Wald und Klima: Neue Bäume braucht das Land
Zweige knacken unter den Füßen, bei jedem Schritt raschelt es. Moos polstert Stämme und Äste, die kreuz und quer auf dem Boden liegen. Totholz voller Risse und Ritzen, in denen Käfer krabbeln und neues Leben keimt. »Die Buche dort lebt zwar noch«, sagt Winfried Lappel und zeigt auf einen Baumveteranen neben dem Weg, »aber die ist jetzt in der Zerfallsphase.«
Beim Urwaldprojekt im Saarkohlenwald nördlich von Saarbrücken dürfen sich gut 1000 Hektar natürlich entwickeln. Das bedeutet: Seit einem Vierteljahrhundert greift der Mensch nur so weit ein, dass keine Bäume auf Passanten stürzen. Lappel hat diesen Urwald vor den Toren der Stadt eine Weile als Förster betreut. Dann setzte er sich im saarländischen Umweltministerium dafür ein, die Wälder im Bundesland bestmöglich für den Klimawandel zu wappnen. Jetzt ist er im Ruhestand.
Östlich des Netzbachs blickt man kaum 20 Meter weit. »Hier zeigt sich, wo es mit dem Urwald mal hingeht«, sagt der Förster und Umweltwissenschaftler, »Wirtschaftswald wäre viel lichter.« Doch nicht überall war der Wald schon so reif, als er aus der Nutzung ging. Jungwald und schwaches Baumholz, Fachjargon für 20 bis 25 Meter hohe Bestände, stehen auf über zwei Dritteln der Fläche. Solche Naturwaldzellen sind aufschlussreich: Im Vergleich zum Wirtschaftswald zeigt dort die Natur, wie sie Probleme löst.
Der Wald erneuert sich selbst
Lappel nennt ein Beispiel: 2018 starben 15 Hektar Küstentannen (Abies grandis) ab. »Durch einen Schädling, der in dieser Form noch nie aufgetreten ist«, sagt er. »Teils standen die Bäume über einen Kilometer auseinander, aber der Krummzähnige Tannenborkenkäfer (Pityokteines curvidens) hat sie alle gefunden.« Die toten Tannen liegen heute noch dort. Dazwischen kommt aber neuer Wald auf, er besteht aus Bergahorn (Acer pseudoplatanus). Lappel sagt: »Was wir da sehen: wie die Natur eine Baumart, die unter aktuellen klimatischen und ökologischen Bedingungen ratzfatz verschwunden war, durch eine ersetzt, die offensichtlich besser angepasst ist an höhere Temperaturen und weniger Regen.«
Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA) in Göttingen und Hannoversch Münden erforscht seit fünf Jahrzehnten systematisch, wie sich Naturwälder regenerieren. »Insbesondere im Klimawandel ist es relevant, die eigendynamische Entwicklung unserer Wälder besser zu verstehen«, sagt Peter Meyer. Er leitet dort die Abteilung Waldnaturschutz und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik der Bundesregierung.
Seine Beobachtung: Wälder, die sich unbeeinflusst wiederbewalden, sind unempfindlicher gegenüber Störungen. In einem Mosaik aus verschiedenen Baumarten unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Höhe zeigen sich die einzelnen Exemplare weniger anfällig gegenüber Windwürfen oder Schädlingen. Für Meyer liegt darin ein Schlüssel der Waldentwicklung.
Dass Wald zurückkommt, ist für ihn gewiss. Fallweise könne es zwar durchaus dauern, bis sich wieder ein geschlossener Bestand gebildet habe. Oder es wüchsen andere Baumarten, als man sich aus wirtschaftlicher Sicht wünsche. Anders als der Urwald bei Saarbrücken, der sich wie knapp drei Prozent unserer Wälder unbeeinflusst entwickeln darf, soll der Löwenanteil liefern: Zirka 80 Millionen Kubikmeter Holz holen die zwei Millionen Eigner jährlich aus ihren Forsten. Gut eine Million Menschen sind damit beschäftigt, es zuzusägen, damit zu bauen, Papier herzustellen und es zu bedrucken. Dabei erwirtschaftet der Bereich Forst und Holz gut 58 Millionen Euro, etwa drei Prozent der deutschen Wirtschaftskraft.
