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Wahrnehmung: Was macht die Realität real?

Yanny oder Laurel? Unser Gehirn entscheidet aktiv, was wir als real wahrnehmen. Eine neue Studie deutet auf einen Schaltkreis hin, der nicht nur bei der Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Fantasie hilft, sondern auch bei Psychosen eine Rolle spielen könnte.
Surreales Bild eines Elefanten, der auf einer Wolke sitzt
Dies ist eine maschinell erzeugte Übersetzung eines Artikels der internationalen Partner von Spektrum.de. Er wurde von uns überprüft, jedoch nicht redaktionell bearbeitet. Gerne können Sie uns Ihr Feedback am Ende des Artikels mitteilen.

Stellen Sie sich einen Apfel vor, irgendeinen Apfel.

Solange Sie nicht an Afantasie - der Unfähigkeit, sich Dinge vorzustellen - leiden, löst diese Aufforderung eine Gehirnaktivität aus, die derjenigen beim Sehen eines realen Apfels erstaunlich ähnlich ist. Solche neuronalen Überschneidungen sind praktisch, weil das visuelle System des Gehirns in beiden Fällen ohnehin viele gleiche Aufgaben erfüllen muss. Aber das wirft die Frage auf: Wie unterscheidet unser Gehirn zwischen Realität und Vorstellung?

Die Neurowissenschaft beginnt aktuell, den Schaltkreis im Gehirn zu verstehen, der diese Unterscheidung vornimmt. In einer neuen Studie in Neuron haben Forschende eine Gehirnregion identifiziert, die eine Art »Realitätssignal« erzeugt. Dieses Signal wird dann von einer anderen Region ausgewertet - einer Region, die, wenn sie abnormal funktioniert, mit Schizophrenie in Verbindung gebracht wird. Dieser Schaltkreises zur Überprüfung der Realität könnte Forschenden helfen, Schizophrenie und andere Störungen, die die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Realität beeinträchtigen, zu verstehen und möglicherweise sogar zu behandeln.

Wir glauben oft, dass wir die Realität so wahrnehmen, wie sie ist, mit kameraähnlichen Augen, die das auf sie treffende Licht objektiv erfassen. Doch wenn Informationen von den Augen in das Gehirn fließen, werden sie abstrakter und subjektiver: Linien und Farben, die in den frühen visuell verarbeitenden Regionen des Gehirns wahrgenommen werden, verwandeln sich allmählich in Konzepte und erhalten Bedeutungen, wenn sie höhere kortikale Netzwerke erreichen.

Diese »Bottom-up«-Verarbeitung in unserer Wahrnehmung ist jedoch nur ein Teil des Ganzen. Informationen können auch »von oben nach unten« fließen, indem das Wahrgenommene von uns selbst beeinflusst wird. Das wird deutlich bei zweideutigen Täuschungen wie der Rubinschen Vase oder dem Yanny-Laurel-Audioclip, bei denen Ihre Erwartungen bestimmen, was Sie sehen oder hören. Oder vielleicht haben Sie sehnsüchtig auf einen Besucher gewartet und glauben, ein Klopfen zu hören, obwohl niemand an der Tür ist.

»Wahrnehmung ist nicht nur ein passiver Prozess«, sagt Philip Corlett, außerordentlicher Professor für Psychiatrie an der Yale School of Medicine. Er war nicht an der neuen Studie beteiligt. »Dinge, die aus der Kognition kommen, formen das, was wir wahrnehmen. Und Dinge, die aus der Wahrnehmung kommen, können das ändern, was wir glauben.«

Sowohl Bottom-up- als auch Top-down-Prozesse tragen zu unseren visuellen Erfahrungen bei, wobei Bottom-up-Prozesse für die Wahrnehmung der Außenwelt wichtiger sind. Das Erzeugen von mentalen Bildern wird hingegen in der Regel durch Top-down-Befehle gesteuert. Da aber beide Prozesse durch dieselben Regionen gesteuert werden, stellt sich die Frage, wie das Gehirn da die Realität erkennen kann. Um diese Frage zu untersuchen, wurden Teilnehmenden der Studie schwer erkennbare Muster gezeigt, während sie sich in einem Gehirnscanner befanden. Sie sahen einen Bildschirm mit statischem Hintergrund, auf dem manchmal ein schwaches Muster aus diagonalen Streifen zu sehen war. Die Streifen waren entweder nach rechts oder nach links geneigt.

