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Welthandel: Wall Street dürstet nach Wasser

Getreide, Rohöl, Wetteraussichten - an heutigen Börsen wird alles gehandelt. Ist Wasser der nächste Kandidat? Frederick Kaufman von der City University of New York schildert, warum das nicht passieren sollte.
Brunnenwasser

Anfang letzten Jahres beschrieb ich in einem Artikel in "Foreign Policy", wie die Investoren der Wall Street vom Hunger profitieren. Ich erzählte die Geschichte der Nahrungsmittelspekulation nach und schilderte, wie die Preise für Mais, Soja, Reis und Weizen in den letzten fünf Jahren gleich dreimal Rekordmarken setzten. Ich untersuchte den Einfluss des Klimawandels und der Nachfrage an Biotreibstoffen auf den Getreide-Weltmarkt und führte aus, wie heute Finanzderivate von Investmentbanken das System globaler Nahrungsmittelpreise untergraben, von dem einst Bauern, Bäcker und Verbraucher profitierten.

Diese Agrar-Indexfonds zerstörten erfolgreich die traditionelle "Preisfindung" an den Getreidebörsen in Chicago, Kansas City und Minneapolis. Sie verwandelten diese Märkte in Profitmaschinen für Banken und Hedgefonds, während sie den Preis für unser tägliches Brot immer weiter in die Höhe trieben [1].

Seit Jahren wird eine Regulierung der globalen Agrarderivate in Aussicht gestellt, doch nichts passiert. In Washington D. C. haben der Missbrauch von Gütermärkten und andere Mauscheleien ein 30 000 Seiten umfassendes neues Gesetz hervorgebracht: den Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act von 2010. Wie zu erwarten war, wurde die Umsetzung dieser Vorschriften vor Gericht angefochten und zunächst eingefroren. Selbst wenn dieses Gesetz einst in die Praxis umgesetzt werden sollte, so wird es jede Menge Sonderregelungen für die größten Banken geben.

Was geht als Nächstes an die Börse?

Daher macht es Sinn zu überlegen, welche Ressource wohl als Nächstes auf der Derivateliste erscheinen dürfte. Was könnte noch katastrophaler sein, als auf die Weltnahrungsversorgung zu wetten? Wie wäre es mit Wasser?

An der Börse in Chicago können Spekulanten bereits mittels wetterbezogener Zukunftskontrakte auf Schnee, Wind und Regen wetten. Der Marktwert von Wetter wuchs von 2010 bis 2011 um 20 Prozent. Noch ist der Sektor klein – magere 11,8 Milliarden US-Dollar. Doch die Wetter-Futures zeigen, wie sehr die Wall Street danach giert, Mutter Natur zur Mutter aller Kasinos zu machen.

Vertrocknetes Maisfeld | Im Sommer 2012 ließ eine schwere Dürre die Futterpreise derart steigen, dass Bauern ihre Kühe mit Süßigkeiten fütterten.

Manche Umweltschützer argumentieren, dass ein Preis für Wasser die beste Methode wäre, die Süßwasservorräte der Erde zu schützen: Je teurer, desto weniger wird es verschwendet. Eine solche Finanzialisierung von wertvollen Ressourcen ist Thema von The Economics of Ecosystems and Biodiversity (TEEB), einer internationalen Initiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, unterstützt von der Europäischen Kommission, Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Norwegen, Schweden und Japan. TEEB will die Werte von Ökosystemen in Zahlen fassen, bis hin zu den letzten Billionen Dollar, Rial oder Renminbi. Und dann ist da noch die PES-Bewegung -"Payment for Ecosystem (oder Environmental) Services", Bezahlen für Ökosystemdienstleistung, bezogen auf die Luft, die wir atmen, oder das Wasser, das wir trinken. Zu den vielen Unterstützern dieses Ansatzes gehören die Weltbank und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Der TEEB-Bericht von 2010 fasst es so in Worte: "Unser heutiger Fokus ist marktwirtschaftlich geprägt: Die Produkte für unser Wohlergehen stammen von Märkten, und wir verlassen uns beinahe vollständig auf Marktpreise, um einen Wert zuzuweisen. Wirtschaftliche Werte erfassen wir daher nur, wenn sie in der uns vertrauten Weise auf Märkten gehandelt werden."

