Direkt zum Inhalt

AstraZeneca: Vertrauen in einen Covid-19-Impfstoff braucht Transparenz

Die University of Oxford und AstraZeneca haben ihre Covid-19-Impfstofftests wieder aufgenommen. Warum genau sie pausierten, ist unklar. Dabei sollte jedes Detail bekannt sein.
Impfung

Am Samstag haben die University of Oxford und der Pharmahersteller AstraZeneca ihre Tests mit einem aussichtsreichen Impfstoffkandidaten gegen Sars-CoV-2 nach kurzer Pause in Großbritannien wieder aufgenommen. Die Impfungen mit dem Vakzin waren am 6. September 2020 weltweit unterbrochen worden, nachdem eine Probandin aus dem Vereinigte Königreich Nebenwirkungen gezeigt hatte. Nun habe ein unabhängiger Ausschuss festgestellt, dass es sicher sei, die Tests fortzusetzen, heißt es von Seiten der Universität, die die Studie durchführt.

Auch in Brasilien können die Versuche mit dem Impfstoff fortgesetzt werden, wie die Behörden am Montag bekannt gaben. Ob das ebenso für die Studien gilt, die in Südafrika und den Vereinigten Staaten mit dem Impfstoff laufen, ist aber weiterhin unklar.

Wissenschaftlern zufolge ist eine Pause bei großen Studien nicht ungewöhnlich. Eine rasche Wiederaufnahme der Tests war zu erwarten. Die Episode zeige, wie vorsichtig mit solchen Versuchen umgegangen werde. »Wie jeder andere, der die Bedeutung von Impfstoffen kennt, bin ich sehr froh, dass die Studie weitergeführt wird«, sagt Klaus Stöhr, ein pensionierter Grippeforscher, der die Abteilung für Sars-Forschung und -Epidemiologie der Weltgesundheitsorganisation leitete.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Einige Forscher kritisieren jedoch, dass die Sponsoren der Studie bislang nicht mehr Informationen über den Grund der Pause und die Entscheidungsfindung herausgegeben haben. So haben die University of Oxford und AstraZeneca selbst noch keine Einzelheiten über die Nebenwirkung veröffentlicht, die zur Unterbrechung der Tests führte, oder darüber, wie die Entscheidung zur Wiederaufnahme der britischen Studie getroffen wurde. Marie-Paule Kieny, Impfstoffforscherin am INSERM, dem nationalen Gesundheitsforschungsinstitut Frankreichs in Paris, hofft, dass Forschungsgruppen, die an Coronavirus-Impfstoffen arbeiten, künftig mehr Informationen veröffentlichen werden, wenn klinische Studien pausiert werden müssen: »Wenn letztlich ein Impfstoff zur Verfügung steht, wird das Vertrauen der Öffentlichkeit von größter Bedeutung sein. Und Vertrauen braucht Transparenz.«

Ein aussichtsreicher Kandidat

Der Impfstoff AZD1222 ist einer der aussichtsreichsten Kandidaten, die zum Schutz gegen Sars-CoV-2 entwickelt wurden. Gemeinsam mit einer Hand voll anderer Impfstoffe befindet er sich in der letzten Phase der klinischen Prüfung. Dass die Tests vorübergehend angehalten werden mussten, hat deshalb weltweit Bestürzung ausgelöst.

Es war wahrscheinlich, dass die Versuche rasch wieder aufgenommen werden, sagt Paul Griffin, Experte für Infektionskrankheiten an der University of Queensland in Brisbane, Australien. In großen Studien kommt es bei Probanden oft zu Nebenwirkungen. Das Anhalten der Versuche solle sicherstellen, dass solche Ereignisse untersucht werden und die Teilnehmer geschützt sind, sagt er. Meistens werde jedoch später entschieden, dass das Ereignis wahrscheinlich nichts mit der Teilnahme an der Studie zu tun hatte und dass für den Rest der Versuchspersonen keine Gefahr bestehe. Das scheine auch bei dem Impfstoff von der University of Oxford und AstraZeneca der Fall gewesen zu sein.

Wenn ein Proband im Laufe einer klinischen Studie unerwünschte Symptome entwickelt, ist es manchmal schwer, die genaue Ursache zu ermitteln, sagt Jonathan Kimmelman, Bioethiker an der McGill University in Montreal, Kanada. »Oft ist das Beste, was man tun kann, zu sagen, dass es eine mögliche Verbindung gibt, und dann damit fortzufahren, mehr Daten zu sammeln und die Ergebnisse zu überwachen.«

Die Universität Oxford erklärte in einer Pressemitteilung vom 12. September, dass die Pause, die für alle Versuche mit dem Impfstoff galt, notwendig gewesen sei, »um die Überprüfung der Sicherheitsdaten durch einen unabhängigen Ausschuss und die nationalen Regulierungsbehörden zu ermöglichen«. »Der unabhängige Überprüfungsprozess ist abgeschlossen, und nach den Empfehlungen sowohl des unabhängigen Sicherheitsüberprüfungsausschusses als auch der britischen Aufsichtsbehörde, der MHRA [Medicines and Healthcare products Regulatory Agency], werden die Studien in Großbritannien wieder aufgenommen«, heißt es in der Erklärung weiter. Die Universität sagte weiter, dass sie aus Gründen der Vertraulichkeit keine medizinischen Informationen über die Krankheit des Teilnehmers preisgeben könne.

