land senden eine schreckliche Botschaft an den Rest der Welt. Wenn schon reiche, stabile und eigentlich gut funktionierende Länder keine Gesetze zum Schutz der Tierwelt auf den Weg bringen, was soll man da von instabilen Ländern im Mittleren Osten und in Afrika erwarten?"

Das Tor zu anderen Kontinenten

Mit seiner Lage in der südöstlichsten Ecke des Mittelmeers ist Zypern das Tor zu drei Kontinenten und deshalb seit mehr als einem Jahrtausend hart umkämpft. Derzeit ist es in vier Gebiete geteilt. Den Hauptteil bilden die Republik Zypern und die Türkische Republik Nordzypern, beide durch eine UN-Pufferzone getrennt; dazu gibt es zwei britische Militärbasen, die offiziell als Sovereign Base Areas (SBAs) bezeichnet werden. Auf Grund ihrer militärstrategisch wichtigen Lage sind sie seit der Unabhängigkeitserklärung Zyperns im Jahr 1960 dem britischen Hoheitsgebiet zugehörig. Eines der Gebiete wird derzeit von Großbritannien für Luftangriffe gegen Syrien genutzt.

Dank seiner Lage ist Zypern aber auch ideal für einen Zwischenstopp der Zugvögel. Fast die Hälfte aller Vogelarten aus Europa, Nordafrika und dem Mittleren Osten nutzen die Insel als Raststätte – im Herbst auf ihrem Weg in den Süden und im Frühjahr auf dem Flug zurück in Richtung Norden. Darunter sind häufig vorkommende Vögel wie Sperlinge und Rotkehlchen (Erithacus rubecula), aber auch bedrohte Arten wie Schleiereule (Tyto alba), Eisvogel (Alcedo atthis) und Turteltaube (Streptopelia turtur). Doch nicht nur diese wurden schon in den Netzen der Fallensteller gefunden, sondern auch vom Aussterben bedrohte, in Zypern endemische Standvögel, wie die Schuppengrasmücke (Sylvia melanothorax) und der Zypern-Steinschmätzer (Oenanthe cypriaca).

Die Jagd auf Vögel reicht zurück in Zeiten, als diese zu den wenigen, einfach erreichbaren Proteinquellen der trockenen Insel gehörten. Ursprünglich bestand eine Ambelopoulia aus einem Teller Mönchsgrasmücken (Sylvia atricapilla), doch die Variabilität stieg, und inzwischen werden 22 verschiedene Singvogelarten serviert. Traditionell werden die Vögel mit Leimrute gefangen, jene mit einer klebrigen Mischung aus syrischem Pflaumensaft bestrichenen Zweige, die geschickt zwischen den Ästen platziert werden. Eigentlich wurden schon im Jahr 1974 wahllose Fangmethoden gesetzlich verboten, einschließlich Leimruten und Vogelnetzen. Der Vogelfang ist sowohl in der EU-Vogelschutzrichtlinie als auch in der Habitat-Richtlinie verboten, beides zusammen bekannt als Berner Konvention und auch von Zypern ratifiziert.

Mönchsgrasmücke | Ursprünglich bestand eine Ambelopoulia, ein traditionelles Gericht auf Zypern, aus einem Teller Mönchsgrasmücken. Die Regierung möchte, dass der Fang dieser Vogelart weiterhin erlaubt ist.

Die Jagd auf Vögel ging trotzdem weiter. Viele Zyprer sehen den Vogelfang für die Ambelopoulia als Tradition und geltendes Recht, was die Angelegenheit inzwischen höchst emotional werden ließ. In der Region um Famagusta kam es als Reaktion auf etliche Festnahmen und Razzien in Restaurants schon zu öffentlichen Protesten, die teils verdeckt und teils ganz offen durch Politiker unterstützt wurden. Evgenios Hamboullas aus Famagusta ist Mitglied des Parlaments und vertritt dort die Democratic Rally; im letzten Dezember postete er ein Foto von sich vor einer Platte gebratener Singvögel mit dem Untertitel "Bald in unseren Restaurants! Schöne Ferien!". Der Post erhielt innerhalb von fünf Tagen fast 600 Likes, aber auch Ablehnung durch seine Partei.