Der Erfolg der Wall Street mit Nahrungsmittelspekulation, das Unvermögen Washingtons, die globalen Derivate zu kontrollieren, und der Vorstoß, natürliche Ressourcen durch TEEB und PES mit finanziellem Wert zu belegen, all dies vereinigte sich in einem Brennpunkt, als diesen Sommer Dürre die Vereinigten Staaten heimsuchte. Gefolgt von einer Reihe düsterer Vorhersagen zur Lage der Umwelt sowie der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung: Im Jahr 2035 würden drei Milliarden Menschen unter mangelnder Trinkwasserversorgung leiden, Wasserknappheit werde zur Regel, Waldbrände würden noch größere Gebiete zerstören, der Monsun werde noch schlechter vorhersagbar, und die Schneeschmelze werde immer geringer dank wärmerer Winter.

Gleichzeitig wird Wasser immer wichtiger für zunehmend mehr Industriezweige, von Wasserkraft und Fracking bis hin zum Bierbrauen und der Halbleiterherstellung. Hydrologen mahnen, dass in Asien die Grundwasserspiegel sinken. Politikwissenschaftler warnen, dass es zu Auseinandersetzungen über Wassernutzungsrechte im Himalaja kommen wird, und jeder Brunnenbohrer in Nebraska weiß, dass sich der Ogallala-Aquifer unter Teilen des Mittleren Westens Besorgnis erregend rasch absenkt.

Die resultierenden Aussichten sind düster: zerstörte aquatische Ökosysteme, Aussterben unzähliger Arten und das Risiko regionaler und internationaler Konflikte – die gefürchteten "Wasserkriege" des 21. Jahrhunderts. Was wird Ägypten tun, wenn Äthiopien den Blauen Nil aufstaut? Was geschieht, wenn der Jemen als erstes Land kein Wasser mehr hat? Die kurze Antwort: nichts Gutes.

Profitable Katastrophenstimmung

Investoren aller Couleur lieben Katastrophenstimmung: Inmitten von Gewalt und Chaos lässt sich trefflich Geld verdienen. Heutzutage stammt der größte Profit nicht aus Geschäften mit handfesten Waren (wie Häusern, Weizen oder Autos), sondern aus Manipulationen von nebulösen Konzepten, die auf Risiken und Schulden anderer beruhen. Die Gelder fließen aus Finanzinstrumenten, die sich von der realen Welt entfernt haben.

Eine Investition in einen Wasser-Indexfonds ist aktuell beliebter denn je. Es gibt mehr als 100 Indexfonds, die den Aktienwert von Unternehmen im Wasserressort (wie Abwasserbehandlung oder Entsalzung) verfolgen und messen [2]. Einige bieten gute Renditen.

Inmitten von Gewalt und Chaos lässt sich trefflich Geld verdienen

Dementsprechend haben die Weltbank und der Internationale Währungsfonds – immer auf der Suche nach marktwirtschaftlichen Sicherheiten für ihre milliardenschweren Kredite – die unterstützten Länder gedrängt, ihre Ressourcen zu privatisieren. Dazu zählen die Seen, Flüsse und Reservoire von Argentinien, Bolivien, Ghana, Mexiko, Malaysia, Nigeria und den Philippinen (siehe z. B. go.nature.com/u. Es gibt keine bessere Garantie für wirtschaftlichen Erfolg als multinationale Unternehmen, die aus etwas Kapital schlagen wollen, das lebensnotwendig ist.

Und so kristallisierte sich diesen Sommer, als das Getreide von der Ukraine bis Kansas verdorrte und Milchbauern ihren Kühen Süßigkeiten verfütterten, eine neue Erkenntnis heraus: Das nächste Spekulationsobjekt wird weder Gold noch Getreide noch Öl sein. Wasser ist der nächste Kandidat. Nutzbares Wasser.

Es mag nett sein, Anteile von börsennotierten Unternehmen zu sammeln, und Wasser dürfte sicher gut vorhersehbare Profite bieten, aber wäre es nicht viel effizienter, es direkt in einen Barwert zu übersetzen? Genau wie bei Gold und Getreide sollte es dafür einen Rohstoffmarkt geben, so heckten die Spekulanten und Hedgefonds-Betreiber aus – eine Terminbörse, an der Wasserlieferungen zu einem festgelegten Datum in der Zukunft wie Barmittel gehandelt werden könnten.