Für die Fichte sieht es schlecht aus
Wer also seine Stämme in Euro und Cent aufrechnet, wird sich fragen: Schön und gut, dass der Wald sich widerstandsfähiger aufbaut als zuvor, aber soll ich Jahrzehnte auf Einnahmen verzichten? »Das ist eine andere Perspektive«, gibt Meyer zu bedenken. »Mittlerweile muss man vielleicht Abstriche dabei machen, wie viel Holz ein Wald bereitstellt, und überhaupt erst mal sicherstellen, dass weiter einer wächst.«
Auf 10,7 Millionen Hektar, knapp 30 Prozent der Landfläche, wächst hier zu Lande Wald. Tendenz fallend. Der jüngste Waldzustandsbericht offenbarte: Vier von fünf Bäumen kränkeln. Auf 500 000 Hektar starb die Fichte (Picea abies) seit 2018, eine Kahlfläche fast doppelt so groß wie das Saarland! Jahrelang war das der »Brotbaum« deutscher Forstwirtschaft: Er wächst schnell, ist beliebt im Sägewerk und liefert gutes Bauholz. Obwohl die Fichte nur ein Viertel der Wälder ausmacht, stellt sie über die Hälfte des nachwachsenden Rohstoffs hier zu Lande.
Auch im Urwald im Saarkohlenwald musste Lappel seit 2018 zuschauen, wie die Schäden sprunghaft zunahmen. »In dem Ausmaß kannten wir das eigentlich nur nach dem Zweiten Weltkrieg«, sagt er. Nachkriegsdeutschland brauchte Bau-, Brenn- und Grubenholz. In die Lücken der Reparationshiebe pflanzte man reihenweise Nadelbäume: Fichten-Monokulturen und auf sandigen Böden wie in Brandenburg die Kiefer. Bis heute dominieren sie einen großen Teil der Flächen: Mit diesen beiden Arten würde etwa die Hälfte unseres Waldes verschwinden.
»Mittlerweile muss man vielleicht Abstriche dabei machen, wie viel Holz ein Wald bereitstellt, und erst mal sicherstellen, dass weiter einer wächst«Peter Meyer, Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt
In tiefen Lagen werde die Fichte bei uns aussterben, prognostiziert Lappel. Höchstens auf flachgründigen Felsböden oberhalb von 800 Metern habe sie noch Chancen. Der Flachwurzler kommt nur im Oberboden an Wasser, dieser Bereich trocknet jedoch zuerst aus. Fichtenfeind Nummer eins, der Borkenkäfer, liebt hingegen Wärme, vermehrt sich massenhaft in der Rinde und kappt damit dem durstleidenden Baum die Nährstoffleitung. Wenn sich nicht Schädlinge durch die hitze- und dürregeplagten Bestände fressen, dann gehen die Bäume in Flammen auf oder der nächste Starksturm wirft sie um.
Was wächst in Zukunft noch?
Solch dicht gepflanzte Holzäcker, wie sie nach dem Krieg in Deutschland üblich wurden, sterben nun großflächig ab. Dagegen halten Laubmischwälder aus mehreren Baumarten unterschiedlichen Alters Störungen besser stand, da ist sich die Fachwelt einig. Angepflanzte Arten sollen – anders als nach dem Krieg – zu Boden, Wasserhaushalt und Mikroklima am Standort passen. Wo es riesige Fichtenplantagen dahingerafft hat, besteht die Gefahr, dass wieder nur Fichten aufkommen. Hier müssten andere Arten die natürliche Wiederbewaldung ergänzen. Etwa Eichen oder Tannen, die ihre Pfahlwurzeln bis zu zwei Meter tief in den Boden schieben und dort noch Wasser erreichen. Doch mit dem Klima werden sich auch die Standortbedingungen wandeln.
Was würde dann gut bei uns wachsen? Diverse computersimulierte Klimaszenarien sagen voraus, wie das natürliche Pflanzenkleid hier in 50 Jahren aussehen könnte. Diese so genannte potenziell natürliche Vegetation hilft, standortgerechte Baumarten zu finden. Für eher pessimistische Annahmen prognostizieren die Modelle: Besser als heutige Buchen- oder Eichen-Hainbuchen-Wälder sind mediterrane Flaumeichenwälder angepasst – also Arten, die momentan 500 bis 1000 Kilometer weiter südlich vorkommen.
Manche Bundesländer erproben schon seit rund zehn Jahren, wie sich mögliche alternative Baumarten auf Versuchsflächen bewähren. Das bedeutet einen sehr großen Aufwand, wobei man zunächst wenige viel versprechende aus einer Unmenge von Kandidaten herausfischen muss. Da lohnt es sich auch, altes Wissen auszugraben. Eine forstliche Bund-Länder-Arbeitsgruppe ermittelte anhand von Versuchsergebnissen, Publikationen und Expertenerfahrung 101 aussichtsreiche Baumarten.