Fehlende Details

Kristine Macartney, Direktorin des australischen National Centre for Immunisation Research and Surveillance in Sydney, hält es für angemessen, sich auf die Vertraulichkeit zu berufen. Paul Komesaroff, Arzt und Bioethiker an der Monash University in Melbourne sieht das etwas anders. Es sei durchaus möglich, Informationen auf eine Art und Weise bereitzustellen, die eine Identifizierung der betreffenden Person verhindere, aber dennoch eine Zusammenfassung der aufgetretenen klinischen Probleme und der Schlussfolgerungen liefere, zu denen der Ausschuss hinsichtlich der Auswirkungen auf die Studie gekommen ist, sagt er. »Es ist Besorgnis erregend, dass sie versucht haben, dies zu vermeiden.«

Die University Oxford und AstraZeneca wollten auch auf Anfrage bisher keine Stellung zu dieser Kritik nehmen. Obwohl die sie noch keine Details über das Ereignis öffentlich machten, teilte offenbar Pascal Soriot, Vorstandsvorsitzender von AstraZeneca, den Investoren laut der Nachrichtenseite »STAT« in einem Telefongespräch mit, dass eine Person in der britischen Studie Symptome einer transversalen Myelitis entwickelt habe. Bei der Erkrankung handelt es sich um eine Entzündung des Rückenmarks, die durch Viren ausgelöst werden kann.

Arzneimittel – von der Entwicklung bis zur Zulassung

Präklinische Studien sind der Anfang. Sie finden nicht an Menschen statt, sondern an Proteinen, Zellkulturen, Gewebekulturen oder isolierten Organen sowie mit diversen Versuchstieren: Ratten, Affen, Schweinen beispielsweise. Unter klaren Vorgaben prüfen Forscher Wirkstoffe auf mögliche Nebenwirkungen und versuchen, den tolerierbaren Dosisbereich am Menschen zu finden. Die Ergebnisse sollen helfen, die folgenden klinischen Studien sicher und zielführend durchzuführen. Kosten einschließlich der Forschung und Entwicklung: 200 bis 300 Millionen Euro.

Eine klinische Prüfung am Menschen ist laut Arzneimittelgesetz (AMG) »jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen«. Es gibt unterschiedliche Studiendesigns mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen.

In Phase I der Tests bekommen Gesunde den Wirkstoff (Überprüfung der Sicherheit und Verträglichkeit). In Phase II (Sicherheit in Patienten und des therapeutischen Effekts, Dosisfindung) und III (Wirkungsnachweis) wird das Mittel an Menschen getestet, die erkrankt sind. Alle Probandinnen und Probanden sind vollständig aufzuklären und sollen freiwillig einwilligen mitzumachen.

Hat es ein Mittel in Phase III geschafft, liegt die Markteintrittswahrscheinlichkeit bei 65 Prozent. Bis dahin hat ein Konzern jedoch bereits mindestens mehrere hundert Millionen Euro, wenn nicht gar Milliarden investiert.

Im Zulassungsverfahren wird ein Arzneimittel hinsichtlich seiner Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft. Dabei sollte der Nutzen die Risiken überwiegen. Für eine Zulassung in Deutschland prüfen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), für den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum ist die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zentral zuständig.

Phase-IV-Studien sollen anschließend die systematische und fortlaufende Überwachung sicherstellen. Das Ziel: insbesondere sehr seltene Nebenwirkungen und andere Risiken erfassen.

Manche Wissenschaftler glauben, dass es einen guten Grund gibt, warum die Firma bislang nicht mehr Details veröffentlicht hat. Wenn Informationen über die Tests vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangen, könnte dies die an der Untersuchung beteiligten Mediziner beeinflussen, erklärt Griffin. Die Integrität der Studie stehe auf dem Spiel.

Der Experte geht davon aus, dass die Pause den Zeitplan der britischen Studie kaum beeinträchtigen wird. Ob das auch für die Impfstofftests in den USA und in Südafrika gilt, die nach wie vor auf Eis liegen, wird sich allerdings erst noch zeigen müssen. Bisher haben nach Angaben der University of Oxford weltweit etwa 18 000 Menschen den Impfstoff erhalten. Im Rahmen von Phase-III-Wirksamkeitsstudien, die im Juni in Großbritannien begannen, sollen 10 000 Menschen rekrutiert und geimpft werden. Für eine Phase-III-Studie in Brasilien haben Forscher sich das Ziel gesteckt, 5000 Teilnehmer zu gewinnen. An der US-Studie, die im August begann, sollen am Ende 30 000 Menschen teilnehmen, und an einer Phase I/II-Sicherheits- und Wirksamkeitsstudie in Südafrika 2000 Personen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.