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News: Von Licht und Liebe bis Katzen und Kanonen

Mitte Oktober blickt nicht nur die Wissenschaftswelt gespannt nach Stockholm und wartet darauf, dass die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften die diesjährigen Nobelpreisträger verkündet. Zum Glück gibt es seit 1991 ein Ereignis, das uns die Wartezeit zumindest etwas versüßt: Das Annals of Improbable Research verleiht die Ig-Nobelpreise - für Erkenntnisse, die nicht wiederholt werden können oder sollten.
Wissen, das die Welt nicht braucht. Doch wer weiß das schon. So manche Weisheiten aus diesen Arbeiten sind vielleicht wirklich bahnbrechend. Schließlich ist ja vieles eine reine Frage der Wahrnehmung. Sagt nicht der Volksmund: "Einbildung ist auch 'ne Bildung"? David Cunning von der Cornell University und Justin Kreuger von der University of Illinois in Urbana-Champaign konnten das offenbar auch wissenschaftlich belegen. In einem Artikel in Journal of Personality and Social Psychology vom Dezember 1999 berichten sie über Menschen, die sich selbst überschätzen, weil sie schlicht und einfach nicht in der Lage sind, ihre eigene Inkompetenz zu erkennen. Der Ig-Nobelpreis für Psychologie geht dafür an sie.

Aber auch mit der Einbildung ist das so eine Sache. Wann hat man sich etwas eingebildet, und wann ist es doch Realität? Wenn Ihnen jemand etwas von schwebenden Sumo-Ringern erzählen würde, wären Sie sicher skeptisch. Und doch haben Andre Geim von der University of Nijmegen und Michael Berry von der Bristol University die Schwergewichte offenbar abheben lassen. Der Trick dahinter – ein starker Magnet. Laut dem European Journal of Physics vom Juli 1997 (Abstract) konnten die Forscher so auch einigen Fröschen erste Flugstunden ermöglichen.

Eine neue Verteidigungsstrategie im Amphibienreich? Vielleicht würde so manchem gefräßigen Räuber das Maul offen stehen, wenn sich seine Beute vor ihm in die Lüfte erhebt. Vor dem endgültigem Zuschnappen aber schützt wohl doch eher der beherzte Sprung. Kaulquappen haben diese Möglichkeit nicht, sie müssen sich etwas anderes einfallen lassen. Und wie so viele andere auch verderben sie ihren Feinden einfach den Appetit – sie schmecken schlecht. Wie schlecht, das ist allerdings die Frage. Ein wahrer Forscher lässt sich so etwas natürlich auf der Zunge zergehen – wie Richard Wassersug von der Dalhousie University einige Kaulquappen, die während der Trockenzeit in Costa Rica in den kargen Pfützen plantschen. Seinen Geschmackstest veröffentlichte er bereits im Juli 1971 im American Midland Naturalist. Aber wie das mit Preisen so ist – erst jetzt wird seine Arbeit mit dem Ig-Nobelpreis für Biologie honoriert.

Glaubt man Jasmuheen, früher bekannt als Ellen Greeve, von den Breatharianisten, dann ist dieses ganze Fressen und Gefressen werden sowieso umsonst. Eigentlich können wir nämlich von Luft und Liebe, Pardon, von Licht und Liebe leben – wenn wir den richtigen Weg wählen. Für ihr Buch Living on Light bekam sie den Literaturpreis.

Verliebte werden sich darüber nicht wundern. Ihnen soll ja tatsächlich Luft und Liebe genügen. Dabei ist Liebe eine äußerst ernst zu nehmende Angelegenheit, die auch gesundheitlich schwer bedenklich ist. Schließlich ist sie den Ergebnissen von Donatella Marazziti und ihren Kollegen von der University of Pisa und Hagop S. Akiskal von der University of California in San Diego zufolge kaum von einer schweren psychischen Störung zu unterscheiden – biochemisch gesehen zumindest. Denn in beiden Fällen gehen die Gehalte des Glückshormons Serotonin im Gehirn in den Keller. Da die Konsequenzen der Liebe für die Evolution von ungeheurer Bedeutung sind, vermuteten die Forscher dahinter einen uralten biologischen Prozess. Aussichtsreichster Kandidat für die Rolle des Sündenbocks ist ein Transportmolekül für das Hormon, das bei frisch Verliebten wie bei Patienten mit obsessive-compulsive disorder (OCD) eine geringere Zahl an Bindungsstellen aufweist und so auch weniger Serotonin transportiert (Psychological Medicine vom Mai 1999). Für diese Entdeckung gebührt Marazzitis Team der Ig-Nobelpreis für Chemie.