Auf neun davon sollte sich die Forschung demnach konzentrieren, diese auf einem möglichst breiten Spektrum an Standorten pflanzen und beobachten. Darunter befinden sich fünf heimische, aber seltene Arten, über die man noch nicht so viel weiß: Hainbuche (Carpinus betulus), Elsbeere (Sorbus torminalis), Winterlinde (Tilia cordata), Spitzahorn (Acer platanoides) und Flaumeiche (Quercus pubescens). Dazu hält die Expertengruppe drei europäische Arten für besonders interessant: Nordmanntanne (Abies nordmanniana), Orientbuche (Fagus orientalis) und Baumhasel (Corylus colurna). Als außereuropäischen Vertreter empfiehlt sie über die Atlas-Zeder (Cedrus atlantica) Daten zu erheben.
Die Mischung macht’s
Fünf Arten kamen schon vor langer Zeit von anderen Kontinenten zu uns. Bislang fügten sie sich gut ein. So trauen Forstleute ihnen zu, heimische Baumarten zu ergänzen oder zu ersetzen: neben Douglasie (Pseudotsuga menziesii), Roteiche (Quercus rubra), Robinie (Robinia pseudoacacia) und Japanischer Lärche (Larix kaempferi) auch jene Küstentanne (Abies grandis), die in Lappels Revier allerdings der Krummzähnige Tannenborkenkäfer niederstreckte.
Doch zunächst zielt die Waldbaustrategie auf heimische Baumarten ab. Wo mit diesen das Anpassungsziel eines stabilen Waldes nicht erreicht werden kann, sollten möglichst nahe Verwandte aus angrenzenden Regionen, etwa Zerreiche (Quercus cerris), Türkische Tanne (Abies bornmülleriana) oder Esskastanie (Castanea sativa), zum Zuge kommen. In der Hoffnung, dass zum Erhalt der Artenvielfalt möglichst viele der Organismen, die bisher an Stiel-, Traubeneiche (Quercus robur, Q. petraea) und Weißtanne (Abies alba) leben, künftig ebenso auf der etwas entfernteren Sippschaft siedeln.
Vielleicht behaupten sich unsere Hauptbaumarten aber auch weiterhin: beispielsweise wenn eine junge Buche von einem Exemplar aus Italien oder anderen südeuropäischen Regionen abstammt, wo die Pflanzen schon lange aushalten, dass es trocken und warm ist. Eine gewisse genetische Anpassung würde so direkt in unsere Wälder verpflanzt.
Um aufzuzeigen, welche Baumart sich wo wie gut eignet, hat Baden-Württemberg Baumarteneignungskarten entwickelt. Für verschiedene Klimaszenarien, die mittlere – 2021 bis 2050 – und die ferne Zukunft – 2071 bis 2100 – haben Fachleute Kartierungen mit Prognosemodellen oder Einschätzungen zu vielen Faktoren kombiniert, etwa Wasserhaushalt und Boden, Risiko durch Sturm und Schädlinge, Konkurrenz und Wuchsleistung. Derartige länderspezifische Modelle vergleicht das Projekt »MultiRiskSuit«. Bis 2027 wollen die Projektpartner daraus die Chancen für heute wichtige Baumarten und Mischungen besser abschätzen.
Generationswechsel im Wald
Dass durch die Trockenheit reihenweise Bäume absterben, beschleunigt den Generationswechsel. Peter Meyer sieht darin durchaus Positives: Wald könne ja nicht wandern. Da sei es ökologisch naheliegend, dass unsere Waldbaumarten eine hohe genetische Vielfalt in sich tragen, um allen Widrigkeiten im Lauf ihres langen Lebens gewachsen zu sein. »Man darf nicht nur die alten Bäume zum Maßstab nehmen«, sagt er. »Es kann sein, dass sich der Nachwuchs über Auslese von Individuen anpasst, die eher mit Trockenheit zurechtkommen.«
85 Prozent unserer Wälder verjüngen sich von selbst, also ohne dass Forstbetriebe aussäen oder Setzlinge pflanzen. Diese hohe Rate sehen Experten kritisch, weil sich das Klima zu schnell für eine genetische Anpassung ändere. Sie plädieren dafür, Bäume jünger zu ernten, damit die natürliche Auslese pro 150 Jahre nicht nur einmal, sondern dreimal stattfindet.