In gewissen Aspekten ist Wasser ein guter Kandidat für solche Geschäfte. Zunächst einmal ist es leicht austauschbar: Die aus einem Fluss oder See gepumpte Menge entspricht weit gehend dem, was aus Eisbergen, Grundwasserleitern oder einer Regentonne gewonnen wird. Und es ist leicht verfügbar: Wasser ist global. Flussmanagement ist für den Volta ebenso ein Thema wie für den Senegal [3]. Aus Geldsicht spielt es keine Rolle, ob es um Spaniens Guadalquivir, die französische Rhone, den Niger oder den Sacramento in Kalifornien geht.

Finanzexperten gehen davon aus, dass nutzbares Wasser – ähnlich traditionellen Gütern wie Schwermetalle – in Zukunft so selten wird, dass es gewonnen, verpackt und, besonders wichtig, weltweit gehandelt werden muss. Und sie wissen, dass der Bedarf nicht nachlässt. Darauf beruht das Vertrauen in eine globale Terminbörse für Wasser.

Nasses Gold

Das Jahr 1996 markiert einen Dammbruch in der Geschichte von Wasser und Geld. Das Wasser aus den kalifornischen Westlands ermöglicht Ernteerträge von geschätzt einer Milliarde US-Dollar pro Jahr, mit 2000 Quadratkilometern ist es das größte landwirtschaftlich genutzte Einzugsgebiet in den Vereinigten Staaten. 1996 führte die Verwaltung ein elektronisches Schwarzes Brett ein, mit dessen Hilfe die Bauern von zu Hause aus Wassernutzungsrechte kaufen und verkaufen konnten. Wassernutzungsrechte per Laptop zu handeln, ist inzwischen gang und gäbe, ganz wie bei anderen Gütern, die früher nur in den Markthallen von Chicago oder Kansas City ver- und gekauft werden konnten und die nun von promovierten Mathematikern an Hedgefonds in Connecticut gehandelt werden. Wenn Wasser ein börsennotiertes Derivat wird, befindet es sich in Gesellschaft mit Rohöl, Treibstoff und Sojaöl – und wird jederzeit überall von jedermann gehandelt.

Um Wasser zu Geld zu machen, muss es einen Preis zugewiesen bekommen, der überall gilt, quer über alle Kontinente. Diejenigen in Mumbai oder Manhatten, die den steigenden Wert von Wasser in der Weltwirtschaft erkennen, werden auf dieses zu niedrig bewertete "Kapital" setzen, und ihre Investitionen werden die Kosten überall hochtreiben. Eine Wasserkatastrophe in China oder Indien – gefolgt von Nahrungspreisinflation, politischer Instabilität und humanitärer Krise – wird sich in Preisspitzen von London bis Sydney widerspiegeln. So profitieren Banker.

Ökonomen haben bereits begonnen, ein Modell von einer globalen wasserbasierten Terminbörse zu entwerfen, mit allen Finessen. Anbieter von Hochwasserschutzversicherungen werden mit Sicherheit Interesse an Anteilen haben, die ihr finanzielles Risiko mindern. Tatsächlich wird wahrscheinlich jedes Unternehmen, das in Überflutungsgebieten sitzt, teilnehmen. Bauern wollen ihre Wetten absichern, dass es regnet oder nicht regnet, wie auch Fracker und Fischer. Wie bei den Spekulanten wissen wir, wer sie sein werden.

Momentan handelt niemand Wasser-Termingeschäfte, doch es braucht nur einen kleinen Auslöser, um den Markt zum Leben zu erwecken. Als der Staat Texas auf Grund der Trockenheit einen wirtschaftlichen Schaden von zehn Milliarden US-Dollar erlitt, theoretisierten Akademiker, wie sich das Wasser des Rio Grande für Futures umsetzen ließe [4]. Als letztes Jahr die Überflutungen in Thailand einen Verlust von 46 Milliarden US-Dollar verursachten, untersuchte Thailands Börsenaufsicht die Möglichkeit, Finanzderivate zu Regenfällen und den Wasserstand in Stauseen aufzusetzen. Der Halbleiterhersteller Intel wäre womöglich interessiert gewesen – Produktionsstopps auf Grund von Schlamm und Dreck vor Ort hatten das Unternehmen bis zu einer Milliarde US-Dollar gekostet.