Immer weniger Menschen überstehen diese gefährliche Phase und wollen in den Hafen der Ehe einlaufen. Ein Problem, dem sich Reverend Sun Myung Moon angenommen hat. Mit Massenhochzeiten bringt er Schwung in die angeschlagene Heiratswirtschaft. Die Zahl der von ihm getrauten Paare lässt so manchen Standesbeamten vor Neid erblassen: Waren es 1960 noch 36, steigerte er sich eigenen Angaben zufolge 1968 schon auf 430, 1975 auf 1800 und 1982 auf 6000. Inzwischen reichen selbst Fußballstadien für das gemeinschaftliche Ja-Wort nicht mehr aus, denn 1992 versammelten sich bereits 30 000, 1995 sollen es 360 000 und 1997 gar 36 000 000 heiratswillige Pärchen gewesen sein. Kommen Singles demnächst auf die Rote Liste gefährdeter Organismen? Seine ökonomisch gesehen äußerst wertvollen Bemühungen rechtfertigen sicherlich den Ig-Nobelpreis für Ökonomie.

Aber es ist ja nicht nur die Liebe, die zwei Menschen zusammenbringt. Vergessen wir nicht die Leidenschaft, heißes Begehren und wildes Wühlen in den Kissen. Die meisten Menschen lassen sich dabei allerdings nur ungern beobachten. Aber von einer ungestörten und womöglich gar angenehmen Umgebung konnten die freiwilligen Teilnehmer eines Experimentes in den Niederlanden nur träumen. Ihr Liebesspiel können wir im British Medical Journal vom 18. Dezember 1999 (Volltext) bis ins kleinste Detail verfolgen. Voyeurismus? Nicht die Spur. Die Forscher wollten mit Hilfe der Magnetresonanztomographie die Verformung der Geschlechtsorgane während des Liebesaktes aufzeichnen. Dafür bekamen sie den Ig-Nobelpreis für Medizin – ob den nicht eher die eigentlichen Akteure verdient haben?

Angesichts all dieser wichtigen Erkenntnisse zu grundlegenden Dingen unseres Daseins muten die herausragenden Entdeckungen der drei verbleibenden Preisträger fast banal an. Und doch sind sie alles andere als zu verachten, denn sie beschäftigen sich mit dem Alltag, der uns alle immer wieder einholt und unser Leben bestimmt. Gerade die zunehmende Zahl an Menschen, die mit Computern arbeiten, werden Chris Niswander aus Tucson zutiefst dankbar sein für sein Programm PawSense, das ein ungemein verbreitetes und äußerst ärgerliches Problem löst: Es erkennt, wenn eine Katze über die Tastatur läuft. Der dafür verliehene Ig-Nobelpreis für Informatik ist sicher nicht für die Katz'!

Mit einem anderen, sehr menschlichen Bedürfnis beschäftigten sich Jonathan Wyatt, Gordon McNaughton und William Tullet in Glasgow. Sie untersuchten die Standfestigkeit von Porzellantoiletten in Glasgow und kamen zu alarmierenden Ergebnissen – es bestand eine nicht unerhebliche Gefahr, dass diese stillen Örtchen mit einem lauten Krach zusammenbrechen. Für die Veröffentlichung der Resultate im Scottish Medical Journal vom Dezember 1993 (Abstract) erhielten sie den Ig-Nobelpreis für Gesundheitswesen.

Genug vom Krach hatte auch die britische Marine. Sie wies ihre Kapitäne an, in Zukunft auf Kanonenfeuer zu verzichten. Damit den Soldaten und wohl auch den Zuschauern der wahre Eindruck der Geschütze nicht verloren geht – und um die Realitätsnähe in Manövern zu wahren – musste natürlich Ersatz her. Der jedoch ist schon an Bord, in Form von Hunderten Soldaten, die mit aller Kraft "Bang!" rufen. Ein wahrhaft löblicher Beitrag zum Frieden, für den es dementsprechend auch den Ig-Friedensnobelpreis gab. Ahoi!

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