Vogelfang in industriellem Ausmaß

Laut Naturschutzgruppen nimmt der Vogelfang rasend schnell zu, und der letztjährige Bericht von BirdLife Cyprus sprach schon von industriellem Ausmaß. Die Fallensteller zerstören erst die Buschhecken der Insel und pflanzen sowie bewässern dort durstige, hellgrüne Akazienbäume, um die Vögel anzulocken. Mitten durch die Pflanzungen werden dann Korridore geschnitten und große Fangnetze an Pfählen aufgehängt. Als Savvas, Roger und ich an einem bekannten Hotspot der Vogeljäger ankamen, war alles ganz offensichtlich: Metallstangen waren in leere Reifen einbetoniert, schwarze Bewässerungsrohre verliefen kreuz und quer über die staubige Erde und alte Teppiche bedeckten den Boden und verhinderten so jegliche Vegetation an den Stellen mit Netzen. Schon vorher hatten wir einen MP3-Player in einem Akazienbaum entdeckt, der immer wieder Vogelgesang von sich gab – ein elektronischer Tonköder zum Anlocken der Vögel. Ganz in der Nähe flatterten wild ein Neuntöter (Lanius collurio) und ein Sperling, beide mit den Füßen und Flügelspitzen an Leimruten hoch oben im Baum klebend.

Seit 2002 beobachten Umweltschützer ganz systematisch das Ausmaß des Vogelfangs und nützen dabei ein von BirdLife Cyprus mit der in England gegründeten Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) erstelltes Protokoll. Unterstützt werden sie von einer Abteilung des Innenministeriums, dem Jagd und Fauna Service Zyperns, sowie von der britischen SBA Police. Als Zypern der EU beitrat, gingen die Zahlen zwar anfangs zurück, doch seit 2007 zeigt sich wieder ein deutlicher Trend nach oben. Die Daten für 2014 führten nun zu einem heftigen Aufschrei.

Mit zwei Millionen Vögeln, die laut BirdLife Cyprus in der letzten Saison gefangen wurden, war es der größte Anstieg seit Beginn der Aufzeichnungen. Neben etlichen Details zeigte der Bericht auch, dass die SBA-Gebiete für einen Großteil des Anstiegs verantwortlich waren. Den Schätzungen nach wurden in der eigentlich nur drei Prozent des Landesgebietes einnehmenden Region 900 000 Vögel getötet, insgesamt ein Anstieg von 199 Prozent seit dem Jahr 2002. In der Republik Zypern dagegen ist der illegale Fang zurückgegangen und im Norden Zyperns stellt er wohl gar kein besonderes Problem dar. Die Rekordzahlen führten natürlich sofort zu Kritik und Schlagzeilen; einige Naturschützer und Medien behaupteten, die britischen Behörden würden bei der Jagd ein Auge zudrücken, um Unruhe in der Bevölkerung zu vermeiden. Die Verwaltung der SBAs will die "Ergebnisse der Untersuchung nicht akzeptieren" und bezweifelt die Richtigkeit von einem Teil der Abbildungen. Insbesondere die Art der Schätzungen wurde in Frage gestellt, wie von einigen Teilnehmern des Treffens im Juli zu erfahren war.

Schätzungen beruhen auf Annahmen

Der Hauptteil der Untersuchungen erfolgte über sechs Wochen während der Zugsaison im Herbst – was natürlich auch die Hauptjagdzeit ist. Das Beobachtungsteam besuchte regelmäßig 60 Gebiete, jeweils in einer Größe von einem Quadratkilometer und bekannt als Hauptfanggebiet. Je nach Anzahl entdeckter Fangnetze wurden die Gebiete in fünf Kategorien eingeteilt, von aktiven Gebieten, bei denen Netze der Fallensteller schon ausgebreitet zwischen den Pfählen hingen, über vorbereitete Gebiete, in denen frisch geschnittene Korridore vorhanden waren, aber noch keine Netze gefunden wurden, bis zu so genannten sauberen Gebieten ohne Hinweise auf Aktivitäten in Richtung Vogelfang.

Anhand der gesammelten Daten wurde abgeschätzt, wie viele Vögel in der Region und Saison insgesamt getötet wurden. Hierzu mussten die Forscher einige Annahmen machen, beispielsweise die Anzahl der täglich in den Netzen gefangenen Vögel und die relative Konstanz des Vogelzugs, auch wenn dieser in Wirklichkeit in Wellen vonstattengeht. "Wir geben zu, dass unsere Schätzungen auf vielen Annahmen beruhen", sagt Papazoglou. "Man muss sie mit Vorsicht lesen." Schwierig sind die Verhandlungen mit den SBAs, wenn es um die so genannten vorbereiteten Gebiete geht, sagt Johnston: Wie weit die Vorbereitungen für den Vogelfang gediehen sind, ist zum Teil ebenfalls recht subjektiv. Doch auch die Genauigkeit der Schätzungen wurde hinterfragt. "Wir haben so unsere Zweifel an diversen Einzelheiten beim Monitoring und den genannten Zahlen", erklärt Panicos Panayides, der als Mitarbeiter am Jagd und Fauna Service Zyperns in Nicosia arbeitet.

