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Zeitrechnung: Stonehenge war womöglich ein Sonnenkalender

Lange ist bekannt: Das berühmte Monument war auf die Sonnenwenden ausgerichtet. Nun behauptet ein Forscher, dass die Steine von Stonehenge auch Kalendertage markierten.
Die 4500 Jahre alte Anlage von Stonehenge.

Stonehenge ist nicht nur eines der berühmtesten, sondern auch eines der rätselhaftesten Monumente der Vergangenheit. Sicher ist jedoch, dass sich die Positionen der tonnenschweren Sarsensteine an den Sonnenwenden orientieren. Welchen Zweck Stonehenge damit im 3. Jahrtausend v. Chr. erfüllte, ist wiederum nicht eindeutig geklärt. Zu den häufigsten Vorschlägen der Forschenden zählen: Ein Sonnenheiligtum, ein Begräbnisplatz – es gibt dort auch jungsteinzeitliche Bestattungen – oder ein Kalender. Für die Kalenderthese macht sich nun Timothy Darvill von der Bournemouth University stark. Wie er im Fachmagazin »Antiquity« beschreibt, würden die riesigen Sarsenblöcke die Tage eines Monats, aufgeteilt in drei Wochen à 10 Tagen, und ein Jahr mit 365,25 Tagen markieren. Darvills These ist schlüssig, überzeugt aber nicht in Gänze.

Stonehenge im Süden des heutigen England war in mehreren Phasen errichtet worden. Anfangs um 3000 v. Chr. hoben die Menschen einen runden Graben mit einem Durchmesser von 110 Meter aus und legten dahinter einen Erdwall an. Entlang des Walls stellten sie womöglich die so genannten Blausteine auf. Diese kleineren Blöcke aus Doleritgestein stammen aus den walisischen Preseli-Bergen, mehr als 250 Kilometer entfernt von Stonehenge.

Dann um 2500 v. Chr. arrangierten die Menschen die Anlage neu. Sie schafften durchschnittlich 20 Tonnen schwere Monolithe aus dem Sandstein Sarsen herbei. Und zwar aus derselben Lagerstätte unweit von Stonehenge in West Woods, wie Forschende 2020 herausfanden. Die Sarsen stellten sie als Rund aus 30 Blöcken auf, auf denen weitere 30 Steine als Sturz ruhten. Innerhalb dieses 30 Meter messenden Kreises errichteten sie zudem ein Hufeisen aus fünf solcher Rahmen oder Trilithen – über zwei aufrecht stehenden Blöcken liegt ein Sturzblock. Zwischen diesen Konstruktionen waren die Blausteine neu in einem Kreis und in einer Hufeisenform aufgestellt worden. Außerdem liegen im Umfeld der Steinformationen noch weitere Blöcke, etwa die vier Stationssteine, die ein Rechteck bilden.

Der Stonehenge-Kalender | Oben ist die von Timothy Darvill vermutete Kalenderzählung eingetragen: Jeder Sarsenstein entspricht einem Tag, eine Woche besteht aus zehn Tagen, das gesamte Jahr aus zwölf Monaten und 365,25 Tagen – wenn die Trilithen im Zentrum als Zusatztage gerechnet werden. Unten ist die Einteilung des tropischen Jahrs dargestellt: Es gibt zwei Jahreshälften, das Neujahr war zur Wintersonnenwende. In Darvills Plan fehlen allerdings die Positionen der Blausteine!

Seit Langem wissen Forschende, dass die Hauptachse des Monuments von Südwesten nach Nordosten verläuft. Im Nordosten befindet sich der Zugang zum großen Sarsenrund, der durch die »Avenue«, einem Prozessionsweg, markiert ist. Entlang dieser Hauptachse lässt sich zu zwei Zeitpunkten im Jahr der Sonnenaufgang beziehungsweise der Sonnenuntergang beobachten: im Nordosten während der Sommersonnenwende im Juni – und im Südwesten während der Wintersonnenwende im Dezember.

Diente Stonehenge als komplexer Sonnenkalender?

Stonehenge hatte somit einen solaren Bezug. Timothy Darvill geht nun einen Schritt weiter. Der Archäologe erkennt in dem Monument einen komplexen Sonnenkalender, der sich aus dem äußeren Sarsenrund und dem inneren Hufeisen aus Trilithen zusammensetzt. Die Begründung für seine These: Weil die Sarsen aus einer gemeinsamen Lagerstätte stammten, seien sie auch als zusammengehöriges Ensemble errichtet worden.

