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Warme Inflation: Lief der Urknall völlig anders ab als gedacht?

Am Anfang dehnte sich das leere Universum schlagartig aus, so lautet die heutige Urknalltheorie. Doch drei Forschende haben nun herausgefunden, dass der Kosmos vielleicht gar nicht leer war.
Künstlerische Darstellung des Urknalls
Einen Knall gab es damals wohl nicht, doch bisherige Modelle deuten darauf hin, dass sich vor 13,8 Milliarden Jahren unser Universum schlagartig ausdehnte.

Aus dem Nichts entstand alles: Felder, Teilchen und sogar Raum und Zeit. So ähnlich lässt sich die Urknalltheorie zusammenfassen. Seit Jahrzehnten entwickeln Physikerinnen und Physiker Modelle, die diese Entwicklung des Universums beschreiben. Anfangs gab es demnach nur ein mysteriöses Inflatonfeld, welches das sonst leere Universum unvorstellbar schnell auseinandertrieb: etwa alle 10-37 Sekunden soll sich der Abstand zwischen zwei Raumpunkten verdoppelt haben. Am Ende des nur 10-35 Sekunden dauernden Prozesses zerfiel das Inflatonfeld und erzeugte explosionsartig die uns bekannten Quarks und Gluonen, die sich in einem extrem heißen plasmaartigen Zustand frei bewegten. So beschreiben kalte Inflationsmodelle die Geschichte des Kosmos.

Doch nun legen die Physikerin Kim Berghaus vom California Institute of Technology und ihre Kollegen Marco Drewes von der Katholischen Universität Löwen und Sebastian Zell von der LMU München und dem Max-Planck-Institut für Physik nahe, dass es ganz anders abgelaufen sein könnte. In einer Studie, die in der Fachzeitschrift »Physical Review Letters« erschienen ist, stellen sie ein »heißes Inflationsmodell« vor, bei dem das Universum während dieser frühen Phase bereits Elementarteilchen enthält. Durch Reibung heizen sie sich dabei immer weiter auf – wodurch das heiße Quark-Gluon-Plasma schon während der kosmischen Inflation entstehen würde.

Kosmische Expansion und Urknall | Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass sich unser Universum immer weiter ausdehnt. Das führte Fachleute zur Urknalltheorie: Wenn man weit genug in die Vergangenheit zurückblickt, bildeten Raum und Zeit sowie alles darin Enthaltene eine Singularität – sozusagen einen Punkt unendlicher Dichte, was die meisten Forschenden als unphysikalisch erachten.
Doch Inflationsmodelle lösen dieses Problem: Sie beschreiben eine kurze Phase extrem beschleunigter Ausdehnung des Raums, ohne auf eine Singularität angewiesen zu sein. Es stellt sich jedoch die Frage, was diese Expansion antreibt (also woraus das sogenannte Inflatonfeld besteht) und wie diese zu jenem heißen Plasma aus Quarks und Gluonen führte, die physikalische Theorien und Experimente für das frühe Universum vorhersagen.

Schon seit Jahrzehnten versuchen Fachleute, solche Modelle von heißer Inflation aufzustellen, bei denen das junge Universum nicht nur ein Inflatonfeld, sondern auch Elementarteilchen enthält. »Die große Mehrheit der Inflationsmodelle ist kalt«, erklären Marco Drewes und Sebastian Zell im Gespräch mit »Spektrum.de«. Denn während der Inflation dehnt sich das Universum extrem schnell aus, sodass die darin enthaltene Materie sehr stark verdünnt wird und abkühlt. Deswegen wird das Universum im gängigen kalten Inflationsmodell anfangs als leer beschrieben; erst nach der extremen Expansionsphase führt ein Mechanismus demnach zum heißen plasmaartigen Zustand: dem Quark-Gluon-Plasma. »Es ist aber auch wichtig, warme Inflation besser zu verstehen, um überprüfen zu können, welche Variante besser mit Beobachtungsdaten übereinstimmt«, sagen die beiden Physiker.