Bei dem Treffen im Juli sollten genau diese methodischen Fragen diskutiert werden. BirdLife Cyprus lud verschiedene Experten ein, darunter Johnston, ihren Kollegen und Autor einer großen britischen Vogelstudie Nick Moran, andere Experten aus dem Vogelmonitoring sowie Repräsentanten aus den SBAs. Im Anschluss an den Workshop rieten Johnston und Moran der BirdLife Cyprus unter anderem, die Kategorie eines vorbereiteten Gebiets abzuschaffen und besser die Zahl der beobachteten Gebiete in den SBAs zu erhöhen. Die diesjährige Analyse von BirdLife Cyprus soll im Frühjahr erscheinen und wird der Empfehlung Beachtung schenken. Im Gespräch mit "Nature" wollte die Verwaltung der SBAs die früher genutzten Methoden nicht kommentieren und fügte nur hinzu, "alle Gruppen arbeiten zusammen, um die Empfehlungen der BTO zu verbessern und umzusetzen". "Die weitere Zusammenarbeit ist unabdingbar, um den Aktivitäten [der Vogeljagd] entgegenzuwirken."

Elektronische Köder verzehnfachen das Problem

Aber auch trotz diverser Maßnahmen zeigte sich wieder ein sprunghafter Anstieg zwischen 2013 und 2014, weiß Johnston. "Die [neue] Art der Berechnung führt zwar zu niedrigeren Zahlen, allerdings lediglich um zehn Prozent." Und der alljährlich steigende Trend bleibt bestehen, weil die Monitoring-Methoden über die Jahre hinweg immer dieselben waren, kommentiert sie die Auswertung. Ihrer Meinung nach sind die Schätzungen von BirdLife Cyprus auch eher "konservativ". Laut vorausgegangener Auswertungen werden in jedem Netz etwa 20 Vögel pro Nacht gefangen. Die Zahl könnte aber stark ansteigen, wenn die Fallensteller immer mehr elektronische Köder zum Anlocken der Vögel einsetzen: Laut einer Studie könnten dann 13-mal so viele Vögel in die Fallen gehen.

"Wenn die Fallensteller die Anzahl der gefangenen Vögel jeden Tag in ein Formular eintragen müssten, ja, dann könnten wir tolle Analysen durchführen" Alison Johnston

Andernorts auf der Welt soll der Vogelfang sogar zum Aussterben bisher häufiger Arten beitragen. Wissenschaftler warnten schon im letzten Jahr, dass die Population der in Europa und Asien sehr häufig auftretenden Weidenammer (Emberiza aureola) innerhalb von drei Jahrzehnten um mehr als 95 Prozent zurückgegangen war, weshalb mancherorts schon einzelne Arten kurz vor der Ausrottung stehen. Als einer der Hauptgründe wird der Vogelfang in China genannt, wo die Tiere als teure Delikatesse serviert werden. Aber nur mit Hilfe genauer Daten könnten Wissenschaftler und Naturschützer das tatsächliche Ausmaß des Schadens für die Vogelpopulationen abschätzen und schlussendlich gegen die Machenschaften vorgehen. Doch hieb- und stichfeste Zahlen zu erheben, ist laut Johnston extrem schwierig – besonders wenn jeder Einsatz an den Beobachtungsstellen äußerst gefährlich ist. "Wenn die Fallensteller die Anzahl der gefangenen Vögel jeden Tag in ein Formular eintragen müssten, ja, dann könnten wir tolle Analysen durchführen", sagt sie.

Ein gewisses Maß an Vogelfang wird die Population der häufig vorkommenden Arten vielleicht gar nicht beeinflussen, meint Runge. "Für gefährdete Spezies, von denen es nur ein paar wenige Exemplare gibt, kann es aber schon richtig kritisch sein." Wie hoch auch immer die exakten Zahlen sein mögen – alle involvierten Stellen sind sich einig, dass man gegen den Vogelmord in Zypern vorgehen muss. Die Frage ist nur, wie.

Fallensteller werden handgreiflich

Jim Guy ist Chef der SBA Police im Osten der Insel – er ist nett, charmant und stahlhart. Ich traf ihn auf der Polizeistation in Dhekelia, die etwas unterhalb eines an der Straße verlaufenden Drahtzauns, ein paar Kilometer entfernt von der Stadt Larnaka untergebracht ist. Guy kommt aus Glasgow und wollte ursprünglich nur für drei Jahre hierbleiben, doch inzwischen sind daraus schon 17 Jahre geworden. "Die Militärbasen sind zweifelsohne eine der größten Fangzonen", gibt er zu. Gekränkt fühlt er sich aber durch die Kritik des BirdLife Cyprus, denn seiner Meinung nach könne man ihnen keineswegs eine zu lockere Umsetzung der Gesetze vorwerfen. Die östlich gelegene SBA, insbesondere die Landspitze um das Cape Pyla, sieht er eher deshalb als Hauptgebiet der Fallensteller, weil hier eine der wichtigsten Stationen der Zugvögel liegt. Besonders am Cape Pyla finden sich keine Gebäude, Häuser oder irgendetwas, was die Vögel abschrecken oder von der Route abbringen könnte. "Damit sind die Bedingungen hier ideal."

