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spektrumdirekt unterwegs: Vom Aderlass zum elektrischen Kuss

Wie behandelten Ärzte in der Antike ihre Patienten? Wann gab es die ersten Rechenmaschinen? Und warum ging die Kunst der Alchemisten zugrunde? Die Ausstellung "Ex oriente lux?" gibt Antwort auf diese Fragen – auf einem weitläufigen Rundgang durch die Geschichte der Naturwissenschaften.
Experiment mit einem Vogel und einer Luftpumpe, Gemälde
Feine, wohlgeformte Buchstaben füllen die Seiten, dicht an dicht reihen sie sich aneinander, formen lateinische Worte zu einem kalligrafischen Kunstwerk, das sich über hunderte Blätter erstreckt. Es ist der "Liber Introductorius", ein Kompendium astronomischer und medizinischer Kenntnisse aus dem 14. Jahrhundert. Geschrieben hat es der schottische Scholastiker Michael Scotus. Heute ist es eines der zentralen Exponate der Ausstellung "Ex Oriente Lux?", die Ende Oktober in Oldenburg ihre Pforten öffnete.

Nachbau des Antikythera-Mechanismus | Der Antikythera-Mechanismus ist eine Zahnrad-Konstruktion,die etwa 150 Jahre vor unserer Zeitrechnung gebaut und 1900 in einem Wrack vor der griechischen Insel Antikythera gefunden wurde. Der Rechenapparat diente vermutlich zur Bestimmung von Planetenpositionen.
Was aussieht wie klassische mittelalterliche Mönchsarbeit, ist in Wahrheit ein Beweis für den regen wissenschaftlichen Austausch zwischen Orient und Okzident. Scotus' Werk nämlich ist eine Übersetzung aus dem Arabischen. Schon seit dem ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung hatte sich in Bagdad eine Schar Gelehrter versammelt, um zu Themen der Physik, der Mathematik oder der Medizin zu forschen.

Frühe Wissenstransfers

Nach dem Zerfall des römischen Reiches übernahmen ihre Nachfolger die Aufgabe, das Wissen der Antike zu verwahren. Übersetzungen wurden angefertigt, Forschungsarbeiten verglichen und ergänzt. Jahrhunderte später fand dieses Wissen dann über das von den Arabern eroberte Spanien Einzug in die westliche Welt.

Dieser Wissenstransfer ist eines der zentralen Themen der Ausstellung "Ex Oriente Lux?" im Oldenburger Augusteum. Eineinhalb Jahre hat ein Team aus Ausstellungsmachern des Landesmuseums Natur und Mensch Oldenburg zusammen mit Wissenschaftlern Fakten und Hintergründe sowie berühmte Exponate aus der ganzen Welt zusammen getragen und so einen geschichtlichen Rundgang der besonderen Art geschaffen.

Von Rechentüchern und tragbaren Sonnenuhren

Kerbholz | Das Kerbholz diente im frühen Mittelalter als einfache Zählhilfe – und wurde auch genutzt, um Schulden einzutreiben. Wer viel auf dem Kerbholz hatte, musste entsprechend viel zurück zahlen. Dieses Kerbholz stammt aus Ulm im 16. Jahrhundert.
Auf zwei Etagen zeichnet die Ausstellung die Wege zur neuzeitlichen Wissenschaft nach: Während die obere einzelne Wissenschaftszentren in den Fokus nimmt, beschäftigt sich die untere Ebene zunächst mit den Entwicklungen der Wissenschaft von der Antike zur Neuzeit. Dort wandern die Besucher etwa im Bereich Mathematik an unterschiedlichsten Rechenhilfen aus den vergangenen Jahrhunderten vorbei. Von einfachen Rechentüchern, die zu Addition und Subtraktion genutzt werden konnten, über Rechenschieber bis hin zum Nachbau eines Rechenapparates von Gottfried Wilhelm Leibnitz, der mit Hilfe von Messingzahnrädern und Kurbeln alle vier Grundrechenarten mechanisch beherrschte.

Beeindruckend sind zudem die so genannten Astrolabien, astronomische Messgeräte in Form einer Scheibe, mit denen man Winkelmessungen am Himmel vornehmen konnte und die seit dem 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bekannt sind. Auch bei der Zeitmessung waren die Menschen in der Vergangenheit kreativ: Neben den allseits bekannten Sonnenuhren zeigt die Ausstellung auch eine römische Wasseruhr, bei der die Zeit am herausgeflossenen Wasser abgelesen werden konnte – eine durchaus praktische Erfindung für dunkle Räume, in denen Sonnenuhren nur bedingt von Nutzen waren. Trotzdem erfreuten sich auch diese lange Zeit großer Beliebtheit, etwa im 17. Jahrhundert als Taschenuhr zum Ausklappen.