Die Teilnehmenden wurden gebeten, sich beim Betrachten des Bildschirms entweder ein nach links oder nach rechts geneigtes Muster vorzustellen. Dann sollten sie angeben, ob eines der beiden Muster tatsächlich angezeigt wurde (was in genau der Hälfte der Fälle zutraf). Manchmal zeigte der Bildschirm das gleiche Muster, das sie sich vorstellten, und manchmal zeigte er das Gegenteil dieses Musters oder gar nichts.

Wenn die Teilnehmenden nach demselben Muster suchten, das sie sich vorstellten, gaben sie eher an, es auch gesehen zu haben - auch wenn es nicht da war: Sie verwechselten die Vorstellung mit der Realität. Ihre mentalen Bilder waren außerdem klarer, wenn ein Muster vorhanden war; vorausgesetzt, es entsprach dem, was sie sich vorstellten. Dies deutet darauf hin, dass die Wahrnehmung auch die Vorstellungskraft beeinflussen kann.

Auf den Scans der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) des Gehirns war eine Region zu erkennen, die immer dann aktiver war, wenn die Teilnehmenden berichteten, dass sie ein Muster sahen - sei es real oder imaginär. »Es gibt eine Hirnregion in der Nähe der Schläfen, den Gyrus fusiformis, die sowohl aktiv ist, wenn man etwas sieht, als auch wenn man sich etwas nur vorstellt«, erklärt die Neurowissenschaftlerin Nadine Dijkstra vom University College London, die die Studie leitete. »Überraschenderweise haben wir herausgefunden, dass die Aktivierung in dieser Region vorhersagt, ob man etwas für real hält, obwohl es nur eingebildet ist.«

Die Forschenden bezeichnen diese Aktivität im Gyrus fusiformis als »Realitätssignal«. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich dieses aus den Aktivitäten von mentalen Bildern sowie der tatsächlichen Wahrnehmung zusammensetzt. Die Forschenden vermuten, dass dieses Signal dann von einer anderen Region, der vorderen Insula, ausgewertet wird. Die war nämlich auch aktiv, als die Teilnehmenden diese Aufgaben bearbeiteten. Die anteriore Insula scheint das Realitätssignal auszuwerten und eine »Ja-oder-Nein«-Entscheidung zu treffen: Eine Aktivität oberhalb eines bestimmten Schwellenwerts wird als real bewertet, eine Aktivität unterhalb dieses Schwellenwerts als eingebildet.

Da die Wahrnehmung in der Regel eine stärkere Aktivität erzeugt als eine Vorstellung, kann sie leichter Signale oberhalb des Schwellenwerts erzeugen. Bei der Vorstellung ist dies normalerweise nicht der Fall, weil der sensorische Input von unten nach oben bei der Erzeugung von Vorstellungen fehlt. Bestimmte Gruppen von sensorischen Neuronen werden so nicht aktiviert, was insgesamt zu einer geringeren Aktivität führt. Dies würde erklären, warum mentale Bilder keine Signale erzeugen, die die Realitätsschwelle überschreiten - solange alles richtig funktioniert.