Vieles wissen wir auch noch gar nicht, etwa: Wie greifen all die Faktoren ineinander, die entscheiden, welche jungen Bäume groß werden? Wann stirbt ein Baum warum? Projekte wie das »Kranzberg Forest Roof Experiment« (KROOF) der Technischen Universität München und des Helmholtz-Zentrums München setzen beispielsweise Buche, Fichte und Kiefer kontrolliert unter existenzbedrohenden Trockenstress, um Antworten darauf zu finden. So sieht Meyer die Prognose bei der Buche (Fagus sylvatica) gar nicht so düster. Aus wissenschaftlicher Sicht hält er nur Absterberaten für aussagekräftig für die Zukunft von Baumarten, nicht aber zum Beispiel Laubverlust.
Die drei Schadstufen vor dem Tod, anhand derer man den Zustand des Waldes bewertet, richten sich danach, wie viel Prozent weniger Laub ein Baum trägt. Möglicherweise wirft er Blätter ab oder produziert weniger, damit er nicht so viel Wasser verdunsten muss. »Das wäre Anpassung, eine kluge Reaktion«, sagt Meyer. »Es kann aber auch sein, dass er geschwächt ist und im nächsten Jahr abstirbt.« Laubbäume sterben jedoch in deutlich geringerem Maß als Nadelbäume.
»Vielleicht sollten wir entspannter mit der Wiederaufforstungspflicht umgehen. Eigentlich ist es toll, dass die Natur so viele verschiedene Varianten durchspielt«Peter Meyer, Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt
Bei einem weiteren Kriterium stehen Nadelbäume ebenfalls schlechter da. Friedrich Bohn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung hat modelliert, wie gut unser Wald unter drei verschiedenen Klimaszenarien langfristig Kohlenstoff bindet: Sowohl bei sehr niedrigem, bei mittlerem und bei sehr hohem Treibhausgasausstoß speichern Laubwälder den meisten Kohlenstoff. Zudem finden darin mehr Arten Lebensraum, und unter ihnen bildet sich mehr neues Grundwasser.
Die Funktionen des Waldes sollen erhalten bleiben
Wie artenreiche Laubmischwälder künftig aber konkret aussehen, hängt nicht nur von Standortfaktoren und Klimaprognose ab. Bohn betont, wichtig sei zudem das Ziel ihrer Bewirtschaftung. Wie dicht Forstleute pflanzen, auflichten oder Rückegassen für schwere Maschinen durch ihr Revier treiben, folgte bislang überwiegend einem Leitbild: möglichst viele Festmeter Holz zu ernten.
Doch Wald leistet mehr, als Holz zu liefern: Er produziert Sauerstoff, filtert Schadstoffe aus der Luft, kühlt an heißen Tagen, stellt Trinkwasser bereit, hält den Boden mit seinen Wurzeln fest, schützt vor Lawinen und Muren, beherbergt Tiere, Pflanzen, Pilze und lässt uns mal tief durchatmen. Nicht zuletzt binden Biomasse, Waldboden und Totholz 2,6 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Mit jährlich 62 Millionen Tonnen Kohlendioxid kompensiert Wald etwa neun Prozent der in Deutschland ausgestoßenen Treibhausgase.
Von solchen Ökosystemleistungen profitieren wir – einzeln und als Gesellschaft. Um all diese auch bei verändertem Klima langfristig zu wahren, braucht es stabile Wälder. Damit sie sich von den Trockenjahren 2018 und 2019 erholen, wurde vielerorts weniger oder gar nicht mehr geschlagen. Gemeinden fangen an, Entwässerungsgräben zu verschließen, damit Regenwasser wieder in den Waldboden sickert. Gut wäre es, wenn weniger Hirsche und Rehe am Jungwuchs knabberten und ihn so beschädigten oder zerstörten. Zudem gilt naturnähere Bewirtschaftung mit mehr Totholz und weniger schwerem Gerät im Wald als wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Widerstandskraft.
Holzproduktion bleibt wichtig, vor allem als nachwachsender Rohstoff – Bauelemente oder Möbel binden langfristig Kohlenstoff. Aber das ist eben nur eines von mehreren Zielen. Damit viele jener Privatleute, denen knapp die Hälfte aller deutschen Wälder gehören, diesen Paradigmenwechsel mitgehen, will die Bundesregierung gesellschaftsdienliche Waldfunktionen angemessen entlohnen.
»Vielleicht sollten wir auch entspannter mit der Wiederaufforstungspflicht umgehen«, findet Meyer. »Eigentlich ist es toll, dass die Natur so viele verschiedene Varianten durchspielt.« Bei Erntezyklen von 120 bis 140 Jahren die Entwicklung vollständig zu kontrollieren, hält er für illusorisch. »Je nach Zielsetzung sollte man entscheiden, wo es sinnvoller wäre, die Natur mehr walten zu lassen«, sagt er. »Denn das einzig Sichere am Klimawandel ist die Unsicherheit.«
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