Aderlass-Lanzetten als Zeugen mittelalterlicher Heilmethoden

Schale mit Darstellung des Aderlass | Weil die Lehre des Galenos von Pergamon annahm, dass der Mensch unendlich viel Blut produziere, hielt man den Aderlass lange Zeit nicht für gefährlich. Erst im 17. Jahrhundert bewies ein Arzt, dass die Lehre von Galen wenig stichhaltig war. Bis dahin waren viele Patienten nicht ihren Leiden, sondern dem intensiven Aderlass durch ihre Ärzte erlegen. Die Schale aus dem Iran stammt aus dem 13. Jahrhundert.
Lebende Blutegel in einem kleinen Goldfischglas verweisen dann in die teils unrühmliche Geschichte der frühen Medizin: Während ägyptische Augenärzte bereits in der Antike einige Erfolge in der Bekämpfung des grauen Stars vorweisen konnten, verbreitete sich im Mittelalter der Trend zum so genannten Aderlass, bei dem den Patienten teils tödliche Mengen Blut abgezapft wurden – in der irrigen Hoffnung, so die verschiedenen Lebenssäfte in Einklang zu bringen.

Mitunter kostbare Exponate wie etwa Aderlass-Lanzetten aus dem 18. Jahrhundert oder eine Reiseapotheke werden ergänzt von Animationen, interaktiven Bildschirmgrafiken und Filmsequenzen, in denen Schauspieler fiktive Briefwechsel vortragen oder sich über die wissenschaftlichen Errungenschaften der jeweiligen Zeit unterhalten. Die begleitenden Texte jedoch sind sind oft kompliziert, auch die Zuordnung der Beschriftungen zu den Exponaten ist nicht immer ersichtlich. So müssen sich die Besucher ein ums andere Mal etwas mühsam die Bedeutung Exponate erschließen.

Von der Bibliothek in Alexandria zum elektrischen Kuss nach Paris

Nach dem Rundgang durch die Naturwissenschaften, einem Abstecher bei der Alchemie und den biologischen Systematisierungsarbeiten des Carl von Linné führt die Ausstellung in der zweiten Etage durch die Wissenschaftszentren der vergangenen Jahrhunderte: Die Bibliothek von Alexandria wird gefolgt vom Gelehrten-Mekka Bagdad, wo viele wichtige Schriften der Antike für die Nachwelt konserviert wurden, nachdem sie ins Arabische übersetzt wurden.

Auch die mittelalterlichen Städte Cordoba und Toledo werden thematisiert.
Epoc_Cover
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Hintergünde zum Thema der Ausstellung und spannende Einblicke in die Geschichte der Wissenschaften gibt das Magazin epoc im großen Sonderteil "Ex Oriente Lux?" der aktuellen Ausgabe (6/09).
Die nach der Eroberung durch die Mauren Al-Andaluz genannte iberische Halbinsel war ab dem 7. Jahrhundert für mehrere Jahrzehnte wichtige Schnittstelle zwischen Orient und Okzident: Die arabischen Schriften der Gelehrten fanden Eingang in die westliche Welt, wurden ins Lateinische übersetzt und so für die dortigen Forscher nutzbar.

In der Renaissance, zeigt die Ausstellung, drang die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften auch in die Welt des Adels und später auch des gehobenen Bürgertums vor: In Studierzimmern beschäftigte sich der damalige Mensch von Welt mit den Schriften der zeitgenössischen Wissenschaftler – ob in Florenz, in Pisa oder später ab 1700 in Paris.

In der französischen Hauptstadt kam damals eine merkwürdige Freizeitaktivität in Mode: Die Dame des Hauses berührte eine kurbelbetriebene Maschine, durch die sie elektrisch aufgeladen wurde. Führte ein Gast daraufhin galant zur Begrüßung seine Lippen an ihre Hand, erhielt er einen starken "elektrischen Kuss", der die gesamte Gesellschaft in Erstaunen versetzte. Das nennt man dann wohl gelungene Wissenschaftskommunikation.

Die Ausstellung "Ex Oriente Lux?" ist noch bis zum 24. Januar 2010 im Augusteum in Oldenburg zu sehen.

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