Es ist möglich, dass wir Vorstellung und Wahrnehmung verwechseln: Eine Störung in Teilen dieses Schaltkreises könnte zu fehlerhaften Urteilen über die Realität führen. Wenn der Gyrus fusiformis beispielsweise während einer Vorstellung ein zu starkes Signal erzeugt oder die Schwelle in der anterioren Insula zu niedrig angesetzt ist, könnte die Vorstellung mit der Realität verwechselt werden. »Schizophrenie wird mit Anomalien im präfrontalen Kortex und in der anterioren Insula in Verbindung gebracht. Halluzinationen bei Schizophrenie könnten also auf Probleme bei der Einstellung der Realitätsschwelle zurückzuführen sein«, sagt Dijkstra.

Ähnliches kann auch bei akustischen Halluzinationen der Fall sein, die sich oft in Form von Stimmenhören äußern. In einer Studie aus dem Jahr 2016 wurden gesunde Teilnehmende mit unterschiedlich starker Neigung zu Halluzinationen gebeten, auf Sätze zu hören, die durch andere Geräusche übertönt wurden, während sie dieselben Sätze in ihrem Kopf mit der inneren Stimme wiederholten. Teilnehmende, die zu Halluzinationen neigten, hörten dabei mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Stimme, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Stimme zu hören war. Dies sei den Ergebnissen von Dijkstra und ihrem Team verblüffend ähnlich, sagt Corlett, denn es deute darauf hin, dass akustische Halluzinationen durch eine Verwechslung der innere Stimme mit einer äußeren zustande kommen.

Halluzinationen werden zwar oft als Symptom einer Psychose wie Schizophrenie angesehen, aber sie treten auch bei vielen anderen neurologischen Erkrankungen auf. Etwa 40 Prozent der Parkinson-Patienten haben beispielsweise visuelle Halluzinationen. Künftige Studien mit Menschen, die zu visuellen Halluzinationen neigen, könnten prüfen, »ob die Prozesse, bei denen sie fälschlicherweise etwas als wahr annehmen, anders sind« als bei Kontrollpersonen, die nicht zu Halluzinationen neigen, sagt Neurowissenschaftler Lars Muckli von der Universität Glasgow.

Wenn dies der Fall ist, könnte dieser Schaltkreis zur Wahrnehmung der Realitätdabei helfen, Halluzinationen zu behandeln. »Es könnte schließlich möglich sein, die Realitätsschwelle einer Person durch Training, Neurofeedback oder Hirnstimulation neu zu kalibrieren«, sagt Dijkstra. (Bei Neurofeedback-Techniken wird die Hirnaktivität in Echtzeit aufgezeichnet, was Betroffenen dabei helfen könnte, ihre Hirnaktivität im Laufe der Zeit anzupassen.)

Um aber eine Kausalität zwischen neuronalen Schaltkreisen und Halluzinationen nachzuweisen, müssen Dijkstra und andere Forschende zunächst testen, ob die Stimulation des Gyrus fusiformis dafür sorgt, dass Menschen etwas für realer oder weniger real halten. »Das ist technisch sehr schwierig und daher ein langfristiges Projekt. Aber wir haben vor, es anzugehen«, sagt Dijkstra.

Die Forschenden wollen auch verstehen, ob die Plausibilität einer Vorstellung für die reale Welt die Aktivität in diesem Gehirnkreislauf beeinflusst. »Wir alle haben ein Modell dessen, was in der realen Welt wahrscheinlich ist und Sinn ergibt, das vermutlich auch in diesen Entscheidungsprozess einfließt«, sagt Dijkstra. »Wenn man sich einen rosafarbenen Elefanten sehr, sehr lebhaft vorstellt, wird man ihn wahrscheinlich trotzdem nicht für real halten, weil es keine rosafarbenen Elefanten gibt.« Der Kontext ist entscheidend: Ein Elefant in Ihrem Wohnzimmer ist im vergleich nur ziemlich unwahrscheinlich, ob er nun rosa ist oder nicht. »Wir untersuchen aktuell, wie der Kontext unsere Wahrnehmung beeinflusst«, sagt Dijkstra. »Das ist definitiv ein wichtiger Faktor.«

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