Ein wirklich globaler Markt für Wasser-Termingeschäfte muss allerdings warten, bis es ein allgemein anerkanntes Maß für Wasserstress gibt. Bis dahin werden Wasser-Futures lokal beschränkt bleiben, basierend auf lokalen Risikoabschätzungen. Im dürregeplagten Australien beispielsweise könnte sofort jedes indexbasierte Termingeschäft an der Sydney Futures Exchange starten. In den Bezirken Medinipur und Tumkur in Westbengalen und Karnataka in Indien, wo der Monsun immer weniger vorhersagbar ist, wurde bereits das Konzept für eine südasiatische Wasser-Terminbörse entwickelt, die an der Börse von Indien in Delhi angesiedelt wäre [5].

Noch aufzuhalten?

Solche Termingeschäfte werden von den unberührten Flüssen bis hin zu Kläranlagenabflüssen reichen. Schweizer Börsentheoretiker haben erste Schritte gemacht in Richtung Wasser-Futures von Klärschlamm. Das Team nennt sein Konzept einen ethischen Wasser-Futures-Markt. Meiner Ansicht nach ist es eine Finanzplattform, um Brauchwasser an den Meistbietenden zu verhökern.

In jedem Fall werden diese Terminkontrakte aus der Bewertung relativer Wasserknappheit oder -fülle hervorgehen, basierend auf einem Index von Wasserständen in Staubecken, durchschnittlichen Niederschlagsmengen oder anderen Indikatoren und Prädiktoren. Letztendlich wird dieses Finanzinstrument dieselben grundlegenden Strukturen haben wie die Indexfonds, die ungeahnte Spekulation am globalen Getreidemarkt gebracht haben und stärkere Preisschwankungen – Schwankungen, die Termingeschäfte ursprünglich dämpfen sollten. Wenn dereinst die Erdgasindustrie mehr Geld für Wasser zahlen kann als die Sojabauern, dann werden die Gasförderer das Wasser bekommen und nicht die Bauern.

Die Folgen einer globalen Wasser-Terminbörse sind kaum vorzustellen. Eins ist klar: Wetten auf Wasser werden Felder dursten lassen und die globalen Nahrungsmittelpreise noch weiter in die Höhe treiben als die Höchststände der letzten fünf Jahre.

Die Folgen einer globalen Wasser-Terminbörse sind kaum vorzustellen

Die gute Nachricht ist: Anders als bei der fehlgeschlagenen Regulierung der Nahrungsmittelspekulation kann im Fall des Wassers noch Einhalt geboten werden. Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie man Wasser auch außerhalb des klassischen Gütermarkts mit einem Wert belegen kann. Eines der besten Beispiele stammt aus dem Ruhrgebiet. Hier regelt keine unsichtbare Hand des Markts die Ressourcen, sondern der Ruhrverband. Die betroffenen Städte, Landkreise, Industrien und Unternehmen sind durch Delegierte vertreten. Insgesamt 543 Interessenvertreter verhandeln über Wasser- und Abwassergebühren. Das mag unübersichtlich sein, aber es funktioniert – so ist das eben in einer Demokratie.

Es gibt kein Allheilmittel für den Weltwasserbedarf, am wenigsten das internationale Derivategeschäft: Es hat bei hypothekarisch gesicherten Wertpapieren gezeigt, dass ihm nicht zu trauen ist, umso weniger ist es für unsere wertvollste Ressource geeignet. Es besteht überhaupt kein Anlass, eine Terminbörse für Wasser ins Leben zu rufen, nur um noch mehr finanziellen Wahnsinn zu erzeugen, der jeglicher Regulierung widersteht. Lasst uns dieses eine Mal das Geschäft beenden, bevor es begonnen hat.

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  • Quellen
[1] http://arxiv.org/abs/1109.4859, 2011
[2] The Guardian, 8. August 2010
[3] Global Water Partnership & International Network of Basin Organizations: A Handbook for Integrated Water Resources Management in Basins (GWP/INBO), 2009
[4] Brookshire, D. S., Gupta, H. V., Matthews, O. P. (eds): Water Policy in New Mexico (RFF Press Water Policy Series), 2011
[5] Commodity Vision 4, S. 8–18, 2010

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