Jeder der 30 äußeren Sarsen sei nun gleichbedeutend mit einem Tag. Das ergebe jeweils einen Monat mit 30 Tagen. Der erste Tagstein liegt am Eingang von Stonehenge im Nordosten. Zwei auffällig kleinere Blöcke liegen jeweils an 11. und 21. Stelle im äußeren Rund. Sie würden die Wochenanfänge markieren. Jeder Monat hätte damit aus drei Wochen je zehn Tagen bestanden. Das ergibt 360 Tage. Um das Jahr zu vervollständigen, hätten die fünf als Hufeisen angeordneten Trilithen im Zentrum als fünftägiger Zwischenmonat gezählt werden müssen. Auch die Schaltjahre hätten die späten Neolithiker berücksichtigt: Diese seien mit den vier Stationssteinen abgebildet worden.

Anders als heute sei laut Devill das Jahr in zwei Hälften unterteilt gewesen. Am Anfang dieses tropischen Jahrs stand die Wintersonnenwende, also die Stelle im Südwesten des Sarsenrunds. Die Mitte eines Jahrs markierte die Sommersonnenwende. Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Sonnenwende im Winter für die Menschen der späten Jungsteinzeit wichtig war. Ungefähr drei Kilometer von Stonehenge entfernt liegt das 4500 Jahre alte Durrington Walls, wo einst dutzende Häuser standen. Wie Grabungen zeigten, war die Siedlung nicht dauerhaft bewohnt. Sondern zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende hielten sich dort Hunderte von Menschen auf und verzehrten viel gebratenes Schweinefleisch. Womöglich war die Wintersonnenwende also eine wichtige Festzeit.

Daraus schließt Darvill: Das Stonehenge-Jahr begann am Tag der Wintersonnenwende. Dann ging die Sonne zwischen zwei Sarsen im Südwesten des Runds unter. Hier hätte sich der Kalender auch korrigieren lassen, falls nötig. Wäre ein Fehler bei der Zählung unterlaufen, wäre die Sonne neben den Blöcken untergegangen.

Gab es Kontakte zwischen Ägypten und Britannien?

Wie kamen die Menschen nun auf die Idee, die Zeit in dieses Maß einzuteilen? Darvill hält es angesichts des derzeitigen Forschungsstands für passender, einen äußeren Einfluss zu suchen. Hätten doch Archäologen in den letzten Jahrzehnten vor allem die Fernkontakte zwischen Europa und der Mittelmeerwelt herausgearbeitet, wie er in seiner Studie schreibt. Fündig wird Darvill jedenfalls in Ägypten. Zur Zeit des Alten Reichs um die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. stellte dort nicht nur der Sonnengott Ra die Hauptgottheit dar, sondern auch ein ähnlicher Kalender, wie ihn Darville für Stonehenge vorschlägt, war in Gebrauch: 12 Monate à 30 Tagen plus 5 Zusatztage. Die Monate waren in drei Wochen unterteilt. Die Schalttage hatten die Ägypter damals aber noch nicht berücksichtigt.

Darvills These ist schlüssig, allerdings nicht in voller Gänze. Die prominent aufgestellten Blausteine innerhalb des Sarsenrunds spielen in seinem Kalender keine Rolle. Seines Erachtens »stellen sie die Macht des Orts dar und waren eng mit Heilritualen verbunden«, wie Darvill schreibt. Ebenso ist noch ungeklärt, warum die Zählung der Tage am Eingang im Nordosten begonnen haben soll, das Jahr aber seinen Anfang auf der gegenüberliegenden Seite im Südwesten nimmt. Zuletzt geht die Zählung der Sarsenblöcke nicht auf: Im äußeren Rund zählt jeder aufrecht stehende Stein einen Tag; im inneren Hufeisen bilden zwei Steine einen Tag – und zwar einen der fünf zusätzlichen Tage. Schlüssig ist die These nur, wenn man davon ausgeht, dass der fünftägige Zusatzmonat besonders bedeutsam war und deshalb mit Trilithen statt einfachen Monolithen markiert wurde.

Sollte Darvill mit seiner These eines Sonnenkalenders mit 365,25 Tagen richtig liegen, bleibt zudem die Frage, ob die Kenntnisse tatsächlich aus Ägypten nach Britannien gelangten. Die Menschen der späten Jungsteinzeit waren als Bauern gut mit dem Verlauf des Jahres vertraut. Sie dürften genügend Kenntnisse besessen haben, um einen Kalender zu erstellen. Waren sie doch auch in der Lage, riesige Steinblöcke kilometerweit zu transportieren, zu bearbeiten und zu einem eindrucksvollen Rund aufzurichten.

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