»Für eine solche warme Beschreibung braucht man einen Mechanismus, der aus der Energie des Inflatons ständig neue Teilchen produziert und das Plasma heizt«, ergänzen sie. Das bringt allerdings unerwünschte Effekte mit sich: Das Inflatonfeld wechselwirkt auch mit den im Raum enthaltenen Teilchen, wodurch wiederum neue Partikel entstehen, die den Heizmechanismus unterbinden. Das könne man sich wie beim Keltern vorstellen, erklären Drewes und Zell: »Man kann keinen Wein mit einem Alkoholgehalt wie Schnaps keltern, weil der Alkohol irgendwann die Hefe tötet, die ihn erzeugt.«

Eine Verbindung von Kosmologie und starker Kernkraft 

Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, führten die Physiker und Physikerinnen in der Vergangenheit viele materieartige Partikel mit ungewöhnlichen Eigenschaften ein, die bislang noch nicht beobachtet wurden und darüber hinaus keine Rolle in der Physik spielen – und das stellt ein Problem dar. Warum sollten in der Geschichte des Universums kurzzeitig seltsame Teilchen entstanden sein und anschließend nie wieder auftauchen? 

Doch wie Berghaus, Drewes und Zell nun gezeigt haben, lässt sich die warme Inflation offenbar auch durch Axionen und die uns bekannten Elementarteilchen der starken Kernkraft erklären. Denn in früheren Berechnungen wurden die Auswirkungen des sich rapide ausdehnenden Raums auf die wechselwirkenden Teilchen nicht beachtet. In gewöhnlichen teilchenphysikalischen Überlegungen spielen sie auch keine Rolle: Teilchen wechselwirken so schnell miteinander, dass man die Expansion der Raumzeit getrost ignorieren kann. In dieser frühen Phase des Universums ist das allerdings anders; hier hat die Ausdehnung einen merklichen Effekt, wie die Autorin und die Autoren der Studie berichten: Durch die expandierende Raumzeit wird die zuvor beschriebene Teilchenproduktion unterbunden, die den Heizmechanismus hemmt.

»Wir waren überrascht, dass die Vorhersagen eines so einfachen Modells so perfekt zu den Beobachtungsdaten passen«Marco Drewes und Sebastian Zell, Physiker

»Unser Modell kommt mit nur einem neuen Teilchen aus, das ähnliche Eigenschaften aufweist wie ein Axion – einer der besten Kandidaten für Dunkle Materie«, erklären Drewes und Zell. Damit haben die Forschenden ein warmes Inflationsmodell entwickelt, das beschreibt, wie sich bekannte Elementarteilchen in der Inflationsphase gegenseitig durch Reibung und Wechselwirkungen mit dem Inflatonfeld aufheizen und schließlich in ein heißes Plasma münden. Zudem hängt ihr Modell von nur wenigen Parametern ab, was es für experimentelle Überprüfungen zugänglich macht. »Wir waren überrascht, wie einfach die Lösung am Ende war«, sagen die Physiker.

Wie Berghaus, Drewes und Zell beschreiben, lassen sich aus ihrem Modell Voraussagen ableiten, die man mit kosmologischen Daten abgleichen kann. »Die zweite Überraschung war, dass die Vorhersagen eines so einfachen Modells perfekt zu den Beobachtungsdaten passen«, sagen die beiden Physiker. Denn zwei Forschungsgruppen habenim Sommer 2025 bestätigt, dass das warme Inflationsmodell zu den bisherigen kosmologischen Beobachtungen passt. Auch andere Fachleute aus der Community zeigten sich an dem neuen Ergebnis interessiert: »Die experimentell überprüfbare Verbindung zwischen dem Mechanismus, der den Urknall angeheizt hat, und der starken Kernkraft, die das Proton zusammenhält, kann es möglich machen, das Inflaton direkt im Labor nachzuweisen. Dies ist für Theoretiker wie Experimentatoren und Astronomen gleichermaßen interessant«, sagen Drewes und Zell. So könnten künftige Versuche, die nach Spuren von Axionen suchen, das vorgestellte warme Inflationsmodell testen.

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  • Quellen

Ramos, R. O., Rodrigues, G. S., Physical Review D 10.1103/wn1m-19gt, 2025

Rogelj, A. et al., ArXiv 10.48550/arXiv.2507.12849, 2025

Zell, S. et al., Physical Review Letters 10.1103/9nn9-bsm9, 2025

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