Guys Team möchte das Problem auf dreierlei Weise angehen: vorbeugen, informieren, durchsetzen. "Die Durchsetzung ist in gewisser Weise nur ein Notpflaster", sagt er. Damit lassen sich vielleicht einzelne Fallensteller festnehmen; aber solange in den Restaurants und Lokalen weiterhin teure Ambelopoulia bestellt wird, ändert sich auch nichts – die Abnehmer der Singvögel sitzen nun einmal überwiegend in Zypern. Die Nachfrage zu stoppen, ist extrem schwierig. "Die illegalen Machenschaften werden teils offen und häufiger stillschweigend von hohen Politikern und Verwaltungsangestellten unterstützt. "Noch dazu werden diejenigen, die sich gegen das Fallenstellen positionieren, inzwischen schon selbst bedroht und attackiert. "In England kann man nachts nach Hause gehen und muss auch keine Angst davor haben, dass sein Haus oder seine Familie bedroht werden", bemerkt Guy, dessen Mitarbeiter schon ernsthaft attackiert wurden, als sie sich mit Fallenstellern anlegten.

Neben ihm ist auch Panayides frustriert. In seinem Büro hängen viele Bilder von Vögeln, dazu ein Poster zur EU-Vogelschutzrichtlinie. Panayides weiß von mindestens 30 Fällen in den letzten zehn Jahren, bei denen Wildhüter von Fallenstellern schikaniert und attackiert wurden. "Da wurden sogar Bomben in den Privatautos versteckt und ihre Häuser in Brand gesteckt", erzählt er. Und auch wenn Fallensteller gefasst werden, schrecken die milden Strafen die anderen keineswegs ab, fügt Panayides hinzu. Laut Gesetz in Zypern kann ein Fallensteller beim ersten Mal zu bis zu drei Jahren Gefängnis oder zu einer Geldstrafe von 17 000 Euro verurteilt werden; die meisten kommen allerdings mit wenigen hundert Euro davon. Panayides Team hat einen der Wilderer schon achtmal innerhalb der letzten zehn Jahre festgenommen und angezeigt. "Was sonst können wir als Behörde dagegen tun?", fragt er enttäuscht.

Der Kampf eskaliert

Letztes Jahr eskalierte der Kampf richtiggehend. Im Mai wurde ein zuvor beschlossener Vorschlag zum Umgang mit dem Vogelfang zwar durch den zyprischen Ministerrat gebracht – doch hatte die Regierung in letzter Minute eine Klausel eingefügt, die ausdrücklich den Fang von Mönchsgrasmücken für die Ambelopoulia erlaubte. Ein Aufschrei der Umweltorganisationen folgte natürlich prompt, weil bei jeglicher Fangtechnik unweigerlich auch andere Arten getötet werden, was im deutlichen Widerspruch zur Vogelschutzrichtlinie steht. Der Vorschlag wurde daraufhin im August von der Europäischen Kommission in einem Brief an die Regierung Zyperns abgelehnt, und nun bleibt abzuwarten, wie diese reagiert.

Inzwischen mehren sich aber die Anstrengungen der zyprischen Regierung und der SBAs, den Vogelmord im Zaum zu halten. So sollen beispielsweise molekulargenetische Techniken wie das DNA-Barcoding zum Nachweis der im Restaurant servierten Vögel eingesetzt werden (siehe "DNA zum Nachweis gebratener Vögel"). Die SBA-Verwaltung hat laut eigener Angaben im letzten Sommer auch Akaziengehölze in der Größe von elf Fußballfeldern im Gebiet der Wilderer um das Cape Pyla gerodet. Die Aktion war von Demonstrationen begleitet, und etliche Leute saßen auf den Feldwegen, um die Rodungsteams zu blockieren. Die Region, in der wir den mit einem Messer bewaffneten Wilderer trafen, betreten die Mitarbeiter des Monitoringteams nun auch nur noch unter Polizeischutz. Der Kampf zwischen Naturschützern und Wilderern hat sich "extrem zugespitzt", sagt Savvas, der die Aktivitäten auf Zypern seit etwa fünf Jahren beobachtet.

Überwachung und Durchsetzung sind nur begrenzt möglich, und beide Parteien stimmen zu, dass allein Information und sozialer Wandel etwas gegen den Vogelmord ausrichten können. "Die Öffentlichkeit muss einsehen, dass es so nicht geht, und zwar aus rechtlicher wie auch aus moralischer und gesellschaftlicher Sicht", sagt Panayides. Auch Papazoglou ist ganz realistisch: "Wenn wir es nicht schaffen, die Ansichten und Gefühle der Leute zu ändern, werden wir es niemals schaffen".

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